Touristen sind selten schön anzuschauen und schnell erkannt. Offensichtlich denken Reisende, dass sie ohne Outdoorhosen und Treckingsandalen ihren Urlaub nicht überleben können. Foto: dpa

In den Ferien ist der Mensch selten gut – also passend – gekleidet. Warum eigentlich?

... weil Ferienzeit ist. Und damit basta.
Genug gerackert. Schluss mit den Vorschriften. Höchste Zeit, die Sau rauszulassen. Was sonst bedeckt gehalten wird, drängt unaufhaltsam ins Freie, ans Licht: die bleichen Zehen, der Bauch, die Shorts. Sogar die spaßig bedruckten Shirts, die daheim in der untersten Schrankschublade verstaut sind. Irgendwann muss schließlich die Zeit dafür gekommen sein. Jetzt! Endlich in Trekkingsandalen schlüpfen, auf deren geschäumten Gummisohlen man wie auf Waldboden spazieren geht. Leider nicht so elegant wie eine Elfe. Aber Labsal für die Füße. Urlaubsgefühl fürs Ego. Wem’s nicht passt, schaut weg!

... damit man für alle Fälle gerüstet ist.
Rucksack, schnelltrocknende Wanderhose, Regencape, Käppi, Gürteltasche für die Digitalkamera. Vor jeder Reise wird aufgerüstet und in Ausrüstung investiert. Man weiß schließlich nie, was einen unterwegs erwartet. Cargohosen (mit der Möglichkeit, sie in 7/8-Länge oder kniefrei zu tragen) mit Taschen an den Oberschenkeln (zum Verstauen des Stadtplans und des Belegs für die Auslandskrankenversicherung), Öse und Karabinerhaken am Hemd (für Besucherausweise oder Schließfachschlüssel), ein Umhängebeutel (für die körpernahe Aufbewahrung von Geld, Pass und Fahrkarten) – behängt wie ein Auslandsreporter im Einsatz und die Hälfte des Tourenrucksackinhalts griffbereit umgeschnallt, kommt der gut ausgestattete Tourist im Notfall weiter. Die Reisekleidung fungiert als tragbarer Schutz. Wer kann da etwas dagegen haben? Sicherheit geht vor.

... weil Reisen ein Abenteuer ist.
Außerhalb der eigenen Stadt- oder Landesgrenzen ist alles anders, da beginnt die Fremde, das Abenteuer. Da trifft man auf Menschen, die anders ticken, andere Worte benutzen, andere Tiere essen und die vielleicht sogar in einer anderen Währung rechnen. Und weil die Anpassung an den jeweiligen Dresscode nur Mühe machen würde, mutiert man einfach zum unerschrockenen Globetrotter, zur Weltenbummlerin. Diese unermüdlich aktive Spezies trägt Hut mit integriertem UV-Schutz und andere Outdoorklamotten Marke Jack Wolfskin, Vaude, Patagonia, Mammut oder Salewa. Nun wird getestet, ob die Wassersäule, die Membran und die Softshelljacke halten, was die Etiketten versprachen.

... damit ein jeder weiß, wer man ist.
Stellen Sie sich einmal vor, es würde Ihnen gelingen, in Ihrem Reiseland wie ein Einheimischer auszusehen – elegant gekleidet wie ein Turiner, smart und lässig wie eine Pariserin? Zumindest würden Sie nicht als Tourist ins Auge stechen. Das hätte Folgen. Man würde von Ihnen erwarten, Ihre Bestellung im Restaurant oder beim Bäcker akzentfrei aufzugeben. Sie würden von Ihren eigenen Landsleuten oder anderen Reisenden nach dem nächsten Weg zur Metrostation oder einer empfehlenswerten Trattoria gefragt. Das alles passiert nicht, wenn ein Tourist wie ein Tourist aussieht und Treckingsandalen trägt. Dann ist klar: Der spricht Deutsch (Holländisch, Österreichisch, Polnisch ...) – und kennt sich nicht aus.

... damit niemand errät, wer man ist.

Urlaub ist eine Auszeit. Niemand braucht zu wissen, auf welcher Gehaltsstufe und welchem Platz man im Alltag in der Firmenhierarchie steht. Auf der Strandpromenade, bei der Besichtigung einer Kathedrale oder beim Bummel über eine Piazza machen sich Chefs via Hiking-, Camping- oder Fahrradbekleidung mit Untergebenen gemein – und umgekehrt. Genau hinschaut hilft aber weiter. Dann ist schnell erkennt, dass die einen Schlappen vom teuren Luxushersteller Tod’s sind, die anderen Latschen von Aldi.

... weil Kofferpacken schwer ist.
Auch wer sich Mühe gibt, auf Reisen ein gutes Bild abzugeben und sich dem Anlass entsprechend korrekt zu kleiden, greift im Hotelzimmer oft ins Leere. Ans Kleid für den Theaterbesuch hat man gedacht, aber nicht an die passenden Pumps. Also müssen eben doch die Espadrilles mit ihrem Bastabsatz herhalten. Das mitgeführte Waschmittel aus der Tube lässt den Schokoeisfleck auf dem Hemd zwar verblassen, aber weg ist er nicht. Wie gut, dass es schnelltrocknende Kleidung gibt. Die praktisch verlaufenden Nähte werden ja wohl nicht weiter auffallen. Und schon sitzt man im Outdooranzug im Konzertsaal.

... weil sich Outdoor durchsetzt.
Wer über das touristische Erscheinungsbild meckert, kann auch gleich die heimische Freizeitkleidung verspotten. Denn nach einer moderaten Wandlung hat der Touri-Stil den Alltag erobert. Shorts, Halbarmhemd und weiße Socken in offenen Tretern wurden ersetzt durch kniefreie Outdoorhosen, Shirts aus Funktionstextilien und Trekkingsandalen. Auch wenn der mitteleuropäische Tourist mittlerweile zum Fernreisenden geworden ist: Mit seiner in fremden Gefilden getragenen Garderobe ist er in der Fußgängerzone seines Wohnorts gelandet. Weit hat er es also nicht gebracht. Nicht nur ästhetisch betrachtet.

... damit man unter seinesgleichen bleibt.

Wir gehören zusammen, sind eine Gruppe. Im Partnerlook aufzukreuzen, ist in den Ferien nicht nur bei Paaren beliebt, was zur Folge hat, dass sich Mann und Frau in beigefarbene Neutren verwandeln. Auch für Familien und sogar ganze Reisegruppen ist die vereinheitlichende Garderobe eine beliebte Maßnahme, Zusammengehörigkeit zu zeigen. Der gemeine Tourist trägt seine Freizeitkleidung dabei so demonstrativ, als diente sie ihm zugleich als Panzer gegen fremde Einflüsse, Gebräuche und als Bollwerk gegen den Kontakt mit Einheimischen.

... weil zwischen Traum und Wirklichkeit Welten liegen.
Die Garderobe ist die gerechte Antwort auf enttäuschte Ferienträume. Wo einem die Werbeplakate einsame Sandstrände versprochen haben, findet man am Reiseziel Bettenburgen und eine Batterie an belegten Sonnenstühlen vor. Für traumhafte Ferienorte würde man sich vielleicht die Mühe machen, wie die Schönheiten in der Bacardi-Werbung auszusehen. Doch wo solche Träume an der Realität des Massentourismus zerplatzen, sollte es auch erlaubt sein, durch typische Touri-Klamotten zur Masse zu werden.

... damit man sich keine Gedanken machen muss.
Ist das Outfit einmal gewählt, erübrigt sich jeder weitere Gedanke an die Frage nach der richtigen Kleidung. Wo käme man da hin, würde man fürs Vier-Sterne-Hotel andere Klamotten mitnehmen als für die günstige Pension, in der man zuerst abgestiegen ist? Schließlich zahlt man einen stolzen Preis für die Unterkunft. Da sollte eine gewisse Nachsicht inbegriffen sein. Und die Hinweise auf die richtige Kleidung für Petersdom, Hagia Sophia oder die Besichtigung der Reste der Klosteranlage Cluny? Veraltet. Solche Stätten sind als touristische Sehenswürdigkeiten globales Gemeingut. Der Heiligenschein droht zu verschwinden. Und wenn’s denn sein muss: Mit einem Ratsch verlängern Beinlinge dank Reißverschluss die Cargoshorts. Da sage noch einer, Outdoorkleidung sei für manche Gelegenheiten ungeeignet.

... weil eines ganz klar sein muss: Ich Kunde, ich Gast.

Touristen bringen Geld ins Land. Hart erarbeitetes Geld. Damit ist eigentlich alles gesagt. Du Einheimischer. Ich Kunde, ich Gast. Das muss klar sein, am besten ohne viele Worte auf den allerersten Blick.