Seit drei Generationen bestimmt Florettfechten das sportliche Leben der Familie Kühner. Das hat zu persönlichen Erfolgen geführt und den PSV Stuttgart zu einer Topadresse der Sportart gemacht. Und dies trotz eines zwischenzeitlichen innerfamiliären Zerwürfnisses. Aus unserer Lokalsport-Serie „Familiensache“, letzter Teil
Im Fechtsport ist es üblich, dass man sich irgendwann für eine bestimmte Waffengattung entscheidet. Einst war es Pflicht, erst den Umgang mit dem Florett zu erlernen, bevor man einen Degen oder einen Säbel in die Hand nehmen durfte. Inzwischen ist es allerdings so, dass jeder mit der Waffe ficht, die ihm zupass kommt. Wie beispielsweise Theo Kühner. Der jüngste Spross einer Stuttgarter Fechter-Familie und aktuell die vierte Generation übt sich derzeit im Umgang mit dem Löffel. Nun muss man fairerweise einräumen, dass Theo Kühner gerade einmal elf Monate alt ist – was dann doch ein bisschen früh fürs Fechten wäre.
„Ich fürchte, ich werde ihn nicht mehr trainieren können“, sagt Michael Kühner, Großvater des kleinen Theo – obwohl er im Alter von 76 Jahren nach wie vor als Fechtmeister beim PSV Stuttgart aktiv ist. Jenem Club, in dem auch seine Frau Bettina als Trainerin und Funktionärin, seine Tochter Anna als Trainerin und sein Sohn Ludwig – Theos Vater – als Abteilungsleiter mit dazu beitragen, dass der PSV die erste Adresse für Florettfechter in Württemberg ist. Somit kann man ein bekanntes Motto aus den Büchern rund um die drei Musketiere in ein neues, nämlich ein Familienmotto abwandeln: alle für eines – das Fechten.
Trainer-Legende in Württemberg
Doch was heutzutage ein „Kann“ ist, war einst ein „Muss“. Theo wird sich in einigen Jahren selbst dafür entscheiden dürfen, ob er lieber kickt, turnt, Motorradrennen fährt, zum Ballett geht oder vielleicht auch zum Florett greift. Seinem Großvater fehlten die Alternativen. Denn dessen Vater Franz Kühner war Diplom-Fechtmeister, wurde zu einer Trainer-Legende in Württemberg und trainierte die Fechter in mehreren Vereinen, darunter auch dem Heidenheimer Sportbund – der sich im Lauf der Jahre zu einer internationalen Fecht-Hochburg entwickeln sollte. „Ich und meine Zwillingsschwester Margit hatten gar nicht die Wahl, etwas anderes zu machen“, erinnert sich Michael Kühner. „Es waren halt andere Zeiten.“
Obwohl Michael Kühner mit dem Florett auf württembergischer Ebene durchaus erfolgreich war und mit der deutschen Säbelmannschaft dreimal Polizei-Europameister wurde – Vater Franz war schwer zufriedenzustellen. „Ich konnte leider seine großen Hoffnungen, die er sich bei mir machte, nicht erfüllen“, sagt Michael Kühner. Doch wie so vieles hatte auch diese Medaille zwei Seiten. Michael Kühner fokussierte sich statt auf die Karriere als Fechter auf die Arbeit als Trainer. Was erstens zum Erfolg des PSV Stuttgart und zweitens zu seinem Lebensglück beitrug. Denn seine Ehefrau Bettina war einst seine Fechtschülerin und hat als Sportwartin und Trainerin ihren Teil zum Erfolgsmodell des PSV beigetragen.
„Wenn dir alles so zufliegt. . .“
Damit dürfte es wenig überraschen, dass auch Tochter Anna-Katharina und Sohn Ludwig beim Fechten landeten. Zwar gab es die Versuche, im Fußball oder im Schwimmen eine angemessene sportliche Betätigung zu finden. Aber: „Für das Fechten waren wir einfach talentierter. Es macht dann auch mehr Spaß, wenn dir alles so zufliegt“, sagt Anna Kühner. Wobei es ohnehin so ist, dass die meisten Fechter erst einmal eine andere Sportart ausüben. „Man sollte nicht zu früh anfangen, weil Konzentration im Fechten eine wichtige Rolle spielt“, sagt Bettina Kühner. Oder, wie ihr Ehemann es ausdrückt: „Es ist eine Frage des Durchsetzungsvermögens. In einem Zweikampfsport wie Fechten sind die emotionalen und charakterlichen Fähigkeiten entscheidend, um die Leistung auf den Punkt zu bringen.“
Dieses Durchsetzungsvermögen haben ihre beiden Kinder wahrlich bewiesen – wenn auch auf recht unterschiedliche Weise. So musste Anna-Katharina bei ihren ersten deutschen Meisterschaften in Cottbus vor dem entscheidenden Kampf um Gold eine sehr lange Pause einlegen. Da sich der Wettbewerb länger als geplant gezogen hatte, die Halle aber geschlossen werden musste, wurde das Einzelfinale kurzerhand von Samstagabend auf Sonntagmorgen vertagt. „Das war nicht einfach, über eine so lange Zeit den Fokus und die innere Spannung zu halten“, sagt Anna-Katharina Kühner. Aber es gelang – sie gewann das Duell in souveräner Manier. Was zudem noch ein besonderes Maß an Genugtuung mit sich brachte. Denn ihre Kontrahentin ging für das Fecht-Aushängeschild schlechthin, den FC Tauberbischofsheim, auf die Planche.
Für Anna-Katharina Kühner folgten noch ein weiterer nationaler Meistertitel, die Teilnahme an der Kadetten-Weltmeisterschaft in Italien, mehrere Deutschlandpokal-Siege sowie 15-mal Gold bei den württembergischen Meisterschaften.
Zerwürfnis zwischen Trainer und Athlet
Ihr jüngerer Bruder Ludwig hat zwar auch einen württembergischen Meistertitel in der Vita stehen. Aber sein Durchsetzungsvermögen offenbarte sich anders: „Ich habe irgendwann in der Pubertät ein paar andere spannende Dinge entdeckt und deshalb das Fechten vernachlässigt“, sagt Ludwig Kühner. Oder, wie sein Vater es ausdrückt: „Es kam zum Zerwürfnis zwischen Trainer und Athlet.“ Ludwig setzte sich am Ende damit durch, die aktive Karriere sausen zu lassen. Aber dem Sport blieb er auf andere Art treu: als Kampfrichter, als Trainer – und inzwischen hat er seinen Vater als Abteilungsleiter der PSV-Fechter beerbt. Womit erneut bewiesen ist: alle für eines. Auch wenn Theo zurzeit noch fehlt.
Die anderen erschienenen Teile der Serie
Die Faustball-Familie Löwe beim NLV Vaihingen,
die Eisstockschützen-Familie Butterweck beim ESC Stuttgart-Vaihingen,
die Ringer-Familie Laible bei der SG Weilimdorf,
die Basketball-Familie Nufer aus Rohr,
die Baseball-Familie Weil bei den Stuttgart Reds,
die Tischtennis-Familie Xu beim Sportbund Stuttgart,
die Fußball-Familie Gashi beim KF Kosova Bernhausen,
die Volleyball-Familie Bura aus Degerloch.