Der Bundestrainer zeigt sich am Tag nach dem bitteren EM-Aus erneut emotional. Trotz der Niederlage im Viertelfinale gegen Spanien bleibt jedoch ein starker Gesamteindruck. Der WM-Titel ist das nächste große Ziel.
Es sind noch einmal Tränen geflossen, zum Abschied. Nach sechs Wochen gemeinsamer Zeit haben die Nationalspieler am Samstagvormittag das Mannschaftsquartier in Herzogenaurach verlassen. Voller Traurigkeit und Wehmut, weil die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) im EM-Viertelfinale an Spanien gescheitert ist, aber ebenso weil während des Heimturniers eine Gruppe zusammengewachsen ist, die zum einen mitreißende Spiele geboten hat und zum anderen das Land mit ihrer Art und Weise begeistert hat. Eine lange nicht dagewesene Symbiose ist das. Da hätte man sich Mannschaft und Menschen gerne hinter der Henry-Delaunay-Trophäe vereint.
Viele Emotionen waren also noch im Spiel, als der Kapitän Ilkay Gündogan als letzter Spieler und der Bundestrainer Julian Nagelsmann nach einer kurzen Nacht mit einem „bis bald“ auseinander gegangen waren. Und die Gefühle überkamen Nagelsmann wenig später erneut, als er auf dem DFB-Podium sitzend ein Turnierfazit zog. Der 36-Jährige hatte – wie kurz nach dem Abpfiff – Tränen in den Augen und er sprach anfangs mit brüchiger Stimme. „Ich möchte Danke sagen an die Fans im Land“, begann Nagelsmann seine Ausführungen, „ich habe immer gesagt, wir brauchen sie, weil wir in der jüngeren Vergangenheit aus sportlicher Sicht nicht viel zurückgegeben haben. Wir hätten gerne mehr gegeben.“ Den Titel.
Wie in einem Rausch
Nach drei enttäuschenden Turnieren hat es die Nationalmannschaft diesmal bis unter die besten acht Teams des Kontinents geschafft. Verloren hat sie die hoch spannende Begegnung mit Spanien 1:2 nach Verlängerung. Ein Epos, das in Erinnerung bleiben wird, da die Partie in Stuttgart durch Härte, Leidenschaft und späte Tore gekennzeichnet war. Florian Wirtz (89.) glich die Führung durch Dani Olmo (52.) aus und verlängerte das Drama um zwei Akte zu jeweils 15 Minuten. Mikel Merinos Kopfball (119.) bedeutete schließlich das Aus.
Doch gewonnen hat das DFB-Team jenseits des reinen Ergebnisses. Die Herzen und Sympathien der Anhänger flogen den Spielern zu, wie es vor wenigen Monaten noch undenkbar schien. „Die Leute waren wie in einem Rausch“, sagte der DFB-Präsident Bernd Neuendorf, der sich an seinem Geburtstag am Samstag trotz der Niederlage durch den Turnierverlauf „beschenkt“ fühlte. „Es erfüllt mich mit Stolz, was die Mannschaft auf und außerhalb des Platzes geschafft hat“, sagte der 63-jährige Funktionär.
Zu einem Großteil ist das Nagelsmann zu verdanken, der nach bitteren Momenten im vergangenen November der Nationalmannschaft einen Radikalreform verordnete – mit neuen, formstarken Spielern und dem Mittelfeld-Rückkehrer Toni Kroos (34); mit einer veränderten Haltung, die weniger Egoismus und mehr Mentalität einforderte; mit dem Glauben an die eigene Stärke und dem Beseitigen einiger Schwachpunkte.
„Es ist eine neue Lust auf die Nationalmannschaft entstanden“, erklärte der Bundestrainer, der eine Menge Fußballideen in sich trägt, sich aber im vergangenen Frühjahr dem Pragmatismus verschrieb. Weniger Vereinstrainer und mehr Nationalcoach. Das hielt er in der Vorrunde mit einer Stammelf durch. Im Achtelfinale gegen Dänemark (2:0) passte er personell an und gegen Spanien überraschte er.
Der Kader verändert sich
Emre Can statt Robert Andrich, erneut Leroy Sané statt Florian Wirtz – zwei taktische Maßnahmen, die sich als falsch erwiesen und zur Halbzeit korrigiert wurden. „Hinterher ist das leicht zu bewerten. Wir hatten es uns anderes erhofft“, sagte Nagelsmann, der noch einmal Cans Schnelligkeitsvorteile gegenüber Andrich hervorhob und Sané sollte mit seinem Tempo hinter die spanische Abwehrkette kommen.
Das gelang nicht – und die Frage, ob das Spiel mit Andrich und Wirtz von Beginn an anders gelaufen wäre, ist müßig. Das Drama entwickelte ja seine eigene Dynamik. Bis zur schmerzhaften Niederlage, aber ohne dass der Bundestrainer seine Schlagfertigkeit verlor. „In zwei Jahren wollen wir Weltmeister werden“, sagte Nagelsmann, als sich erster Trotz in die Trauer gemischt hatte. „Die Aussage gefällt euch, da werden die Augen groß, aber was soll ich anderes sagen?“, betonte er vor Journalisten.
Am Tag danach rückte Nagelsmann von den Aussagen nicht ab. Die WM 2026 ist das nächste große Ziel – und der Bundestrainer hält es für den selbstverständlichen Anspruch, nach dem Maximum zu streben. Und er hat keine Angst, dieses Vorhaben zu benennen und später an den hohen Erwartungen gemessen zu werden. Das gehört zu seinem Charakter, ebenso wie der Mut, Neues zu wagen.
Im September beginnt nun die erste Etappe mit den Spielen in der Nations League. Veränderungen im Kader wird es dann geben, aber nicht im radikalen Stil. Die Spielweise will Nagelsmann jedoch beibehalten. Denn was sich gut angelassen hat, soll fortgesetzt werden. „Die starke EM ist auch eine Verpflichtung, wenn es jetzt weitergeht“, sagt der DFB-Sportdirektor Rudi Völler.