Laut dem Statistischen Landesamt haben 2013 in Baden-Württemberg zwei Prozent aller 14- bis 17-Jährigen regelmäßig Cannabis zu sich genommen. Das sind rund 10 000 Jugendliche. Foto: Fotolia/© Dmytro Sukharevskyy

Würde die Justiz beim Thema Kiffen nicht so drakonisch vorgehen, würden sich Jugendliche besser im Umgang mit der Droge beraten lassen – glaubt die Landesstelle für Suchtfragen. Denn Aufklärung tut Not: Cannabis hat für manche gefährliche Nebenwirkungen.

Stuttgart - Es braucht nicht viel, um die Gesetzesmühle in Gang zu setzen. Vielleicht ein Shirt mit einem Hanfblatt-Aufdruck, die falsche Musik im Autoradio oder vielleicht etwas gerötete Augen – „schon wird man um eine Urinprobe gebeten“, sagt Volker Auwärter. Der Professor für Rechtsmedizin an der Uniklinik Freiburg kennt die Maschen der Polizei, um Cannabis-Konsumenten am Steuer ausfindig zu machen, zur Genüge. Und er ist kein Freund davon. „Oft ist es so, dass zufällig erwischten Gelegenheitskonsumenten der Führerschein wegen des positiven Drogentests entzogen wird, obwohl ihr Cannabiskonsum länger zurückliegt und nachweislich keinen Einfluss auf ihr Fahrverhalten genommen hat.“

Auwärter nennt dies eine „Sanktion durch die Hintertür“. Ist Drogenkonsum strafrechtlich nicht mehr zu verfolgen, kommt eben einfach ein anderes Recht zur Geltung – das doch mehr Schaden anrichtet als Nutzen bringt: So kommt zu dem Führerscheinentzug noch die Aufforderung zur MPU – der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung. Ganz zu schweigen von den sozialen Folgen: Nicht wenige der Beschuldigten verlieren ihren Arbeitsplatz, wenn sie nicht mobil sind oder ein Strafverfahren gegen sie eröffnet wurde.

Der Freiburger Rechtsmediziner steht mit dieser Meinung nicht alleine da: Nicht umsonst hat ihn die Liga der freien Wohlfahrtsverbände in Baden-Württemberg zu sich nach Stuttgart eingeladen. Zusammen setzen sie sich nun für eine „Entkriminalisierung von Cannabis“ ein.

Schüler fürchten, dass sie im Nachhinein für das Kiffen belangt werden können

Dabei soll es aber nicht nur darum gehen, dass sich die Landesregierung für eine Novellierung des Führerscheingesetzes einsetzt, die künftig verhindert, dass allein der Nachweis von kleinsten Mengen des Drogenwirkstoffs THC über die Fahrtauglichkeit entscheidet. „Eine groß angelegte Entkriminalisierung würde vor allem auch die Präventionsarbeit in den Schulen erleichtern“, sagt Joachim Abstein, der Vorsitzender der Landesstelle. „Bislang können wir in Schulen das Thema Cannabiskonsum gar nicht oder nur schwer ansprechen.“ Zu groß sind die Hemmungen der Schüler, dass sie auch im Nachhinein für das Rauchen eines Joints belangt werden. „Meist erfolgt ein Ansprechen der Thematik erst, wenn der Konsum Lehrern oder der Polizei aufgefallen ist“, so Abstein. Das sei aber für eine Prävention oft zu spät.

Solche Plädoyers, die sich für eine Lockerung der Drogenpolitik einsetzen, haben derzeit in der Bundesrepublik Hochkonjunktur: Im Juli hatte Bremens neuer Regierungschef Carsten Sieling (SPD) die Kriminalisierung von Cannabis als „nicht mehr zeitgemäß“ bezeichnet. Seine rot-grüne Koalition wünscht sich sogar zentrale Abgabestellen, solche Cannabis-Shops, wie sie in Berlin geplant, aber bisher nicht genehmigt sind. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann schloss sich dieser Haltung grundsätzlich an. Seine Grünen-Partei hat im März einen Entwurf für ein Cannabiskontrollgesetz vorgelegt. Seitdem gab es kaum eine relevante gesellschaftliche Gruppe, die nicht mehr Bewegung in dieser Debatte gefordert hat.

Die Schäden von zu vielem Kiffen sind oft dauerhaft

Doch den Suchtexperten der Wohlfahrtsverbände geht diese Debatte zu weit – viel zu weit, wenn man bedenkt, wie dünn die Studienlage über solche Abgabemodelle ist. „Es ist sehr ungewiss, ob staatlich legitimierte Abgabemodelle gesundheitsökonomisch von Vorteil sind oder zu mehr Schaden führen“, sagt daher auch Uwe Zehr, der als Leiter der Suchthilfezentren der Diakonie im Landkreis Böblingen der Liga angehört.

Es gibt aber Befürchtungen – vor allem wenn es um die Gruppe geht, die bei solchen Debatten regelmäßig unter den Tisch fällt, und bei Suchtmedizinern wie Wolfgang Indlekofer in der Sprechstunde auftaucht: Als Leiter der Rehaklinik Freiolsheim bei Gaggenau behandelt er Jugendliche und junge Erwachsene, die schon früh begonnen haben regelmäßig zu kiffen, und nun unter den Folgen leiden: Sie können sich nicht mehr richtig konzentrieren, haben Entwicklungsstörungen und Lernschwierigkeiten. Auch gibt es Patienten, die eine cannabisinduzierte Psychose entwickelt haben oder gar vorzeitig Symptome einer Schizophrenie oder von Angstzuständen zeigen.

Diese Schäden sind oft dauerhaft: „Nach vier bis sechs Wochen Entzug sind Heroinabhängige meist physisch und psychisch wieder fit“, sagt der Suchtmediziner Indlekofer. „Ehemalige Kiffer fühlen sich selbst nach zwei, drei drogenfreien Monaten wie hinter einer Gummiwand.“

Aber nicht jeder, der kifft, wird auch psychisch auffällig

Indlekofer ist kein Gegner von Cannabis: „Nicht jeder, der Cannabis raucht oder auf andere Art und Weise konsumiert, wird auch psychisch auffällig.“ Doch bei neun bis zehn Prozent passiert genau das: Sie entwickeln eine psychische Abhängigkeit. Jugendliche, die schon zuvor mit psychischen Problemen zu kämpfen hatten oder besonders früh mit dem Kiffen begonnen haben – etwa im Alter von 12 bis 13 Jahren – sind gefährdet.

Dass nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ein Drittel der 14- bis 17-jährigen Schüler in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert haben, findet daher nicht nur der Suchtmediziner Indlekofer bedenklich. Es gehe nicht darum, den Leuten das Kiffen zu verbieten. „Es geht uns darum, dass keine gesellschaftliche Atmosphäre entsteht, in der man das Gefühl hat, Cannabis sei harmlos“, sagt Abstein. Denn werde eine Droge verkennt, dann wird ein bedachter Umgang damit, umso schwieriger.

Wie das Kiffen wirkt

Cannabis enthält bis zu 66 verschiedene Substanzen namens Cannabinoide, darunter der wichtigste Stoff Tetrahydrocannabinol (THC). Er ist für die euphorisierende und psychoaktive Wirkung verantwortlich. Ein zweiter wichtiger Wirkstoff ist das Cannabidiol (CBD). CBD ist ein Gegenspieler von THC und wirkt antipsychotisch.

Die Wirkung von Cannabis beruht darauf, dass das Gehirn Stoffe produziert, die den Cannabinoiden ähnlich sind. Somit finden THC und CBD im Körper auch passende Andockstellen, sogenannte Rezeptoren, an die sie sich heften können. Das THC etwa haftet an Rezeptoren, die unter anderem im Belohnungszentrum des Gehirns sitzen. Dort wird auch die Ausschüttung des Botenstoffs Dopamin geregelt, das Glücksgefühle auslösen kann. Die Droge kann gute Laune bis hin zu Euphorie erzeugen – kann aber auch in großen Mengen zu Gleichgültigkeit oder zu Angstzuständen führen, so Suchtexperten.

Ein maßvoller Konsum kann auch positive Effekte haben: Denn die Rezeptoren, an die sich die Cannabis-Wirkstoffe binden können, sitzen auch an den Orten im Gehirn, wo Empfindungen wie Angst, Schmerz oder Stress erzeugt werden. Diese können mit Hilfe von Cannabis gemindert werden. Ein zweiter wichtiger Rezeptor sitzt in den Immunzellen von Lunge und Darm. In Verbindung mit Cannabis beeinflusst er das Immunsystem und wirkt antientzündlich. Bei manchen Menschen fehlen diese Rezeptoren – bei ihnen kann Cannabis diese Wirkung nicht entfalten.