Familienstartzeit, Kindergrundsicherung, Recht auf Homeoffice – geht es nach Expertinnen aus Baden-Württemberg, gibt es für die kommende Regierung in Sachen Familienpolitik viel zu tun. Ein Überblick.
Als feministisch und progressiv wurden die Vorhaben der Ampel-Regierung 2021 gefeiert. Einiges aus dem Koalitionsvertrag, wie etwa die Erhöhung der Kinderkrankentage und das Kita-Qualitätsgesetz haben SPD, Grüne und FDP umgesetzt. Anderes – etwa die Familienstartzeit nach der Geburt eines Kindes und die Kindergrundsicherung – blieb ein Versprechen. Wo liegen die Herausforderungen für die nächste Regierung? Was wünschen sich Expertinnen in diesem Politikfeld?
Familienmodelle/Alleinerziehende
Wie Familienleben sich in Deutschland verändert hat, machte nicht zuletzt der Zehnte Familienbericht im Auftrag des dazugehörigen Bundesministeriums in diesem Januar klar: Er stellt die stetig wachsende Gruppe Alleinerziehender – derzeit etwa 1,7 Millionen – in den Mittelpunkt, und empfiehlt ein lange Liste an Dingen, die ihnen helfen und vor allem ihr Armutsrisiko begrenzen sollen. Unter anderem solle gefördert werden, dass Mütter sich schon vor einer Trennung durch Erwerbsarbeit finanziell absichern. Dass Eltern Sorgearbeit gerecht verteilen – und dies auch im Falle einer Trennung so fortführen – sei ein weiteres wichtiges Ziel, heißt es in den Empfehlungen.
Mitautorin Pia Schober, Professorin für Soziologie an der Universität Tübingen, sagt: „Alleinerziehende Frauen kommen in finanzielle Probleme, weil sie zuvor in der Partnerschaft ein traditionelles Familienmodell gelebt haben, in dem sie nicht oder nur wenig arbeiteten.“ Die Politik müsse Anreize, die das klassische Modell fördern – so etwa das Ehegattensplitting – reduzieren.
„Das passt nicht zusammen!“
Überhaupt stellt sie widersprüchliche Erwartungen von Gesetzesseite aus an Frauen fest: Einerseits stehe ihnen eine dreijährige Elternzeit und eine Reduktion der Arbeitsstunden auf Teilzeit zu. Andererseits sehe das reformierte Unterhaltsgesetz die Verpflichtung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ab dem Alter von drei Jahren des Kindes für beide Elternteile vor – und vermittle damit, dass Frauen möglichst schnell wieder arbeiten und finanziell unabhängig werden sollen., „Das passt nicht zusammen,“ kritisiert Pia Schober. Die Politik müsse überlegen, welche Familienmodelle sie fördern will – und dies konsistent verfolgen. Studien hätten gezeigt: Werden Menschen über die langfristigen finanziellen Folgen eines Alleinverdienermodells aufgeklärt, befürworten sie dieses Modell deutlich seltener.
Dass eine zukünftige Regierung auch andere Lebensmodelle – etwa unverheiratete oder gleichgeschlechtliche Paare und Patchwork-Familien – rechtlich absichert, wünschen sich Christel Althaus und Alexandra Klein vom Landesfamilienrat Baden-Württemberg. Es gelte den Familienbegriff über die klassische Kleinfamilie hinaus zu denken. Im Koalitionsvertrag habe es dazu gute Ideen gegeben, die man wieder aufgreifen könne. Adoptionen sollten auch ohne Trauschein möglich sein, das Abstammungsrecht lesbischen Müttern von Anfang an gleiche Rechte und Pflichten wie heterosexuellen Eltern zugestehen.
Betreuungslandschaft
Der Ausbau von Kitaplätzen und schulischer Ganztagsbetreuung ist sowohl für Pia Schober als auch für Alexandra Klein und Christel Althaus ein zentraler Baustein, von dem Themen wie Vereinbarkeit und finanzielle Absicherung von Familien abhängen. Dass er derzeit durch den Fachkräftemangel ausgebremst wird, im Gegenteil Betreuungszeiten vielerorts reduziert werden, ist für Pia Schober besonders bitter: „Der Fachkräftemangel war seit zehn Jahren absehbar. Die Politik hat viel zu spät reagiert“, so ihr Befund. Das Kita-Qualitätsgesetz sei zwar ein wichtiger Schritt gewesen, den Kommunen fehle allerdings trotzdem Unterstützung bei der Lösung des Problems. Sie fordert mehr Geld vom Staat sowie ein Netzwerk, in dem Best-Practice-Beispiele ausgetauscht werden, etwa wenn es darum geht, Fachkräfte im Ausland zu gewinnen.
Vereinbarkeit von Familie,Pflege und Beruf
Alexandra Klein und Christel Althaus bedauern, dass die Familienstartzeit, die eine zweiwöchige Freistellung des Partners nach der Geburt eines Kindes vorsah, nicht umgesetzt wurde. „Deutschland ist laut EU-Richtlinie eigentlich verpflichtet, so etwas einzuführen“, sagt Klein. Sie hielte es für wichtig, dass die Höhe des Elterngeldes, das bei 1800 Euro im Monat gedeckelt ist, steigt.
Pia Schober regt an, sich skandinavische Länder zum Vorbild zu nehmen: Dort erhielten Eltern höhere Einkommensersatzleistungen und hätten längere individuelle Ansprüche auf Elterngeld. Für Deutschland schlägt sie vor, die Höhe des Elterngeldes daran zu koppeln, wie paritätisch sich ein Paar die Elterngeld-Monate aufteilen. Die Vertreterinnen des Landesfamilienrates nennen weitere Bausteine auf dem Weg zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf: „Ein Recht auf flexible Arbeitszeiten und Homeoffice.“ Sie beziehen das aber nicht nur auf die Sorge um Kinder. Auch wenn Arbeitnehmer Auszeiten für die Pflege kranker oder alter Angehöriger nehmen wollen, fehle ein angemessener rechtlicher Rahmen: „Arbeitsverhältnisse müssen flexibilisiert werden, Auszeiten möglich sein, auch für Nichtangehörige, die Kinderbetreuung oder Altenpflege übernehmen“, sagt Christel Althaus.
Kindergrundsicherung und andere Hilfen für Familien
Dass die Kindergrundsicherung, die bestehende Sozialleistungen wie Kindergeld , Kinderzuschlag und Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket bündeln und einfacher zugänglich machen sollte, am internen Koalitionszwist und der handwerklich schlechten Vorbereitung scheiterte, bedauern Althaus und Klein. Sie halten es für eines „der wichtigsten Vorhaben für die Zukunft“. Ohnehin müsse mehr für finanziell schwache Familien getan werden. So wünschen sie sich, dass das Programm der so genannten Frühen Hilfen, das Familien in der Erziehung in den ersten Jahren unterstützt, auf Familien mit älteren Kindern ausgeweitet wird. Auch Programme der Familienerholung müssten gestärkt werden.
Positiv: das Startchancenprogramm
Positiv sei, dass mit dem Startchancenprogramm Geld in Schulen in sozialen Brennpunkten fließt. Klein und Althaus hoffen, dass die nächste Regierung an die teils bereits angeschobenen Vorhaben anknüpft. So sei das Inklusive Kinder- und Jugendhilfegesetz, das Leistungen für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen zusammenführt, fertig ausgearbeitet. „Ich hoffe, dass es an die neue Regierung übergeben wird und dann direkt umgesetzt wird. Denn wir waren noch nie so nah dran wie jetzt“, sagt Alexandra Klein.