Kommende Woche fällt das Landgericht Ulm sein Urteil zum Kindestod von Geislingen. Foto: dpa

Im Fall des getöteten vierjährigen Raphael aus Geislingen sind die Plädoyers gehalten worden. Die Staatsanwaltschaft fordert siebeneinhalb Jahre Haft.

Geislingen/Ulm - Mit höchst unterschiedlichen Rechtsbewertungen wegen des im Jahr 2011 getöteten vierjährigen Raphael ist nun die Beweisaufnahme im Ulmer Landgericht zu Ende gegangen. Der Junge aus Geislingen war am 12. März mit schweren Kopfverletzungen in eine Klinik gebracht worden – Notärzte konnten ihn nicht mehr retten.

 

Auf der Anklagebank sitzen seit April die 28-jährige Mutter des Kindes sowie deren früherer, heute 30 Jahre alter Freund. Das Paar beschuldigte sich bereits zum Prozessauftakt gegenseitig, dem Jungen tödliche Schläge verabreicht zu haben. Auch am Montag blieben die Angeklagten dabei. Er habe sich zwar „oft nicht situationsgerecht verhalten“, so der Angeklagte. Geschlagen habe er aber nie. „Ich weise jegliche Anschuldigungen von mir.“ Die Mutter bezichtigte ihrerseits den Ex-Freund: Dieser habe den Jungen immer wieder geschlagen, „mit Fäusten und allem drum und dran“. Sie habe gegen die Misshandlung ihres Kindes nichts unternommen, weil ihr selber mit „Mord“ gedroht worden sei.

Der Richter äußert deutliche Zweifel

Das Gericht ließ an der Opfergeschichte der Frau erhebliche Zweifel erkennen. Der Vorsitzende Richter Gugenhan verwies darauf, dass nirgendwo in den ausgewerteten Chatprotokollen und SMS-Nachrichten zwischen den Angeklagten jemals Todesdrohungen oder Todesängste artikuliert worden seien. Gugenhan verwies stattdessen auf eine besondere SMS, welche die Angeklagte am 24. Februar, also wenige Wochen vor dem Tod des Kindes, an den damaligen Freund gesendet hat. Mit dem Kind war sie wegen eines ausgeschlagenen Zahns beim Zahnarzt gewesen – auch die Nase des Jungen war blau verfärbt. Dem Ärztepersonal erzählte die Frau von einem Fahrradunfall. In der SMS an den Freund stand, Raphael habe sich im Wartezimmer „rotzfrech“ benommen. „Ich schäme mich in Grund und Boden.“ Die SMS-Antwort des Freundes wenig später lautete: „Er wird heute Abend schon sehen, was passiert.“ Nur: das Wartezimmer der Zahnarztpraxis war beim Besuch der Frau völlig leer gewesen, das Kind nach Aussagen mehrerer Praxishelferinnen völlig ruhig und normal.

In ihrem Plädoyer fasste die Ulmer Staatsanwältin zusammen, beide Angeklagte seien in dieser Verhandlung „von einer Lügengeschichte in die nächste“ gefallen. Letztlich habe sich nicht klären lassen, wer das Kind in der gemeinsamen Geislinger Wohnung totgeschlagen habe, aber „das brauchen wir auch nicht“. Denn in diesem Fall liege „ein Tatbestand der Mittäterschaft“ vor.

Das Paar sei sich über einen langen Zeitraum hinweg darin „einig gewesen über die körperlichen Züchtigungen“. „Beide billigten Schläge gegen Kopf, nicht nur gegen den Körper.“ Der Grund, so die Staatsanwaltschaft, sei die Geburt einer Tochter gewesen und die Unfähigkeit, mit der weiter gewachsenen Verantwortung umzugehen. Die Strafforderung lautet daher auf siebeneinhalb Jahre Gefängnis wegen gemeinschaftlich begangener Körperverletzung mit Todesfolge.

Ein Verteidiger fordert Freispruch

Für den Verteidiger der Angeklagten ist der Ex-Freund der Täter. Eine „arbeitsteilige Tatbestandsverwirklichung“ sei nicht zu beweisen gewesen – auch keine Unterlassung, weil Raphaels Tod „nicht vorhersehbar war“. Allenfalls der Tatbestand der Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassung sei denkbar, so der Verteidiger. Einen Antrag stellte er nicht. Der Verteidiger des 30-Jährigen führte aus, seinem Mandanten sei keine „aktive Täterschaft“ nachzuweisen. Er sei nicht leiblicher Vater des Jungen, habe auch nie Erziehungsaufgaben gehabt. Deshalb könne er auch nicht wegen Unterlassung belangt werden. Der Verteidiger beantragte einen Freispruch. Das Urteil fällt in der kommenden Woche.