Die türkischen Generäle sind nicht immer von ihren Nachbarn angetan. Foto: dpa

Einst hat die Türkei dem IS geholfen, nun hat sich das Blatt gewendet. Auch gegenüber anderen umstrittenen Organisationen im Nahen Osten hat das Nato-Mitglied ein zwiespältiges Verhältnis. Die Vorwürfe aus Berlin entbehren somit nicht jeder Tatsache.

Ankara - Die Einschätzung der Bundesregierung, die türkische Führung pflege eine bewusste Zusammenarbeit mit islamistischen Organisationen, sorgt für Wirbel. Was ist dran an den Vorwürfen? Ein Faktencheck.

Syriens Dschihadisten

Oberstes Kriegsziel Ankaras in Syrien war stets der Sturz von Bashar al-Assad. Jahrelang duldete die Türkei den Einstrom von Dschihadisten aus aller Welt in das Nachbarland. Jeder, der gegen den Diktator kämpfen wollte, galt als willkommen. Die 100 Kilometer lange Grenze zwischen dem „Islamischen Kalifat“ und dem Nato-Mitglied war praktisch offen, der Schmuggel von Waffen, Geld, Antiquitäten und Lebensmitteln kein Problem. Erst nach den vier Terroranschlägen des „Islamischen Staates“ in Istanbul, der letzte auf den Flughafen mit 45 Toten, begann Ankara umzusteuern. Durchreisende Gotteskrieger wurden abgefangen und abgeschoben. Nach dem russisch-türkischen Versöhnungsgipfel in St. Petersburg bot der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim Moskau erstmals sogar eine Kriegsallianz gegen den IS an. Ähnlich schwankend ist auch das Verhältnis Ankaras zur Al-Nusra-Front, die sich Ende Juli offiziell von Al Kaida lossagte und im Westen als Terrororganisation gilt. Der türkische Präsident Erdogan nahm die Dschihadisten kürzlich in Schutz.

Palästinensische Hamas

1950 erkannte Ankara als erster islamischer Staat die Existenz Israels an und pflegte über Jahrzehnte ein gutes Verhältnis zu Tel Aviv. Israelische und türkische Truppen hielten regelmäßig gemeinsame Manöver ab. Im Mai 2008 begann die Türkei sogar, indirekte Friedensgespräche zwischen den beiden benachbarten Erzfeinden Israel und Syrien zu vermitteln. 2007 übernahm die Hamas im Gazastreifen die Macht, danach folgten 2009 und 2012 zwei verheerende Kriege zwischen den Islamisten und Israel. Ausgelöst durch die unverhältnismäßig brutalen israelischen Luftangriffe begann sich in der politischen Führung der Türkei das Blatt zu wenden. 2010 wurde eine türkische Hilfsflotte, die die Seeblockade der palästinensischen Enklave brechen wollte, von der israelischen Marine aufgebracht. Dabei starben neun türkische Aktivisten, was eine sechsjährige diplomatische Eiszeit auslöste. Erst vor zwei Monaten wurde die Krise beigelegt.

Ägyptens Muslimbrüder

Türkische Staatschefs machten um Ägypten stets einen großen Bogen. 15 Jahre lang herrschte Funkstille, bis Hosni Mubarak schließlich vom Arabischen Frühling hinweggefegt wurde. Danach ließ sich Recep Tayyip Erdogan 2011 und 2012 gleich zweimal in Kairo blicken, dem traditionellen Hauptrivalen im Ringen um die machtpolitische Vorrangstellung im Nahen Osten. Mit der Wahl von Mohammed Mursi zum ägyptischen Staatschef wurde das Verhältnis rasch enger. Ankara empfing den Muslimbruder im September 2012 zu einem pompösen Staatsbesuch und sagte ihm zwei Milliarden Euro als Finanzhilfen zu. Beim Gegenbesuch hatte Erdogan 350 Geschäftsleute in seinem Tross, die sich von dem politischen Neuanfang auch eine Belebung der dürftigen Handelsbeziehungen erhofften. Und so traf Ankara der Sturz Mursis im Juli 2013 wie eine kalte Dusche. Zur neuen ägyptischen Führung ist das Verhältnis nicht so gut.