Wo Fahrradbügel eigentlich Falschparker abhalten sollen, stellen sich die Autofahrer jetzt einfach direkt davor. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Auf der Mischverkehrsfläche in der Tübinger Straße gilt gleiches Recht für Fußgänger, Rad- und Autofahrer. Doch die Praxis sieht anders aus. Besonders Falschparker kümmern sich nicht um die Regelung. Die Bezirksvorsteherin fordert jetzt drastische Maßnahmen.

Stuttgart - Eine Autofahrerin tastet sich irritiert über die Kreuzung Tübinger und Christophstraße. Radfahrer schießen von allen Seiten vorbei, Passanten überqueren die Straße. Die meisten Fußgänger gehen an den Seiten – dort, wo früher mal die Gehsteige waren. So richtig was geändert hat sich nicht im sogenannten Shared Space. In dieser Mischverkehrszone gelten für alle gleiche Rechte, die Unterscheidung zwischen Bürgersteig und Straße ist aufgehoben, es gilt Tempo 20 und Parkverbot. Doch das schert kaum einen. Jede freie Stelle ist von Autos oder Motorrädern zugestellt. Direkt unter dem Schild, das nur das Be- und Entladen für zulässig erklärt, parkt ein Auto mit Warnblinklicht. Vom Fahrer ist weit und breit nichts zu sehen.

Der viel beachtete Verkehrsversuch, der Modellcharakter bekommen sollte, erregt nach wie vor die Gemüter. 5930 Verwarnungen hat das Ordnungsamt dort im Jahr 2013 verteilt – ein Lerneffekt ist trotzdem nicht eingetreten. Im vergangenen Jahr waren es sogar 8163 Strafzettel. Im Juli hat das Tiefbauamt neue Sitzbänke und Fahrradbügel aufgestellt, um Falschparker abzuhalten. Seither quetschen sie sich in die verbliebenen Lücken. „Oder sie stellen sich quer vor die Bänke, sodass man die nicht einmal mehr nutzen kann“, sagt Veronika Kienzle.

Die Bezirksvorsteherin von Stuttgart-Mitte ärgert sich massiv über die Zustände in der Tübinger Straße. Und sie erhebt schwere Vorwürfe gegen die Stadtverwaltung: „Wir haben an dieser Stelle ein ordnungspolitisches Defizit. Ich kann nicht verstehen, dass das Amt für öffentliche Ordnung nicht mehr tut.“ Kienzle betont, der Bezirksbeirat sei fraktionsübergreifend der Meinung, „dass man an dieser Stelle endlich einmal richtig durchgreifen muss“. Sie glaubt: „Wir brauchen eine massive Aktion für zwei oder drei Monate, am besten rund um die Uhr.“ Wer dort verbotenerweise parke, sei meist ein „Wiederholungstäter“, der sich mit voller Absicht so verhalte: „Es ist nicht mehr wie am Anfang, wo manche Leute das nicht gewusst haben. Es ist völlig klar, dass man dort nicht parken darf.“

Die Verwarnungsgelder schrecken kaum jemanden ab

Zumindest den letzten Punkt bestätigt Joachim Elser. „Es ist sehr auffällig, dass es gegen die ausgestellten Verwarnungen fast keine Einwendungen gibt.“ Das bedeutet für ihn, dass die meisten Autofahrer dort ganz bewusst regelwidrig parken und die Strafe von je nach Parkdauer 15 oder 25 Euro einfach in Kauf nehmen. „Die bundesweit festgelegten Sätze schrecken nicht ab“, weiß der Leiter der Verkehrsüberwachung im Ordnungsamt. Was noch dazu kommt: Abschleppaktionen kommen dort nicht infrage, weil sie rechtlich als unverhältnismäßig gelten würden. Sie sind nur in Fußgängerzonen möglich oder wenn ganz konkrete Behinderungen nachgewiesen werden.

Mehrmonatige Aktionen sind laut Elser aber nicht machbar. „Das ist ohnehin schon der bestüberwachte Bereich in ganz Stuttgart“, sagt er. Und weist darauf hin, dass sich zumindest seit der Ummöblierung im Sommer etwas getan habe. In diesem Jahr hat es bisher 4452 Verwarnungen gegeben, davon nur noch 766 seit Ende Juli. Wer regelmäßig auffällt, wird der Führerscheinstelle gemeldet – und muss damit rechnen, zur gefürchteten Medizinisch-Psychologischen Untersuchung geladen zu werden. Generell sieht Elser im Shared Space kein Erfolgsmodell: „Eine wirkliche gegenseitige Rücksichtnahme findet dort nicht statt.“

An diesem Punkt widerspricht Veronika Kienzle. „Ich glaube nicht, dass der Shared Space gescheitert ist – nur die ordnungspolitische Maßnahme, weil die Stadt nicht durchgreift.“ Die Leute wollten die Mischverkehrsfläche. Fußgänger, Radler und Autofahrer hätten sich arrangiert. „Auf der Straße gibt es keine Konflikte. Nur die Wildparker sind ein Problem.“ Wenn man die nicht bald in den Griff bekomme, „verschenkt die Stadt eine große verkehrspolitische Chance“.

Das Thema soll auch bei der Bürgerversammlung auf den Tisch kommen

Ins Auto mit dem Warnblinklicht kommt derweil doch noch Bewegung. Der Fahrer ist zurück. Aber er hat noch ein paar Augenblicke zu tun, schließlich muss er einige Einkaufstüten im Kofferraum verstauen. Einen Strafzettel hat es an diesem Tag dafür nicht gegeben. Glück gehabt.

Das Thema Shared Space soll auch bei der Bürgerversammlung für Stuttgart-Mitte am Montag ein Thema sein. Sie beginnt um 19 Uhr im Rathaus.