Unsere Zeitung veranstaltet mit der Landeszentrale für politische Bildung vom 2. bis 6. Mai die Schülermedientage in der Region Stuttgart. Thema: Fake-News und Desinformation. Die Kommunikationswissenschaftlerin Christina Viehmann erklärt, wie Falschinformationen zum Treiber der politischen Spaltung werden.
Stuttgart - Wer Qualitätsmedien nutzt, ist weniger anfällig für Polarisierung. Für Schüler kommt es darauf an, zu lernen, wie sie sich verlässlich informieren, meint Christina Viehmann. Die Wissenschaftlerin untersucht den Zusammenhang von Mediennutzung und politischer Spaltung.
Frau Viehmann, welcher Zusammenhang existiert zwischen Mediennutzung und Polarisierung?
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Polarisierungstendenzen, dem Auseinanderdriften unterschiedlicher Positionen gesellschaftlicher Gruppen, je nachdem, aus welchen Medien sich die Menschen überwiegend informieren. Nutzer, die sich aus alternativen Medien informieren, treten dem Corona-Management der Politik eher ablehnend gegenüber und sehen bei der Berichterstattung mehr Mängel als die Nutzer von Qualitätsmedien. Auch der Glaube an Verschwörungsmythen ist unter den Nutzern alternativer Medien deutlich verbreiteter ist als unter den Nutzern von öffentlich-rechtlichem Rundfunk oder Zeitungen.
Wo landet Deutschland in Sachen Polarisierung im internationalen Vergleich etwa mit den USA?
In Ländern, die wie Deutschland ein Mehrparteiensystem haben, fällt der Grad der Polarisierung vergleichsweise moderat bis gering aus. Weil System und Gesellschaft nicht so stark darauf angelegt sind, dass sich zwei Lager gegenüberstehen. Je mehr eine Differenzierung „Wir und die anderen“ in System und Gesellschaft begünstigt wird, desto mehr bedienen auch die Medien bestimmte Lager.
Wie wirken sich Falschmeldungen aus?
Man vermutet, dass gezielt eingesetzte Falschinformationen wie Brandbeschleuniger wirken. Wenn es unterschiedliche Lager mit unterschiedlichen Positionen gibt, begünstigen sie, dass sich Haltungen verhärten, Emotionen aufkochen. Das Misstrauen und die Ablehnung gegenüber der anderen Seite werden verstärkt.
Welche Rolle spielen die Digitalisierung, das Aufkommen sozialer Medien und Videoplattformen?
Das ist Fluch und Segen zugleich. Wenn Menschen über verschiedene Dinge sprechen, aber keinen gemeinsamen Kern mehr finden, wirkt die Digitalisierung problematisch. Früher hatten bei einer überschaubaren Zahl an Quellen alle ähnliche Informationen und sprachen über dasselbe. Mit digitalen Medien spricht jeder – im Extremfall – über etwas anderes. Das Ganze wird dadurch verstärkt, dass man mithilfe der Pluralität den eigenen Vorlieben nachgeht und nur Positionen verfolgt, die einem selbst interessieren. Nach der Echokammer-These igelt man sich in seiner eigenen Umgebung ein.
Und der Segen?
Auch in den digitalen Medienwelten wird nicht, wie häufig befürchtet, alles nur nach den eigenen Interessen kuratiert. Denn auch in den sozialen Medien spielen die klassischen Medien eine große Rolle. Und durch die Algorithmensteuerung bekommt man nicht nur ein und denselben Informationstypus. Auch dort lebt man davon, dass neues Interesse geweckt wird. Und das lebt von Vielfalt. Das Problem besteht vielmehr darin, dass man in der digitalen Medienwelt harten Informationen aus dem Weg gehen kann, also vor gesellschaftspolitisch relevanten Inhalten zur reinen Unterhaltung und Wohlfühlinhalten flieht.
Was wissen Sie über den Medienkonsum von Schülerinnen und Schülern?
Sie nutzen Influencer und viele andere Quellen aus dem Internet. Sie sind aber von der Informationswelt des Rests der Bevölkerung nicht abgekapselt. Sie nehmen diese nur über andere Kanäle wahr.
Wie unterscheiden sich die Nutzer von Qualitätsmedien von denjenigen alternativer Medien in den Einstellungen?
Die Nutzer von Qualitätsmedien sind zufriedener mit der Demokratie, sie sind weniger politikverdrossen. Die Gewaltbereitschaft gegenüber Politikerinnen oder Journalisten ist deutlich geringer im Vergleich zu den Nutzern alternativer Medien. Auch die Anfälligkeit für Fake-News und Verschwörungstheorien fällt deutlich geringer aus.
Was können Qualitätsmedien tun, um Medienzyniker zurückzugewinnen?
Wenn diese Zyniker eine fundamentalkritische Haltung gegenüber Medien an den Tag legen, wird es schwierig. Bei Menschen an der Schwelle zum Zynismus kann man etwa transparent machen, wie guter Journalismus funktioniert. Außerdem gibt es die Idee des konstruktiven Journalismus, der Lösungen aufzeigt, statt nur zu berichten, was nicht funktioniert. Manche meinen, bei strittigen Themen sollten bestimmte Positionen gar nicht zu Wort kommen. Andere fordern, man müsse im Gegenteil allen Gehör verschaffen. Dabei den Leserinnen und Lesern aber auch vermitteln, wie sich die existierenden Positionen zueinander verhalten.
Wie sollten die Schulen beitragen?
Von zentraler Bedeutung ist die Informationskompetenz, dass Schülerinnen und Schüler gute von und unzuverlässigen Informationen unterscheiden lernen. Dass sie wissen: Wie finde ich Informationen? Wie beurteile und verarbeite ich diese selbst? Dass man sich beispielsweise nur bestimmte Dinge merkt; dass man je nachdem, welche Einstellung man hat, gegenteilige Ansichten erst einmal abwertet. Ein Wissen darum stärkt auch die Fähigkeit, mit Verschwörungstheorien und Fake- News souveräner umzugehen.
Lesen Sie selbst Zeitung?
Ich lese unglaublich gerne gedruckte Zeitungen. Es ist ein wahnsinnig tolles Gefühl, die großen Seiten aufzublättern, um in Ruhe beim Kaffee einen guten Artikel zu lesen.