Hin- und hergerissen: Auch nach der Trennung brauchen Kinder die Bindung zu Vater und Mutter. Foto: granata68/AdobeStock

Nach einer Trennung leben Kinder oft bei einem Elternteil. Väterverbände sehen ihre Klientel benachteiligt. Der Bundestag diskutiert jetzt, ob es künftig der Regelfall sein soll, dass Kinder zwei Wohnsitze haben sollen. Was sagen die, die damit Erfahrung haben?

Stuttgart - Eigentlich haben wir von Anfang an eine Art Wechselmodell praktiziert“, sagt Martina Silas*. Als die Kinder klein waren, kümmerte sie sich bis zum Nachmittag um Tochter und Sohn. Wenn dann ihr Partner übernahm, ging sie ins Büro. Für gemeinsame Unternehmungen blieben die Wochenenden. Doch mit der Trennung vor sechs Jahren stand plötzlich die gemeinsame Sorge für die Kinder auf der Kippe. Da sich das Paar zunächst nicht einigen konnte und sie inzwischen die Hauptverdienerin war, drängte das Jugendamt darauf, dass sie Unterhalt zahlen, aber nicht mit den Kindern leben sollte. Monate quälender Streits folgten: um die Kinder, um den Wohnort, ums Geld. Schließlich fanden sie einen Ausweg: In den geraden Kalenderwochen sind die Kinder bei ihr, in ungeraden beim Vater. Das ist praktikabel, weil sie in der gleichen Stadt leben. Feiertage und Ferien verbringen sie mal hier, mal da.

In zwei Welten mit unterschiedlichen Regeln

Ganztagsschule und Nachmittagsbetreuung erleichtern es, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Als Architektin kann sich Martina Silas ihre Arbeitszeit weitgehend selbst einteilen. Dennoch bleibe es ein Spagat, sagt sie, auf Anerkennung oder Rücksicht könne sie wenig hoffen. „Du bist ja nie da“, bekommt sie von Kollegen häufig zu hören, obwohl sie die Wochen ohne Kinder überwiegend in der Firma verbringt, auch bis spätabends. Da diese über zwei Stunden von ihrem Wohnort entfernt ist, arbeitet sie öfter am heimischen Schreibtisch, wenn die beiden bei ihr sind.„Ich denke, dass wir mit diesem Modell unseren Kindern am besten gerecht werden“, sagt Martina Silas. Diese murren zwar gelegentlich, wenn sie am Wochenende Schulsachen und Lieblingsklamotten einpacken müssen, aber sie freuen sich auch auf den anderen Elternteil. Dass sie in zwei Welten mit unterschiedlichen Regeln leben, sei nur deshalb kein Problem, „weil wir Erwachsenen das akzeptieren und nicht übereinander herziehen“. Im Alltag gebe es die gleichen Konflikte wie in anderen Familien auch – etwa um Hausaufgaben, Taschengeld oder Ausgehzeiten.

Der Planungsaufwand wird oft unterschätzt

Die Eltern leben inzwischen ebenfalls gut mit dem Kompromiss. Sie sind finanziell voneinander unabhängig und damit ein häufiges Streitthema los. Und sie haben Zeit für ihre Kinder. Die beiden nur jedes zweite Wochenende zu sehen, hätte sie schwer ausgehalten, sagt Martina Silas. Eine Woche beim Vater, eine bei der Mutter fordert jetzt auch ein Mitschüler ihres 13-jährigen Sohnes von seinen Eltern. Dass der Vater tagsüber arbeite, sei doch kein Problem. Mit diesem morgens und abends zu essen reiche völlig und sei allemal besser, als ihn nur jedes zweite Wochenende zu besuchen.

Auch Bernd Käufer* konnte sich nach der Trennung von seiner Frau nicht vorstellen, nur noch zweimal im Monat Zeit mit seinen damals fünf und sieben Jahre alten Töchtern zu verbringen. Ihm war schnell klar, dass er dafür einiges in die Waagschale werfen musste: Hobbys und Ehrenämter fielen weg, jede zweite Woche gehörten die Abende den Mädchen, auf dem Programm standen Spielen, Hausaufgabenhilfe, Kochen. „Mir war wichtig, dass sie sich bei mir wohlfühlen“, erzählt er. Weil er und seine Ex-Frau beruflich sehr eingespannt waren, planten sie jeweils am Jahresanfang, welche Wochen die Kinder bei wem verbringen würden. „Dass die Wohnungen nahe beieinander und in der Nähe der Schule waren, machte vieles einfacher“, sagt Bernd Käufer. Und auch, dass die Großeltern einsprangen, wenn ein Kind erkrankte oder der Unterricht früher endete.

Vom begleiteten zum selbstverständlichen Umgang

„Anfangs fanden meine Klassenkameraden komisch, dass meine Schwester und ich jede Woche umzogen“, erzählt Elena*, die nächstes Jahr Abitur macht. Für sie sei das bald ganz normal gewesen, und sie sei froh, dass sie eine enge Beziehung zu ihrer Mutter und ihrem Vater habe. Bei einem Freund beobachtete sie, wie schmerzhaft es ist, wenn das nicht klappt. Weil seine Eltern sich mit allen Mitteln bekämpften, sah er seinen Vater jahrelang nicht – und war ziemlich sauer auf ihn.

Mit solchen Konflikten hat Christine Brost fast jeden Tag zu tun. Im Haus der Familie in Bad Cannstatt ist sie für den sogenannten begleiteten Umgang zuständig. Diesen können Gerichte und Jugendämter veranlassen, wenn ein Elternteil vermeiden will, dass der anderen Kontakt zu den gemeinsamen Kindern hat. Die Gründe dafür sind vielfältig. Brost versucht, Eltern klarzumachen, dass ihre Gefühle nicht die ihres Kindes sind und dass Kinder beide Elternteile wollen und brauchen, wenn nicht schwerwiegende Gründe wie etwa vorangegangene Gewalt oder sexueller Missbrauch dagegensprechen. Bei den Treffen ist sie dann mit im Raum und achtet darauf, wie es dem Kind geht.

Gute Beratung in der Trennungsphase würde den Eltern helfen

Eine Hilfe wäre es aus Sicht von Martina Silas, wenn Jugendämter und Gerichte sich nicht so schnell festlegen würden, wo die Kinder leben sollen. Bei ihr war das Wechselmodell anfangs abgelehnt worden, weil ihr Fall als „hochstrittig“ galt. Aber die meisten Trennungen seien hochemotional, sagt sie. Gute Beratung könne Eltern helfen, das Wohl der Kinder über eigene Befindlichkeiten zu stellen. Wie sehr der Lebensmittelpunkt die Entwicklung beeinflusst, hat Silvy* bei ihrem Bruder erlebt. Obwohl die Geschwister jedes zweite Wochenende beim Vater verbrachten, fühlte sich der Bruder von ihm verraten. Deshalb wollte sie nach ihrer eigenen Trennung ihrer Tochter eine solche Erfahrung ersparen. Anfangs wechselte die Tochter nach dreieinhalb Tagen, dann nach einer Woche und inzwischen alle zwei Wochen den Wohnort. „Uns war immer eine gute Übergabe wichtig, damit der andere wusste, was im Kindergarten und später in der Schule oder in der Freizeit ansteht“, sagt sie. Das lief nicht immer spannungsfrei. Sie selbst war brüskiert, als ihr Ex-Mann seine neue Partnerin unangekündigt zum Bastelabend in den Kindergarten mitbrachte. Die Tochter fühlte sich eine Weile an den Rand gedrängt, als er erneut Vater wurde. Inzwischen sind die Wunden verheilt. Am Abschlussball des Tanzkurses nehmen beide Eltern mit ihren neuen Partnern teil – auf ausdrücklichen Wunsch der Tochter.

*Name geändert