Das Landgericht Stuttgart hat einen 52-Jährigen aus Backnang wegen sexuellen Missbrauchs zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt (Symbolbild). Foto: Weingand /StZ (Archiv)

Keine Vorstrafen, tränenreiche Schilderungen des Angeklagten: Trotzdem schickt das Landgericht Stuttgart einen 52-Jährigen in Haft. Er hat ein Mädchen über Monate hinweg missbraucht.

Keine Vorstrafen, ein tränenreiches Geständnis – und trotzdem muss er ins Gefängnis. Das Landgericht Stuttgart hat einen 52 Jahre alten Mann aus Backnang wegen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in mehr als 30 – meist schweren – Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.

Im Jahr 2016, die Betroffene war damals im Alter von zwölf Jahren, war ein Vertrauensverhältnis zwischen der Betroffenen und dem nun Verurteilten entstanden. Das Nachbarskind war mit den beiden Kindern des Angeklagten befreundet und übernachtete daher hin und wieder bei der Familie. Bald kam es zu ersten körperlichen Annäherungen des Mannes. Während die Ehefrau mit den beiden eigenen Kindern im Schlafzimmer nächtigte, holte der Mann den Übernachtungsgast zu sich ins Wohnzimmer. Es kam zu Küssen, Oralsex und dem Eindringen mit den Fingern. Der Kalender des Opfers gab später darüber Aufschluss, wie oft und auf welche Weise es zu sexuellen Handlungen kam. Die Taten zogen sich über Monate hin.

Schon bei der Prozesseröffnung hatte der 52-Jährige die meisten der rund 40 Taten, die ihm vorgeworfen wurden, eingeräumt. In derartigen Fällen kommt es häufig vor, dass Täter sich bei den Betroffenen entschuldigen beziehungsweise dies versuchen. Im nun abgeschlossenen Prozess umschiffte der 52-Jährige dies aber weiträumig. Während das Geständnis aus einer knappen Erklärung seines Anwalts bestand, man räume so gut wie alle Anklagepunkte ein, fielen die Ausführungen des Mannes zu seiner Lage dagegen ziemlich wortreich aus. Meist unter Tränen schilderte der Mann, der selbst zwei Kinder hat, wie seine Ehe nach „dem Vorfall“, wie er den Missbrauch bezeichnet, zerbrochen war. Er erzählte auch, wie er einige Zeit in einer Gartenhütte lebte, dabei stets mit einer Anzeige der Geschädigten rechnete. „Schließlich habe ich den Mut gefasst, mir doch wieder ein neues Leben aufzubauen“, schilderte er – doch der Versuch scheiterte, er wurde von der neuen Arbeitsstelle weg verhaftet.

Die Betroffene leidet noch immer unter den Übergriffen

Auch seine Rolle im Gefängnis und das Leben mit den Mitgefangenen beschrieb der Backnanger ausführlich vor Gericht. „Wo ich auch hinkomme, habe ich einen positiven Effekt auf Menschen. Ich kann gut mit Menschen, das weiß auch die Nebenklägerin“, sagte er unter Tränen.

Ob die heute 19-Jährige das ebenso sieht, ist fraglich. Sie leidet noch immer unter den Folgen der sexuellen Übergriffe. Sie hat eine posttraumatische Belastungsstörung, Flashbacks und Depressionen, lebt in einer therapeutischen Wohngruppe und hat bis heute Probleme, körperliche Beziehungen einzugehen. Zum Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte fanden einige Teile des Prozesses unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Immerhin: Das Geständnis des 52-Jährigen ersparte ihr eine Aussage vor Gericht. Verwendet wurden daher die Angaben, die sie bei der Polizei gemacht hatte. Der Vorsitzende Richter rechnete dem 52-Jährigen beim Urteil zumindest dies zugute.

Das Opfer tritt als Nebenkläger auf

Die junge Frau hatte den Ex-Nachbarn angezeigt, nachdem in ihrem Umfeld ein Missbrauchsfall aufgetaucht war – dies brachte bei ihr offenbar einiges ins Rollen. Sie wandte sich zunächst an eine Beratungsstelle, dann an den Waiblinger Anwalt Jens Rabe, der sie als Nebenklägerin auch vor Gericht vertrat. Schmerzensgeld von dem 52-Jährigen, der die Prozesskosten tragen muss und ohnehin pleite ist, will sie nicht annehmen. Zu sehr, so Rabe, habe dies den Beigeschmack eines Freikaufs des Mannes von seiner Schuld.