Im Kreis Esslingen haben Unbekannte ein Flugblatt mit teils unwahren Aussagen verteilt. Foto: Roberto Bulgrin

In verschiedenen Kommunen im Kreis Esslingen sind Flugblätter aufgetaucht, die davor warnen, einen Mund-Nasenschutz zu tragen. Doch was ist an den Behauptungen dran?

Kreis Esslingen - Das Tragen eines Mund-Nasenschutzes schwäche das Immunsystem, biete keinen Schutz vor Viren und führe zum Kreislaufkollaps – mit diesen und weiteren Aussagen wurde der pensionierte Lehrer Alfred Hottenträger aus Hohengehren konfrontiert, als er zu Beginn der Woche gegen 10 Uhr in seinen Briefkasten schaute. Unbekannte hatten ein Flugblatt eingeworfen. In anderen Kreisgemeinden – so beispielsweise in Ostfildern und Wernau – sind in der Zwischenzeit die gleichen Zettel aufgetaucht.

Presseberichten zufolge sind sie auch in Düsseldorf verteilt worden. Darauf steht die Überschrift „Lachen ist Leben“ unter dem Foto einer Frau, die sich breit lächelnd eine OP-Maske vom Gesicht zieht. „Als ich den Zettel gelesen habe, ist mein Hals immer dicker geworden“, beschreibt der 70-jährige Hohengehrener seine Reaktion auf den Flyer. Die Aussagen auf der Vorderseite des Blattes werden ergänzt durch Quellenangaben auf der Rückseite. Diese führen allerdings teils zu Internetseiten, die Kritik ernten, weil sie unwissenschaftlich arbeiten oder Verschwörungserzählungen abbilden. Eine letzte Quelle führt zu einem Youtube-Video der seit 2011 verstorbenen Autorin und Management-Trainerin Vera F. Birkenbihl. Ihr Video „Wie Lachen uns gesünder macht“ hat mit der Corona-Pandemie und dem Tragen von Masken schlichtweg nichts zu tun.

Urheber äußert sich nicht zu Flyer

Im klein gedruckten Impressum auf der Vorderseite des Flugblattes ist Bodo Schiffmann aufgeführt, ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt aus Sinsheim. Schiffmann ist bekannt als Corona-Skeptiker und engagiert sich in der „Querdenken“-Bewegung. Einem Zeitungsbericht zufolge verwendet Schiffmann die Mitglieder einer Telegram-Gruppe, um die Flyer in verschiedenen Kommunen auszuteilen. Telefonisch bestätigte eine Mitarbeiterin Schiffmanns, die Flyer könne sich jeder herunterladen, um sie zu verteilen. Auf eine schriftliche Anfrage bezüglich des Inhalts des Flugblatts an die angegebene E-Mail-Adresse bekam unsere Zeitung keine Antwort.

Christian von Schnakenburg, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendliche am Klinikum Esslingen, widerspricht den Aussagen auf dem Flugblatt vehement. Die Argumente geht er einzeln durch, um sie zu entkräften.

These für These entkräften

Auf die These hin, das Tragen von Masken schade der physischen und psychischen Gesundheit von Kindern, sagt von Schnakenburg: „Gegenthese: Infektionskrankheiten schaden der physischen und psychischen Gesundheit, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, und können tödlich verlaufen.“ Das sei wissenschaftlich eindeutig – zum Beispiel durch Zahlen der Weltgesundheitsorganisation – zu belegen.

Auf die Aussage, Masken führten zu Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Kopfschmerzen, Schwindel und Kreislaufkollaps, antwortet von Schnakenburg: „Seit etwa 100 Jahren tragen Chirurgen und alle Beteiligten im OP trotz anstrengender und anspruchsvoller Tätigkeit Mund-Nasenschutz, ohne dass es deswegen vermehrt zu den geschilderte Symptomen kommt.“

Relativer Schutz belegt

Auf dem Flugblatt heißt es weiter, Masken schwächten durch Ansäuerung des Blutes das Immunsystem. „Quatsch“, sagt von Schnakenburg dazu. Auch auf die Behauptung, Schimmelpilze und Bakterien in der Maske könnten dem Träger schaden, reagiert der Mediziner: „Schimmelpilz (und Bakterien) können in Masken nachgewiesen werden, wenn diese über lange Zeit getragen und nicht gewechselt oder nicht gewaschen werden.“ Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte schreibt daher über sogenannte Community-Masken: „Masken sollten nach einmaliger Nutzung idealerweise bei 95 Grad, mindestens aber bei 60 Grad gewaschen und anschließend vollständig getrocknet werden.“

Masken schützten nicht vor Viren, heißt es weiter unten auf dem Flugblatt. Für von Schnakenburg eine Falschaussage. „Der relative Schutz (40 bis 80 Prozent weniger Infektionen) ist mittlerweile in zahlreichen Studien eindeutig belegt“, sagt der Mediziner. „Masken reduzieren das Infektionsrisiko, bieten aber keinen hundertprozentigen Schutz.“ Er verweist auf den Podcast des Virologen Christian Drosten, wo genau dieses Thema ausführlich diskutiert worden sei.

Flyer „total kontraproduktiv“

Zu guter Letzt reagiert von Schnakenburg auf die Behauptung des Flyer-Urhebers, nach der „gängigen medizinischen Literatur“ würden Masken mehr schaden als nutzen. „Selbstverständlich nützen sie mehr als sie schaden, sonst würden sie nicht seit Jahrzehnten im OP und bei Infektionskrankheiten erfolgreich angewendet“, stellt sich der Mediziner klar gegen die Aussage. „Patienten mit respiratorischen Erkrankungen tragen in den vielen Fällen seit Jahren freiwillig Masken in größeren Gruppen oder Kliniken, trotz erschwerter Atmung“, sagt der Mediziner. „Sie nehmen dies in Kauf für mehr Sicherheit.“ Auch von Covid-19-Patienten im Krankenhaus würden Masken toleriert.

Als „total kontraproduktiv“ bezeichnet Baltmannsweilers Bürgermeister Simon Schmid die Flugblätter. „Wir missbilligen diese Aktion. Es gibt Regeln und Vorgaben, an die wir uns jetzt alle halten müssen. Nur so funktioniert der Weg zurück in die Normalität“, sagt er. Eine Handhabe habe man gegen die Urheber oder die Verteiler des Flyers jedoch nicht. „Wir können nur Aufklärungspolitik betreiben, zum Beispiel in unserem Amtsblatt, auf der Homepage oder in unserer App.“ Gerade bei einer so dynamischen Situation, wie man sie derzeit im Großraum Stuttgart sehe, seien solche Aktionen der falsche Weg, so der Bürgermeister. Solche Fehlinformationen seien nicht nur für die einzelne Kommune ein Problem, sondern für den gesamten Landkreis. „Wir sind in Habachtstellung. Wenn erneut und massiv Flugblätter verteilt werden, müssen wir mit dem Landratamt abstimmen, welche Möglichkeiten zur Verfolgung es gibt“, sagt Schmid.

Hotline für Besorgte

Dass es nicht einfach werden könnte, gegen die Macher des Flyers vorzugehen, lässt sich der Antwort einer Sprecherin des Polizeipräsidiums Reutlingen (zuständig auch für den Kreis Esslingen) entnehmen: „Aus dem Inhalt dieses Flyers ergibt sich keine rechtliche Grundlage, dagegen vorzugehen“, heißt es auf Anfrage.

Alfred Hottenträger macht sich unterdessen Sorgen, dass die Inhalte der Flugblätter auf fruchtbaren Boden fallen. „Ein Bekannter hat gesagt, er wisse jetzt nicht mehr, was er glauben solle“, so der 70-Jährige.

Wer Fragen rund um das Coronavirus hat oder verunsichert ist, kann beispielsweise bei der Hotline des Landkreises unter Telefon 0711/39 02 - 41 96 6 anrufen und Antworten erhalten.