Die ehemalige Autowerkstatt an der Möhringer Landstraße bietet einen idealen Raum für die Arbeiten von Florina Leinß. Foto: Sabine Schwieder

Die Stuttgarter Künstlerin Florina Leinß stellt noch bis zum 1. Dezember in der Galerie Farbwerk Arbeiten aus, mit denen sie die Grenzen der Malerei auslotet.

Vaihingen - Der erste Blick fällt auf eine Art Wasserbecken im Boden. Ist es wirklich Wasser? Oder vielleicht doch ein Gemälde? Die Stuttgarter Künstlerin Florina Leinß hat den Eingangsbereich der Galerie Farbwerk an der Möhringer Landstraße mit einer spiegelnden, dunklen Fläche bestückt, die von den Besuchern vorsichtig umrundet wird. Es ist ein poetischer Hinweis auf den Ursprung dieser temporären Galerie, einer ehemaligen Autowerkstatt, in der die Galeristin Christine Schönherr seit dem Frühjahr auch Workshops und Farbberatung anbietet. Die Mulde, in der früher Motorenöl abgefangen wurde, lässt die Menschen nun stutzen und lockt sie zugleich in den großen Galerieraum.

Überraschendes aus der rationalen Welt

Leinß ist die zweite Künstlerin, die im Farbwerk ausstellt. Die Stuttgarterin, 1984 in Freudenstadt geboren, hat an der hiesigen Akademie studiert, wo sich die Wege der beiden Frauen kreuzten. Wie ihre Gastgeberin auch macht sie reduzierte, oft überraschende Kunst und hat sich vom Gegenständlichen immer mehr dem Abstrakten zugewandt. „Mich interessiert die technische Welt, von rationalen Gedanken geprägt. Technik wird oft als unmenschlich gesehen, ist aber ein durch und durch menschlicher Aspekt des Lebens.“

Bilder, die begehbar sind

Ihr in der Edition Taube jüngst veröffentlichtes Künstlerbuch hat sie daher „Ersatzteillager“ betitelt: Gelegentlich sind Fundstücke in die Bilder eingearbeitet. Vor allem aber geht es um Formen und Farben, um ein verwirrendes Spiel mit den Grenzen der Malerei. Speziell für die Ausstellung im Farbwerk hat Florina Leinß eine dreiteilige Arbeit geschaffen, für die sie Wände und Boden als Leinwand benutzt hat. An eine große Seitenwand sind graue Balken gelehnt, die auf den ersten Blick Schatten werfen. Diese Schatten haben sich allerdings selbstständig gemacht und neue Formen entwickelt. „Das erschließt sich am besten, indem man das Bild begeht“, rät dazu die Galeristin.

Kühle Farben

Von Farbspezialistin Schönherr hat Florina Leinß für dieses Werk eine Farbpalette zur Verfügung gestellt bekommen, die ihrer üblichen Vorliebe durchaus entspricht. Sie mag kühle Farben, zu harmonisch und „warm einhüllend“ soll es nicht werden. Bei „pic 130.18 mystic harlekin tausendundeine Nacht“ fand sie es spannend, aus der begrenzten Auswahl etwas Eigenes zu machen. „Dem Vorgegebenen ein Schnippchen schlagen“, sagt sie. So hat sie das Rautenmuster, das der Farbton „Harlekin“ assoziiert, aufgegriffen, doch die daraus entstandenen Formen machen, wie sie sagt, ihr eigenes Ding.

Gemalt oder gefräst?

Auf Überraschungen muss man also gefasst sein. Eine ältere Arbeit zeigt ein Kissen, das von Hölzern umgeben ist, doch beim genauen Hinsehen erweisen sich die Hölzer als hineingefräst. Aus ausgeschnitten Fotografien von Fenstern hat Leinß die Collagen „blind windows“ gemacht: Fenster, die ihre Funktion verloren haben und zu Farbflächen werden. Eine Tür öffnet den Blick zu einem nicht existierenden Raum. Wie in der Renaissance, findet die Urheberin des Bildes: Die Öffnung zeigt den Blick auf die Welt.

Galerie mit Ablaufdatum

Besonders schön gelungen ist Florina Leinß das Spiel mit den Farben beim Bild „pic 126.18 hold“: Vor einem schwarzen und braunen Hintergrund tummeln sich Formen in Ultramarin. Sie scheinen gefaltet zu sein, doch beim genaueren Hinsehen stellt man fest, dass sie sich nicht wirklich entfalten lassen. Aber sie ziehen an und sie bewirken eine Tiefe, die aus dem Gemälde ein dreidimensionales Werk werden lässt. Eine Arbeit, die perfekt zum großen Ausstellungsraum im Farbwerk passt. Doch in die Betrachtung mischt sich bereits etwas Wehmut: Im nächsten Sommer soll das Gebäude abgerissen werden, das Gelände neu bebaut werden. Die Galerie Farbwerk ist leider nicht für die Dauer gedacht.