Medienpädagogen der Hochschule Esslingen sagen, was vor allem Jungen an Computerspielen fasziniert.
Esslingen - Früher spielten die Kinder draußen in den Gärten, in Parks und Hinterhöfen. Die einen waren Räuber, die anderen Gendarm, sie jagten einander, und wer hinter sich ein lautes „Peng, Peng“ hörte, wusste, jetzt ist er tot. Heute spielen die Kinder immer noch. Nur anders: Statt draußen im Park versuchen sie ihre Gegner in der virtuellen Welt zu besiegen. „Computerspiele haben die Spiele von früher automatisiert“, so der Sozialarbeiter und EDV-Experte Uwe Wendt von der Hochschule Esslingen, die zum Thementag „Jungskulturen und Bubenszenen“ eingeladen hatte.
Denn es sind vor allem die Jungs, die sich diesen Spielen hingeben. Seit einigen Jahren beschäftigen sich Uwe Wendt und der Lehrbeauftragte für Medienpädagogik der Hochschule, Claus-Dieter Schulz, mit dem unterschiedlichen Nutzungsverhalten von elektronischen Medien von Jungen und Mädchen und können das Ergebnis der Repräsentativstudie „GameStat 2011“, die die Universität Hohenheim herausgebracht hat, bestätigen: So ziemlich jeder Jugendliche spielt gern am Computer – wenn auch Jungs knapp 20 Minuten länger als Mädchen, nämlich im Schnitt eine Stunde pro Tag.
„Doch während Mädchen eher auf sozialen Netzwerken wie Facebook unterwegs sind, bevorzugen Jungen und junge Männer häufig Spiele mit intensiverer Nutzung“, sagt Claus-Dieter Schulz. Sprich: Die als Ballerspiele verschrienen Ego-Shooter wie „Counterstrike“, aber vor allem mystische Rollenspielen wie „World of Warcraft“.
Online-Computerspiele bringen den sozialen Kontakt direkt ins Kinderzimmer
Was besorgniserregend klingt, kann nach medienpsychologischer Sicht aber durchaus zukunftsfähig machen. So bringen diese Online-Computerspiele den sozialen Kontakt und damit auch das soziale Lernen direkt ins Kinderzimmer. Die Jungs spielen zwar mit uralten Motiven wie Zauberern, Magiern und Drachen, trainieren aber zugleich das, was von modernen jungen Menschen erwartet wird: nämlich Teambildung, gemeinsame Planung und zielbildende Kommunikation.
„In Rollenspielen wie ‚World of Warcraft‘ gibt es keine Einzelkämpfer“, sagt Uwe Wendt. Die Spieler müssen sich im Netz mit anderen zu sogenannten Gilden zusammenschließen, in denen auch alte Werte wie Treue und Verlässlichkeit, teils auch Aufopferung, noch etwas gelten.
Und die Jugendlichen halten sich daran – mehr vielleicht, als Eltern lieb ist: Denn was zählt die Aufforderung der Mutter, endlich mal die Hausaufgaben zu machen oder zum Abendessen herunterzukommen, wenn man sich schon vor Tagen über Internettelefonie mit den anderen Gruppenmitgliedern zu einem wichtigen virtuellen Kampf verabredet hat, der genau jetzt stattfinden soll? Kneifen gilt nicht. „Das ist so, als wenn sich die Clique zum Fußballspielen verabredet hat und derjenige, der den Ball mitbringen soll, sagt ab“, sagt Wendt.
Gerade die Online-Rollenspielen bergen eine hohe Suchtgefahr
Tatsächlich ist es oft die Unwissenheit über die Komplexität von Online-Spielen, die Eltern besorgt werden lassen: „Sie sehen eben nur, dass der Junge täglich alleine vor dem Computer sitzt, statt sich im realen Leben mit Freunden zu treffen“, sagt Wendt.
Dass dies trotz allem Risiken birgt, wollen die Medienexperten nicht bestreiten: Denn gerade die Online-Rollenspielen bergen eine hohe Suchtgefahr. So müssen die Spieler beispielsweise bei „World of Warcraft“ sehr lange für eine Belohnung kämpfen – sei es einen Gegner zu besiegen oder bestimmte Dinge zu sammeln. Ist diese Aufgabe gelöst, werden Glückshormone ausgeschüttet. „Und auf dieses Gefühl wollen viele nicht mehr verzichten“, sagt Wendt. So mancher verschwindet immer länger in der virtuellen Welt, in der er die Anerkennung erhält, die er im wahren Leben nicht bekommt.
Mit einigen solchen Dauerspielern haben Studenten der Hochschule ein Projekt gestartet: Statt Fantasiewesen zu besiegen, sollten die Teilnehmer das Spiel und ihre Charaktere als Kulisse für einen selbst gedrehten Videoclip nutzen. Zwar saßen die Spieler für den etwa sieben Minuten langen Film ebenfalls fast acht Stunden vor dem Rechner, dennoch sieht die Studentin Sabine Lohmüller, die das Projekt betreut hat, dies als wichtigen Schritt: „Jede Stunde, die diese Dauerspieler nicht damit verbringen, sich auf das Spiel zu konzentrieren, sondern es als Mittel für ein kreatives Projekt nutzen, ist für sie ein Erfolg.“
Eltern sollten sich mehr mit der virtuellen Lebenswelt ihrer Kinder auseinandersetzen
Wie erfolgreich diese Strategie sich tatsächlich beim Kampf gegen die Computerspielsucht erweisen wird, bleibt abzuwarten. „Es könnte ein Weg sein, den Lehrer und Sozialpädagogen gehen könnten, um den Betroffenen zu helfen“, sagt Claus-Dieter Schulz. Wo könne man schließlich den Betroffenen besser begegnen als dort, wo sie sich die meiste Zeit aufhalten?
Aus diesem Grund raten die Experten der Hochschule vor allem Eltern dazu, sich mehr mit der virtuellen Lebenswelt ihrer Kinder auseinanderzusetzen – und sich dabei nicht nur auf Broschüren zu verlassen. Besser sei es, sich vom eigenen Sohn sein Computerspiel erklären zu lassen. Oder es gar selbst mal auszuprobieren. „Wir haben mal an einem Infoabend Mütter und Väter ‚Counterstrike‘ spielen lassen“, sagt Claus-Dieter Schulz. Für viele sei dies ein Aha-Erlebnis gewesen. Denn wenn die Eltern herausgefunden haben, welche Regeln in der virtuellen Welt gelten – so die Erfahrung der Experten – könnten sie auch leichter Absprachen in der realen Welt treffen.