Nach Rassimusvorwürfen hat die US-Autorin Amélie Wen Zhao ihren ersten Fantasyroman „Blood Heir“ noch vor Erscheinen zurückgezogen. Foto: Delacorte

Es war der große Durchbruch: 2018 konnte die US-Autorin Amélie Wen Zhao ihren Erstlingsroman „Blood Heir“ bei einem guten Verlag platzieren. Jetzt hat sie selbst die geplante Veröffentlichung gestoppt. Im Netz wurde das Buch vorab heftig attackiert.

New York - Im Januar 2018 schöpften viele Hobbyautorinnen mit einem Manuskript in der Schublade wieder einmal Hoffnung. Für Amélie Wen Zhao, eine Amerikanerin chinesischer Abstammung, war das große Märchen wahr geworden: „Ich werde gedruckte Autorin“ jubelte sie in Großbuchstaben und mit vielen Ausrufezeichen auf ihrer Website. Das Verlagshaus Delacorte hatte ihr einen sechsstelligen Vorschuss für ihr Romandebüt „Blood Heir“ bezahlt, den Auftakt einer Fantasy-Trilogie für ein eher jugendliches Publikum. Als Erstverkaufstag steht auf Zhaos Website noch immer der 4. Juni 2019, aber das ist Schnee von gestern. Nach einer Vorwurfs-, Anklage- und Gemunkelkampagne in den sozialen Netzwerken hat Amélie Wen Zhao ihr Buch zurückgezogen.

Mal in kryptischen Andeutungen, mal in wütenden Tiraden ohne nähere Textbelege wird der Autorin vorgeworfen, sie verbreite in ihrer Fantasywelt unerträgliche Klischees über die chinesische Kultur, verharmlose den Rassismus sowie die historische Sklaverei und verletze die Gefühle von Afroamerikanern und Asiaten. Tatsache ist, dass Vorabexemplare des Buches an viele Blogger und Influencer verschickt wurden. Gerade bei Fantasy und Jugendliteratur sind positive Vorabrekationen im Netz von großer Bedeutung. Theoretisch könnten also zumindest einige Kritikerinnen „Blood Heir“ wirklich ganz gelesen haben.

Ton und Unbedingtheit der Vorwürfe selbst lassen darauf aber nicht unbedingt schließen. Die Attacken folgen den Mustern Politischer-Korrektheits-Erregung: Die Darstellung von etwas wird nach Belieben mit der Befürwortung des Dargestellten gleichgestellt; das Spielerische von Kunst wird geleugnet und jedes Gedankenspiel als Handlungsanweisung für die Realität gedeutet; die Fähigkeit der Konsumenten, Fiktion und Realität zu trennen, überhaupt nicht in Betracht gezogen.

Die in Paris geborene, in Peking aufgewachsene, mit 18 Jahren in die USA gekommene Autorin wurde von der Vorwurfswalze wohl kalt erwischt. Ihre Stellungnahme klingt verdattert: Es sei, schreibt sie in einem offenen Brief, nie ihre Absicht gewesen, irgendjemanden zu kränken. Und fast demütig bekennt sie, nun einzusehen, dass sie nicht nur im „eigenen kulturellen Kontext“ geschrieben habe.

Dass Amélie Wen Zhao ihr Buch nun selbst zurückgezogen hat, also mit Selbstzensur reagiert, ist ein Punktsieg für jene, die Minderheitenrechte als System exklusiver Ansprüche begreifen. Über Ethnien, sexuelle Orientierungen und andere Gruppen dürfte demnach nur schreiben, wer ihnen angehört. Und selbst innerhalb dieser Gruppen gibt es Sittenwächter, die entscheiden, was geschrieben werden darf. Der Verlag Delacorte allerdings hat zweideutig geäußert, man respektiere Wen Zhaos Entscheidung, freue sich aber darauf, weiter mit ihr zusammenzuarbeiten. Das kann heißen, man wird sie zu überreden versuchen, das Buch doch noch freizugeben. Oder man ist bereit, mit ihr zusammen das Buch entlang der Wünsche der Empörten zu überarbeiten.