Eines von mehreren Familienmodellen Foto: granata68 - Fotolia09

Viele Eltern wünschen sich mehr Unterstützung, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Ihnen würde mehr Flexibilität bei der Kinderbetreuung und am Arbeitsplatz helfen.

Stuttgart - „Die Landesregierung wird weiterhin alles tun, um die Erziehungskraft der Familie zu stärken“, kündigte die neue Regierung an: Die Familienberatungsstellen sollten weiter gefördert, „die Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Frauen in den Beruf“ fortgeführt, die Alterssicherung von Müttern verbessert werden. Von Vätern war im Regierungsprogramm, das die baden-württembergische CDU und FDP 1996 vereinbarten, noch keine Rede.

Das hat sich geändert. „Das Interesse der Väter an einer aktiveren Beteiligung an der Kindererziehung ist gestiegen“, erklärten Grüne und SPD 2011 in ihrem Koalitionsvertrag und kündigten einen „neuen Aufbruch in der Familienpolitik“ an: „Baden-Württemberg braucht eine neue, an den vielfältigen Lebensrealitäten von Eltern und Kindern orientierte Familienpolitik“, heißt es dort. Auch im Südwesten wollten Frauen und Männer „beides: Beruf und Familie gleichzeitig und nicht alternativ“. Deshalb müssten die Kinderbetreuung verbessert und andere Arbeitszeitmodelle eingeführt werden.

Keine neue Idee. Landesfrauenrat, Landesfamilienrat und Wohlfahrtsverbände hatten das seit langem gefordert. Vieles hat sich in den vergangenen 20 Jahren auch verbessert – vor allem durch Entscheidungen des Bundes: Seit 1996 haben Kinder ab drei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, seit August 2013 gilt dieser auch für Kinder unter drei Jahren. Mittlerweile haben berufstätige Mütter und auch Väter Anspruch auf Elternzeit, um ihre kleinen Kinder zu betreuen und zu erziehen – Elterngeld gleicht einen Teil der finanziellen Einbußen aus.

Familie und Beruf sind oft schwer zu vereinbaren

Dennoch bleibt viel zu tun. In der Praxis sind Familie und Beruf oft schwer unter einen Hut zu bringen. Viele Eltern wünschen sich von Land und Kommunen flexiblere Betreuungsangebote in Kindergärten und Schulen, eine bessere Hausaufgabenbetreuung und warmes Mittagessen in der Schule sowie finanzierbare Ferienangebote. Das zeigt eine neue Studie zum Familienbild der Baden-Württemberger, die die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung und das Fritz-Erler-Forum Baden-Württemberg in Auftrag gegeben haben.

Auch von ihren Arbeitgebern wünschen sich Eltern mehr Unterstützung. Drei Viertel empfänden es als große Hilfe, wenn sie bei der Arbeitszeit mehr Spielraum hätten. Fast 30 Prozent der Väter äußern den Wunsch, die Stundenzahl zu reduzieren. Sie befürchten jedoch finanzielle Einbußen und einen Karriereknick, wenn sie sich für eine längere Auszeit oder Teilzeit entscheiden. Zwar steigt die Zahl der Väter, die Elternzeit beantragen – die meisten aber nehmen nur die Mindestzeit von zwei Monaten in Anspruch.

Das Familienbild habe sich in den vergangenen Jahren auch im Südwesten deutlich gewandelt, sagte Sabine Fandrych, Leiterin des Fritz-Erler-Forums Baden-Württemberg, bei der Präsentation der Studie am Freitag. „Die Männer und Frauen in Baden-Württemberg stehen neuen Familien- und Lebensmodellen insgesamt sehr offen gegenüber, auch wenn tradierte Leitbilder noch stark verankert sind.“

Anteil der unverheirateten Mütter steigt

Das belegen auch neue Zahlen des Statistischen Landesamts. Der Anteil der nichtehelichen Kinder im Südwesten hat sich gegenüber 1990 fast verdreifacht. 95 632 Kinder wurden im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg geboren, die Eltern von 23 398 Kindern waren nicht verheiratet. Dabei gibt es große Unterschiede. In Freiburg war der Anteil der unverheirateten Mütter mit 36 Prozent fast doppelt so groß wie im Enzkreis mit 19 Prozent.

Die Statistiker führen die steigende „Nichtehelichenquote“ vor allem darauf zurück, dass neben der Ehe andere Lebensformen an Bedeutung gewonnen haben. Während 1980 noch 75 Prozent der 30- bis 34-Jährigen verheiratet waren, sind es heute knapp 50 Prozent. Dass Mädchen höhere Bildungsabschlüsse machen als früher und Frauen häufiger berufstätig sind, macht sie wirtschaftlich unabhängiger. Auch die Unterschiede zwischen Stadt und Land haben sich verringert – aus Sicht der Bevölkerungsexperten eine Folge der „starken Umzugsaktivitäten in den letzten Jahrzehnten“.

Diese Veränderungen zeigen sich auch in der Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Fritz-Erler-Forums. Alt und Jung sind sich einig, dass verheiratete Ehepaare mit Kind(ern) eine Familie sind. Unverheiratete Eltern oder Alleinerziehende mit oder ohne neuen Partner halten die über 50-Jährigen dagegen deutlich seltener für eine Familie als die Befragten unter 30 Jahren. Besonders weit auseinander gehen die Meinungen bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. 90 Prozent der Jungen betrachten homosexuelle Paare mit Kind als Familie, bei den Älteren sind es 55 Prozent.

Mehrheit will partnerschaftliches Modell

Immerhin. Vor zehn Jahren musste der damalige Sozialminister Andreas Renner (CDU) noch den Hut nehmen, weil er die Schirmherrschaft für den Stuttgarter Christopher Street Day – die jährliche Parade der Homosexuellen – übernommen und die Kritik des Bischofs von Rottenburg-Stuttgart mit markigen Worten pariert hatte. Bis zur Akzeptanz sexueller Vielfalt ist es aber noch ein Stück – das zeigen die monatelangen Auseinandersetzungen um die neuen Bildungspläne für die Schulen im Südwesten.

Die meisten Befragten der neuen Studie sprechen sich für ein gleichberechtigtes, partnerschaftliches Modell aus. Die Erwartungen an Väter und Mütter gehen dabei aber weit auseinander: Für Väter hätten weiterhin Erwerbstätigkeit und beruflicher Erfolg Vorrang, meinen ein Großteil der Männer und Frauen, sie sollten sich jedoch auch mehr um ihre Kinder kümmern. Deutlicher gewandelt hat sich das Bild von Müttern: Das traditionelle Rollenverständnis – eine Mutter bleibt zu Hause und versorgt die Familie – findet bei Jüngeren deutlich weniger Zustimmung. Mütter sollen als „Allrounderinnen“ ihre finanzielle Unabhängigkeit sichern und gleichzeitig einen Großteil der Familienarbeit übernehmen.

Mit der Geburt von Kindern endet häufig das partnerschaftliche Modell. Das spiegelt sich schon beim Blick auf die Berufstätigkeit: 84 Prozent der Väter arbeiten Vollzeit, 8 Prozent Teilzeit. Von den Müttern arbeiten 18 Prozent Vollzeit, 61 Prozent Teilzeit. Frauen übernehmen dann häufig traditionelle Aufgaben – allerdings nicht immer ungewollt: Arztbesuche, Windelwechseln und Kinderanziehen, Kochen und Putzen sehen Männer und Frauen hauptsächlich als Aufgabe der Frauen an. Beim Auszahlen des Taschengeldes hingegen ist Papa gefragt.

SPD will Ganztagsgarantie für alle

Für SPD-Landeschef Nils Schmid ist die Studie „Bestätigung und Ansporn unserer Politik“. Die Ergebnisse zeigten, wie wichtig die hohen Investitionen etwa in die Kinderbetreuung oder die Ganztagsschulen gewesen seien. Dieses Engagement für Familien mit Kindern wolle die SPD in der nächsten Legislaturperiode weiter ausbauen: „Ich will eine Ganztagsgarantie vom ersten Geburtstag bis zum letzten Schultag schaffen.“

Ein schönes Versprechen. Wie schwer sich die Beteiligten in der Realität tun, zeigt ein Blick zurück. Als die damalige CDU-FDP-Koalition in Bonn 1992 einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz beschloss, hagelte es viel Kritik. Das sei verfassungswidrig, weil es von den Kommunen Unmögliches verlange, klagte Manfred Rommel, seinerzeit Oberbürgermeister von Stuttgart und Deutscher Städtetagspräsident. Dafür fehlten Plätze und Personal, Ähnlich klang es, als der Rechtsanspruch für Kinder unter drei Jahren erfolgte.