Der 33 Jahre alten Stiefvater des Jungen war zu mehr als sechs Jahren Haft verurteilt worden. Ein Gutachter sieht allerdings auch Versäumnisse beim Jugendamt. Foto: dpa

Im Fall des zu Tode geprügelten dreijährigen Alessio aus Freiburg sieht ein Gutachter auch Versäumnisse beim zuständigen Jugendamt. Der Stiefvater des Jungen war zu mehr als sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden.

Freiburg - In der Debatte um mögliches Behördenversagen im Fall des zu Tode geprügelten dreijährigen Alessio hat ein Gutachter dem Jugendamt Fehler und Versäumnisse vorgeworfen. Die Behörde habe die Gefährdung des Jungen mit der Zeit falsch eingeschätzt, sagte der Sachverständige Heinz Kindler in seinem Zwischenbericht am Dienstag. Zudem sei die Führung des Jugendamtes zu wenig präsent gewesen. Der Experte vom Deutschen Jugendinstitut in München untersucht den Fall im Auftrag des Landkreises. Alessio war Mitte Januar in Lenzkirch im Schwarzwald zu Tode geprügelt worden. Sein Stiefvater wurde deshalb vergangene Woche zu sechs Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Er hatte die Tat gestanden.

Das Jugendamt steht seit dem Tod des Jungen in der Kritik. Es soll Warnungen ignoriert und Alessio unzureichend geschützt haben. Bereits Mitte 2013 hatten Mediziner Hinweise auf Kindesmisshandlung. Doch das Jugendamt ließ den Jungen in der Familie.

Gutachter: Amt hat nicht richtig reagiert

„Wir müssen aus dem Fall des kleinen Alessio Lehren ziehen“, sagte der Gutachter. Die Entscheidungen des Jugendamtes seien für ihn „nicht ausreichend nachvollziehbar“. Hinweise auf Fehlentwicklungen in der Familie seien von der Behörde nicht genügend ernst genommen, die Breite der möglichen Hilfe sei nicht genutzt worden. Auf das steigende Risiko für Alessio habe das Amt nicht richtig reagiert. Zudem habe das behördeninterne Qualitätsmanagement nicht gegriffen.

Solche Fehler seien im deutschen Kinderschutzsystem keine Einzelfälle, sagte der Sachverständige. Die Folgen seien in diesem Fall aber besonders schwerwiegend. Vor ihm hatten bereits Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) und das Regierungspräsidium als Rechtsaufsicht die Arbeit des Jugendamtes kritisiert. Die für das Jugendamt verantwortliche Sozialdezernentin Eva-Maria Münzer und Landrätin Dorothea Störr-Ritter (CDU) hatten nach eigener Aussage von dem Fall erst nach dem Tod des Jungen erfahren.

Jugendamt-Beschäftigte brauchen Fortbildung

Der Gutachter forderte in seinem Bericht unter anderem eine bessere Fortbildung der im Jugendamt Beschäftigten, eine Zusammenarbeit mit anderen Stellen, ein bessere Präsenz der Führungskräfte sowie den Ausbau der Hilfsangebote bei Kindesmisshandlung und Vernachlässigung. Ob dadurch das Leben Alessios hätte gerettet werden können, lasse sich nicht beantworten, betonte Kindler. Er werde den Fall weiter untersuchen. Voraussichtlich Ende Dezember lege er seinen Abschlussbericht vor, dieser werde Mitte Januar 2016 veröffentlicht.

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte, es laufen noch strafrechtliche Ermittlungen gegen einen Sachbearbeiter im Jugendamt und gegen Alessios Mutter. Ergebnisse werde es in den nächsten Wochen geben. Eine Aussage im Strafprozess gegen Alessios Stiefvater hatte der Sachbearbeiter im Jugendamt verweigert.

Der Erste Landesbeamte des Landkreises, Martin Barth, kündigte an, auf die Vorschläge des Gutachtens zu reagieren. Vor allem das schnellere Einschalten von Führungskräften werde rasch umgesetzt.