Alexander Graf Lambsdorff will ein Europa der zwei Geschwindigkeiten Foto: Leif Piechowski

Alexander Graf Lambsdorff führt die FDP in den EU-Wahlkampf. Der 47 Jahre alte Kölner sieht sich dabei als Teil eines Marathonlaufs und will seiner gebeutelten Partei nach der Abwahl aus dem Deutschen Bundestag wieder zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen.

Alexander Graf Lambsdorff führt die FDP in den EU-Wahlkampf. Der 47 Jahre alte Kölner sieht sich dabei als Teil eines Marathonlaufs und will seiner gebeutelten Partei nach der Abwahl aus dem Deutschen Bundestag wieder zu mehr Glaubwürdigkeit verhelfen.
 
Herr Lambsdorff, der SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat am Montag in Berlin mit EU-Handelskommissar Karel de Gucht und dem US-Handelsbeauftragten Michael Fromann über das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA gesprochen und dabei Transparenz bei den Verhandlungen angemahnt. Warum brauchen wir als Verbraucher eine solche Freihandelszone?
Unsere Unternehmen haben bessere Chancen auf einem großen Markt, und wir als Verbraucher bekommen mehr Auswahl, bessere Produkte zu günstigeren Preisen . . .
. . . und im Gegenzug opfern Sie die hohen deutschen Standards beim Verbraucherschutz?
Nein, natürlich nicht. Ich kenne die Befürchtung vieler Menschen, dass mit dem Abkommen bei uns Standards in der Lebensmittelsicherheit abgesenkt werden – aber das ist definitiv ausgeschlossen worden. Es wird keine Chlorhühnchen und kein Hormonfleisch geben. Wir werden im Parlament dafür sorgen, dass die Verbraucherschutzstandards nicht abgesenkt werden. Wenn es dazu kommt, wird auch die FDP gegen das Abkommen stimmen.
In der EU gilt bislang das Vorsorgeprinzip. Firmen müssen nachweisen, dass ihre Produkte unschädlich sind. In den USA ist es umgekehrt. So stellen Gen-Pflanzen so lange kein Risiko dar, bis das Gegenteil bewiesen ist. Senkt also die EU am Ende doch ihre Standards?
Es wird in Europa beim Vorsorgeprinzip bleiben. Die Zulassung von Saatgut zum Beispiel wird nach wie vor nach europäischem Recht geschehen. Dieses Grundprinzip bleibt – Ende der Durchsage.
Wo liegen die Vorteile für Europa in einem solchen Abkommen mit den USA?
Die beiden größten Wirtschaftsräume der Welt wollen ihre Zollsätze absenken, Bürokratie vermindern, den Marktzugang gerade für Mittelständler verbessern und den Verbrauchern eine größere Auswahl ermöglichen – es geht darum, enorme Potenziale zu heben.
Welche konkret?
Gerade die südeuropäischen Länder sind sehr gut darin, hochwertige Lebensmittel zu produzieren, ob spanischer Schinken, italienisches Olivenöl oder französischer Wein. Das alles ist aber für einen amerikanischen Normalverdiener aufgrund der hohen Zölle nahezu unerschwinglich. Wenn es nun gelingt, die Zölle abzusenken für den amerikanischen Markt, dann schaffen wir neue Jobs gerade in den Ländern, die eine viel zu hohe Jugendarbeitslosigkeit haben. Dass SPD und Grüne einerseits gegen das Freihandelsabkommen sind, andererseits aber ständig die hohe Jugendarbeitslosigkeit beklagen, passt hinten und vorne nicht zusammen.
Die Wirtschaft lässt sich eine Art Lebensversicherung in die Verträge schreiben, in Form des Investitionsschutzes und des daraus resultierenden Klagerechts – die Verbraucher sollen ein solches Klagerecht nicht haben.
Das ist richtig. Ich sehe nicht, dass das unbedingt erforderlich ist zwischen den USA und der EU. Aber es ist auch nicht der Beelzebub, der daraus gemacht wird. Deutschland hat zahlreiche solcher Abkommen mit anderen Ländern, da steht der Investorenschutz ganz selbstverständlich drin, um unsere Unternehmen abzusichern.
Trotz solcher lebensnaher und für jeden Einzelnen wichtigen Themen hält sich die Begeisterung der Bürger für Europa und die Europawahl noch immer in Grenzen.
Wir müssen noch viel stärker deutlich machen, dass Europa nicht mehr nur Sonntagsreden und Konsenssoße ist, sondern dass es einen Streit um politische Konzepte gibt. Es macht einen Unterschied, ob ich die Partei A, B oder C wähle.
Dabei entscheiden sich laut Umfragen derzeit nur vier Prozent für die FDP.
Die FDP muss wieder Glaubwürdigkeit gewinnen, und wir wissen, dass das dauert. Wir sind seit der verlorenen Bundestagswahl in einem Marathonlauf zu diesem Ziel. Wir sind ja nicht aus dem Bundestag geflogen wegen einer verpatzten letzten Wahlkampfwoche, sondern weil die Menschen bei uns die Glaubwürdigkeit nicht mehr gesehen haben. Diese erreichen wir über Kompetenz, Seriosität und gut durchdachte Vorschläge, die nicht sofort eine Schlagzeile erzeugen, aber dafür echte Lösungen anbieten. Unser großes Ziel sind die Bundestagswahlen 2017.
Bei ARD und ZDF hält man die FDP offensichtlich noch nicht wieder für attraktiv genug für die Hauptsendezeit. In zwei Fernsehduellen sollen nur Jean-Claude Juncker (Christdemokraten) und Martin Schulz (Sozialdemokraten) zu Wort kommen. Die Debatte mit den Spitzenkandidaten der kleineren Parteien wurde in den Spartenkanal Phoenix verbannt.
Mit diesem sogenannten Duell springen ARD und ZDF zu kurz. Es ist die Übertragung einer deutschen Idee nach Europa, aber nicht die Abbildung der Realität in Europa im deutschen Fernsehen. Die Liberalen in Europa sind neben den Christ- und Sozialdemokraten eine der Parteien, die in allen drei EU-Institutionen – Rat, Parlament und Kommission – vertreten sind, anders als die Grünen zum Beispiel. Deshalb wäre es sinnvoll und richtig, dies dem Zuschauer auch zu vermitteln.
Am 25. Mai soll auch in der Ukraine gewählt werden. Sie waren vielfach als Wahlbeobachter in aller Welt im Einsatz. Ist es unter den derzeitigen Voraussetzungen verantwortbar, Wahlbeobachter dorthin zu entsenden, oder werden sie am Ende als Feigenblatt missbraucht?
Das wird nicht passieren. Es ist wichtig, dass Wahlbeobachter vor Ort sind, um die Lage in allen Landesteilen zu beobachten, wo das möglich ist. Wenn dies irgendwo nicht möglich ist, heißt das allein aber noch lange nicht, dass die Wahl insgesamt ungültig wäre. Aufgabe der Beobachter ist es, Fakten zu sammeln, ein realistisches Bild zu zeichnen und eine nicht von parteipolitischen oder außenpolitischen Präferenzen geprägte Einschätzung zu geben. Das kann helfen. Egal, wie die Wahl verläuft, wird Moskau vermutlich erklären, dass die Wahl nicht legitim war und dass die russische Minderheit nicht angemessen habe abstimmen können. Aber das ist Unsinn, weil es keine geografisch konzentrierte russische Minderheit gibt.
Wird die Wahl überhaupt stattfinden?
In der Mitte und im Westen des Landes sieht es gut aus. Wie weit es im Osten möglich sein wird, ist völlig unklar. Offen ist zurzeit der Süden rund um Odessa. Es ist nicht damit zu rechnen, dass auf der Krim, die völkerrechtlich nach wie vor zur Ukraine gehört, die Wahl durchgeführt werden kann.
Wo sehen Sie die EU in fünf, wo in zehn Jahren?
Wir müssen dann ein Europa der zwei Geschwindigkeiten haben, bei dem wir in der Euro-Zone die Stabilität der Währung garantieren, um nicht noch einmal in eine solche Krise reinzurutschen. Darum herum einen Ring von Ländern, die beim Euro nicht mitmachen können oder wollen, aber dabei zum Beispiel im Binnenmarkt für Energie, den wir endlich brauchen.
Wird es weitere neue Mitgliedstaaten geben?
Ich wünsche mir, dass wir mit unseren Nachbarländern gute Beziehungen haben. Ich glaube aber nicht, dass jedes Nachbarland Mitglied werden kann. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei müssen gestoppt werden. Was dort derzeit passiert, ist mit den europäischen Freiheitsrechten – Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit – nicht vereinbar. Wir müssen den Beitrittsprozess der Türkei ins Tiefkühlfach stecken und stattdessen da zusammenarbeiten, wo das sinnvoll möglich ist, also Energie, Außenpolitik, Wissenschaft und so weiter.
Also hat die EU auch in fünf Jahren noch 28 Mitgliedstaaten?
Wir brauchen jetzt eine Phase der Konsolidierung. Mit der Aufnahme von Bulgarien und Rumänien sind wir schon einen Schritt zu weit in eine Richtung gegangen, wo die Unterschiede in der EU zu groß geworden sind. Das müssen wir erst wieder zusammenführen. Ich sehe in der nächsten Legislaturperiode keinen Beitritt.