Sie sind groß, prächtig und üben eine ungeheure Anziehungskraft aus. Doch was fasziniert uns so an Pferden? Foto: dpa

Sie sind groß, prächtig und üben eine ungeheure Anziehungskraft aus. Doch was fasziniert uns so an Pferden? Und warum stehen vor allem Mädchen auf die schönen Tiere?

Gomandingen - Breitbeinig stehen die erst ein paar Wochen alten Fohlen auf der Koppel, aufmerksam bewacht von ihren Müttern. Sie versuchen, Gras von der Weide zwischen die Zähne zu bekommen, ihre staksigen Beine sind jedoch viel zu lang im Verhältnis zum kleinen, schmalen Rumpf und dem niedlichen Köpfchen. Wie nur ganz nach unten bis auf den Boden kommen? Neugierig nähern sie sich den Menschen jenseits des Koppelzauns, die ihr Treiben beobachten, drehen ab, kommen langsam wieder näher. Blähen interessiert die Nüstern. Doch wenn diese komischen zweibeinigen Wesen da draußen die Hand nach ihnen ausstrecken und sie streicheln wollen, machen sie einen kleinen Bocksprung und hüpfen davon.

„Sind die süüüß!“, ruft ein etwa zwölfjähriges Mädchen, ihre gleichaltrige Begleiterin nickt, die Begeisterung der beiden ist groß. Besuch beim Haupt- und Landgestüt Marbach in Gomadingen im Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Vor allem im Frühling ob des zahlreichen Nachwuchses ein Ort mit magischer Anziehungskraft. In diesem Jahr werden besonders viele Besucher erwartet – das 500-Jahr-Jubiläum des ältesten deutschen Staatsgestüts wird mit einer Reihe von Veranstaltungen begangen.

Laut Deutscher Reiterlicher Vereinigung, dem nationalen Dachverband des Pferdesports, sitzen rund 1,24 Millionen Bundesbürger regelmäßig im Sattel. Zählt man die unter 14-Jährigen dazu, kommt man auf 1,6 bis 1,7 Millionen Pferdefreunde, die in ihrer Freizeit reiten, springen, voltigieren, jagen oder mit Ein-, Zwei- oder Mehrspännern durchs Land fahren. Ob Dressur, Springen, Vielseitigkeit, Distanz- oder Wanderreiten, ob in der Halle über Hindernisse gesprungen oder im Galopp über Wald- und Feldwege geprescht wird: Auf dem Rücken eines Pferdes kann man auf unendlich viele Arten Spaß haben.

Wieso sind diese unhandlichen Haustiere so beliebt?

Doch wieso sind diese unhandlich großen Haustiere so beliebt? Hochrechnungen der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, nach ihrer internationalen Bezeichnung Fédération Equestre Nationale kurz FN genannt, haben ergeben, dass hierzulande rund 1,2 Millionen Pferde und Ponys gehalten werden – viermal so viele wie noch vor 40 Jahren. Zahlreiche Abhandlungen sind über die Vernarrtheit – vor allem von Mädchen – in Pferde verfasst worden. So zum Beispiel von Harald A. Euler, Evolutionspsychologe aus Kassel, der die Ergebnisse seiner Untersuchung von 2008 so beschreibt: „Mädchen und Pferd ist eine Beziehung mit Bindungscharakter, also eine von dem Mädchen als exklusive, als einzigartig und existenziell wichtig erlebte Beziehung, die Sicherheit und Geborgenheit vermittelt, mit Idealisierung und vermeintlicher Unersetzbarkeit des Pferdes, mit Wunsch nach psychischer und räumlicher Nähe zum Pferd und mit hohem Stellenwert des Pferdes in der Bindungshierarchie.“ Anders ausgedrückt: Wichtig sei, zumindest für Mädchen, das Pferd, weniger das Reiten an sich. „Das Pferd ist zwischen Puppe und Partner das ultimative Kuscheltier, also das größte, schönste und letzte im Übergang von Herkunftsfamilie zu neuer sexueller Partnerbeziehung.“ Sich um ein Pferd kümmern zu können, gebe Mädchen Befriedigung, viel mehr als wettkampfsportliche Motive. Euler bezeichnet das Pferd deshalb als lebendes Tamagotchi.

Da ist durchaus was dran. So sind 75 Prozent (544 000) der FN-Mitglieder Mädchen und Frauen; demgegenüber gibt es lediglich 170 000 männliche Mitglieder. In der Statistik des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) wird Pferdesport bei jungen Frauen zwischen 15 und 18 Jahren nach Turnen und Fußball auf Platz drei der beliebtesten Sportarten geführt.

Pferde sind mit Attributen wie Mut, Kraft und Heldentum verbunden

Landoberstallmeisterin Astrid von Velsen-Zerweck (46), Leiterin des Haupt- und Landgestüts und selbst Reiterin von Kindesbeinen an, erklärt den Boom des Reitsports so: „Früher hat man das Pferd im Militär, in der Landwirtschaft und für Transporte eingesetzt. Es war wichtig in der Arbeitswelt und mit männlichen Attributen wie Mut, Kraft oder Krieg und Heldentum verbunden.“ Mittlerweile habe das Pferd eine völlig neue Rolle als Sport- und Freizeitpferd.

In der Zucht versuche man, „das Produkt Pferd“ dem Markt und der veränderten Nachfrage anzupassen, „heute sind feine, sensible, ruhige und vor allem brave Pferde gewünscht“. Vor allem für Gelegenheitsreiterinnen und -reitern, die nicht viel Zeit und Aufwand für ihr Hobby aufbringen können, sei es wichtig, es mit umgänglichen, verlässlichen Tieren zu tun zu haben. Von Velsen-Zerweck: „Bei einem typischen Freizeitpferd muss das funktionieren wie bei einem Auto. Wenn man den Motor ausmacht, sollte es einfach stehen bleiben und keine Zicken machen.“ So seien ab den 70er Jahren Rassen wie die Quarter-Horses beliebt geworden, mit mehr als 4,6 Millionen registrierten Pferden zahlenmäßig die größte Pferderasse der Welt, Isländer (die eine ganz eigene, für den Reiter sehr bequeme Gangart beherrschen, das Tölten), Haflinger, Shetlandponys oder Tinker (Gipsy Horses).

Nicht nur Mädchen mögen Pferde

Auch jüngere Kinder kommen gut mit solchen gutmütigen Freizeitpferden zurecht. Kalista (10), aus dem Remstal, nimmt bereits seit zwei Jahren Reitunterricht und verbringt ihre Zeit nach Schule und Hausaufgaben am liebsten im Stall.

Fragt man das zierliche Mädchen, weshalb es gern reitet, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Es fühlt sich einfach gut an, wenn mein Pferd genau das macht, was ich von ihm will. Ich mag besonders gern das Springen. Und Pferde sind so schön groß und sehen toll aus, vor allem die lange Mähne und die Augen.“ Klar, dass Kalista auch gern „Wendy“ liest, eine Pferdezeitschrift für Kinder, in der die Titelheldin Wendy Thorsteeg mit ihren Pferden in einem Comic allerlei spannende Herausforderungen meistern muss.

Aber nicht nur Mädchen und Frauen mögen Pferde. Es gibt auch Männer, die glänzende Augen bekommen, wenn sie über ihr Hobby sprechen. So etwa Hubert L. (55) der in jungen Jahren Angst vor Pferden hatte und durch seine Frau zum Reiten kam. Vor 17 Jahren begann er ganz klassisch mit Longe-Stunden, er kaufte sich ein eigenes Pferd, einen rassigen Andalusier, der auf den Namen Flamero hört. Nun ist noch ein Fohlen dazugekommen, das später einmal die Nachfolge seines spanischen Wallachs antreten soll.

Pferde-Romane sind – ein bisschen zu Unrecht – aus der Mode gekommen

Hubert L., der auf der Schwäbischen Alb lebt, hat sich im Lauf der Jahre dem Wanderreiten verschrieben, bei dem man mit seinem Pferd meist in der Gruppe über mehrere Tage hinweg unterwegs ist und in Zelten oder auf Pferdehöfen übernachtet. „Da erlebt man die Landschaft ganz anders und besonders intensiv. Meine schönste Tour bisher führte von Berlin bis nach Polen“, erzählt er. Für den Beamten bei der Polizei-Hubschrauberstaffel Baden-Württemberg ist die Naturverbundenheit des Wanderreitens ein idealer Ausgleich zu seinem technischen Beruf als Hubschrauber-Prüfer – denn Wanderreiten bedeutet auch ein Stück Abenteuer und Ursprünglichkeit.

Um Abenteuer auf dem Pferderücken ging es auch in den Pferde-Romanen, die man als Pferdenarr früher geradezu verschlang, die aber – ein bisschen zu Unrecht – aus der Mode gekommen sind. So etwa „Blitz, der schwarze Hengst“ des US-Autors Walter Farley, das 1979 von US-Regisseur Francis Ford Coppola unter dem Titel „Der schwarze Hengst“ verfilmt wurde. Von dem Jugendbuch gab es gut 20 Fortsetzungen wie „Blitz legt los“ oder „Blitz bricht aus“. Die Grundgeschichte: Alec Ramsay, ein zwölfjähriger Amerikaner, und ein wilder schwarzer Araberhengst haben als einzige den Untergang des Frachters „Drake“ überlebt – eine ideale Konstellation für jugendliche Träume von Freiheit und Unabhängigkeit.

Reiten in Kostümen bietet Abwechselung im Alltag

Oder man guckte TV-Serien wie „Black Beauty“ (gab’s auch als Film) über einen gleichnamigen schwarzen Hengst, ebenfalls aus den 70er Jahren, die die ganze Familie begeisterten. Beliebt waren auch reichhaltig ausgestattete Sandalen-Filme, in denen die Protagonisten bei ihren Schlachten häufig hoch zu Ross mit donnerndem Hufschlag über die Mattscheibe galoppierten.

Apropos Sandalenfilme: Astrid von Velsen-Zerweck, promovierte Agraringenieurin, erzählt davon, dass Freizeitreiter zunehmend auch kostümiert in den Sattel steigen. So etwa beim Barockreiten, dem Ursprung des Dressurreitens. Bei dieser Reitkunst in barocken Gewändern, heute in vielen Reitshows zu sehen, wird eine besondere Harmonie zwischen Pferd und Reiter angestrebt. Auch bei Veranstaltungen mit Araberpferden, beim Westernreiten oder beim Quadrillereiten sind immer häufiger Reiter in typischen Kostümierungen zu sehen – ein Trend, der Abwechslung zum Alltag bietet.

Solchen „Schnickschnack“ gibt es im Landgestüt Marbach freilich nicht – dafür ein hochkarätiges und umfangreiches Jubiläums-Programm.

Hauptprogrammpunkt ist das Festwochenende „500 Jahre Haupt- und Landgestüt Marbach“ am 17. und 18. Mai mit Festakt und Hoffest am Samstag sowie Gottesdienst, Eröffnung des Gestütsradwegs und Tag der offenen Tür am Sonntag. Weitere Informationen unter www.gestuet-marbach.de. Wer von Pferden nicht genug bekommt: Vom 16. bis zum 19. Mai findet der Ludwigsburger Pferdemarkt statt, unter anderem mit Festumzug am Sonntag. Mehr dazu: www.ludwigsburg.de.