Christian Lindner will dauerhaft zweistellige Ergebnisse für seine FDP. Foto: dpa

Zweistellige Ergebnisse auf Dauer: Das ist das neue Ziel, das FDP-Chef Christian Lindner seiner Partei präsentiert – und legt sich damit selbst die Messlatte für künftige Wahlen noch ein Stückchen höher.

Berlin - Es ist der erste Parteitag nach dem Wiedereinzug der FDP in den Bundestag und dem darauf folgenden umstrittenen Rückzug aus den Jamaika-Gesprächen mit Union und Grünen. Zeit für eine Kursbestimmung. Zeit für eine Rede, in der Lindner dem Vorwurf, die Geschichte des Aufbruchs sei auserzählt, mit einer gut 90-minütigen Erzählung begegnet. Neu ist das, was er sagt, allerdings nicht. Er sieht auch gar keine Notwendigkeit, sich selbst neu zu erfinden. Vielmehr will er Partei und Fraktion versichern, dass gar keine Kurskorrektur notwendig ist, sondern vor allem harte Arbeit an konkreten Konzepten und inhaltlichen Projekten.

Die Delegierten hören in Grundzügen also jene Grundausrichtung, mit der er 2014 den Aufwärtstrend begründete. Klares Bekenntnis zu Europa, Optimismus, Fortschrittsglaube, digitale Kompetenz, klare rechtstaatliche und marktwirtschaftliche Orientierung. Auch diese Rede ist virtuos, keine Frage. Aber irgendwie hat man das alles schon gehört, inklusive des Vorwurfs, dass mit einer ideenlosen Kanzlerin Merkel kein Staat in Europa mehr zu machen ist. Und so werden die Delegierten gegen Ende seiner Redezeit dann doch etwas unkonzentriert.

Opposition liegt der FDP nicht

Christian Lindner spürt das grassierende Völlegefühl, nach einer atemberaubendem Tal- und Bergfahrt in einer seltsam unspektakulär anmutenden Zwischenzeit gelandet zu sein. Er weiß auch, dass Opposition der FDP nicht in den Genen liegt. Er stellt deshalb selbst die Frage aller Fragen: „Und nun?“ Lange Pause. Seine Antwort ist schlicht: „Schauen wir nach vorn.“

Die Halbwertszeit von politischen Stimmungen werde kürzer, sagt er. Wer sich daran orientiere, sei verloren. Seien nicht eben erst die Grünen in den Himmel gejubelt und die Liberalen nach dem Jamaika-Aus geschmäht worden? In Freiburg aber habe dies den Grünen schon nichts mehr genutzt, so Lindner. Da sei ein Grüner abgewählt und in Jena ein Freier Demokrat zum Stadtoberhaupt gekürt worden. Soll heißen: Ruhig bleiben, Haltung bewahren. „Wir haben uns für einen harten und riskanten Weg entschieden“, so der FDP-Chef. Jetzt aber sprächen auch SPD, Union und Grüne von Erneuerung. Das Ergebnis: „Neue Köpfe, neue Programme und neue Konstellationen.“

Das belebe den Wettbewerb, das eröffne die Chance auf ein völlig neues Spiel. Man liege nun stabil bei acht bis zehn Prozent. Aber es gebe „viel mehr Menschen“, die das Lebensgefühl der FDP teilten. Warum also nicht „einen höheren Marktanteil“ anstreben, eine „liberale Wachstumsstrategie“ auflegen, „die die FDP in der Mitte der Gesellschaft verankert“, mit dem Ziel einer „zweistelligen liberalen Kraft“. Deshalb ja auch die von ihm angestoßene ergebnisoffene Debatte darüber, wie Frauen besser gefördert werden können, die bisher in der Partei unterrepräsentiert sind. Deshalb auch Überlegungen, wie der chronischen Schwäche in den ostdeutschen Ländern begegnet werden kann.

Russland-Streit als Belastungsprobe

In den Ohren der Delegierten klingt das alles schön und gut, aber weit mehr befeuert die Leidenschaft der Liberalen diesmal die Debatte über eine Erhöhung des Mindestbeitrags um zwei Euro pro Monat. Auch dies, ein Ausweis dafür, dass die Partei in jüngster Zeit schon weit schwierigere Fragen zu beantworten hatte.

Ein anderer Streit, der über Russland, hätte für Lindner hingegen zu einer schweren Belastungsprobe werden können. Vizechef Wolfgang Kubicki hat im Widerspruch zu sämtlichen Parteibeschlüsse in den vergangenen Wochen eine Rücknahme der Sanktionen gefordert. Eine Machtprobe drohte, ohne Zweifel. Als aber die FDP Christian Lindner nach dessen Rede mit routiniertem Beifall feiert, stellt sich Kubicki demonstrativ neben Lindner, der da schon wieder Platz genommen hat. Kubicki steht gewisser Maßen stramm, zollt Applaus, lange und ausdauernd. Er muss das nicht tun. Es gibt Mittel und Wege, andere Bilder zu provozieren. Bilder der Entfremdung, der Streitlust, der kalten Schulter. Wer, wenn nicht der mit allen Ostseewassern gewaschene Küstenmann, wüsste besser, wie man mit Blicken und Gesten strafen kann. Er aber dokumentiert in diesem Moment den Schulterschluss. Lindner und Kubicki mögen unterschiedlicher Meinung sein. Aber Kubicki will offenbar nicht Spekulationen Nahrung liefern, der Pakt, den die beiden noch in der Nacht der Schmach nach der Bundestagswahl 2013 geschmiedet hatten, sei zerbrochen. Mal abgesehen davon weiß Kubicki sehr genau: diese Schlacht hat er verloren, noch bevor dieser Parteitag über einen ihm genehmen Antrag des Landesverbandes Thüringen zur Russland-Politik debattiert, in dem eine Rücknahme von Sanktionen ohne Gegenleistung gefordert wird.

Einige fürchten einen Zerfall der Partei

Interessant ist denn auch weniger, dass Lindners Kurs, Russland in einer Mischung aus Härte und Gesprächsangeboten zu begegnen, auf dem Parteitag nicht in Gefahr gerät. Bemerkenswert ist vielmehr, dass Lindner gar nicht selbst als Scharfrichter auftreten muss. Er sagt lediglich, dass es da „einen Aspekt“ gebe, „bei dem Diskussion erwünscht“ sei. Und - diese kleine Spitze muss dann doch sein - „unsere Thüringer Parteifreunde“ hätten von ihrer Position „auch Wolfgang Kubicki überzeugt“, als hätte der das nötig.

Andere sind da weniger gnädig, fürchten einen Rückfall der Partei in Zeiten, in denen nicht mehr miteinander geredet, sondern übereinander in Medien hergezogen wurde, ohne Rücksicht auf Parteitags- oder Gremienbeschlüsse. Ria Schröder, die eben erst neu gewählte Vorsitzende der Jungen Liberalen, knöpft sich Kubicki vor. Sie finde es „unerträglich, wenn Mitglieder des Präsidiums ihre persönliche Meinung in der Presse über den erklärten Willen des Parteitags stellen.“ Das gelte „auch für Sie, Herr Kubicki“, hält sie ihm entgegen. Die Partei will zwar am Sonntag noch über Russland diskutieren. Aber der Aufstand, so viel scheint sicher, wird ausbleiben.