Es wird schmutzig: Hacker könnten den Bundestagswahlkampf beeinflussen. Foto: dpa

2017 wird das Internet den Kampf um Wählerstimmen so stark beeinflussen wie nie zuvor. Wie gehen die Parteien mit Fake-News, Hackerangriffen, Social Bots und datengestützter Wahlwerbung um?

Berlin - Die Vorwürfe von US-Präsident Barack Obama wiegen schwer: Moskau soll den US-Wahlkampf mit Hackerangriffen gezielt beeinflusst haben. Während die USA nun zu Sanktionen greifen, bereiten sich deutsche Parteistrategen mit Blick auf die nächste Bundestagswahl schon auf digitale Angriffe vor.

Gezielte Hackerangriffe?

Das grenzüberschreitende Netz bietet auch Akteuren im Ausland die Möglichkeit, die politische Stimmung in Deutschland zu beeinflussen. Wie in den USA, wo der Geheimdienst CIA Russland vorwirft, über Hackerangriffe negative Informationen zu Donald Trumps Gegenkandidatin Hillary Clinton gestreut zu haben, rechnen auch Wahlkämpfer in Berlin mit ähnlichen Attacken. Anhand erster Hinweise sind der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz beauftragt, eine intensive Prüfung vorzunehmen.

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„Im Bundestagswahlkampf werden wir uns wohl auf Hackerangriffe einstellen müssen, deren Ziel ist, durch die gezielte und einseitige Weitergabe von Informationen falsche Bilder zu erzeugen und Personen zu diskreditieren“, sagt CDU-Generalsekretär Peter Tauber: „Unsere Sicherheitsdienste warnen uns vor derartigen Datenangriffen und Desinformationskampagnen und davor, dass sich gerade Leute in Russland auf diese Weise in den Wahlkampf einmischen könnten.“ In einem SPD-Papier steht: „In einem Cyberwahlkampf mit Spielern von außen wird die ganze Demokratie in Gefahr gebracht.“ In der Parteizentrale heißt es, man nehme die Warnungen „sehr ernst“ und wolle die eigenen Systeme „so gut wie möglich schützen“.

Manipulationen aus Russland?

Kompromittierende Informationen könnten freilich längst in die falschen Hände gelangt sein. Der Grünen-Chef Cem Özdemir erinnert an den Hackerangriff auf den Bundestag im Jahr 2015. „Bislang weiß niemand, was mit diesen Daten geschehen ist.“ Ohne Russland explizit zu nennen, spielt er auf die Wikileaks-Veröffentlichung der Clinton-E-Mails an: „Ich würde mich nicht wundern, wenn davon einige Leaks im Bundestagswahlkampf auftauchen.“

Die AfD und die Linke sehen Moskauer Manipulationsversuche dagegen nicht als erwiesen an, sondern in dem Vorwurf eher die absichtliche Diskreditierung Russlands: „Es ist kein Indiz für einen russischen Cyberangriff, wenn beim Programmieren der Hackertools eine kyrillische Tastatur verwendet wird“, betont der Linke-Abgeordnete Andrej Hunko.

Einflussnahme von außen muss nicht nur über Geheimkanäle, sondern kann auch über klassische Medien laufen, deren Botschaften im Netz verstärkt werden. Einen „Vorgeschmack“ darauf sieht Özdemir in den „Erdogan-Medien, die die deutsch-türkische Bevölkerung gezielt ansprechen“ – und in der Berichterstattung des deutschen Ablegers von Russia Today. Nicht zuletzt die CDU-Spitze klagt darüber, dass Aussiedler aus Russland, einst klassische Unionsklientel, inzwischen zur AfD tendieren – Kremlchef Wladimir Putins Plans folgend, wie es im Kanzleramt heißt, „das gesamte westliche System zu destabilisieren“.

Funktionieren die sozialen Medien nur mit Übertreibung?

Linksparteichef Bernd Riexinger glaubt, dass man es sich zu einfach macht, wenn Frust und Hass im Netz als rein von außen hereingetragenes Phänomen begriffen wird. „Die aggressivere Stimmung im Internet entsteht nicht dort, sondern in der Gesellschaft“, sagt er: „Politiker, die nach neuen Gesetzen und Zensur rufen, ignorieren die Ursachen dieser Verrohung: 25 Jahre neoliberale Politik.“

Der Vorsitzende der Partei mit der beliebtesten Facebookseite aller im Bundestag vertretenen Parteien sieht im Netz auch die Möglichkeit, die eigene Sache voranzubringen: „Der Einfluss von Social Media auf soziale Bewegungen birgt enorme Chancen, aber auch unkalkulierbare Gefahren.“ Die neue Rechte weiß das Instrument schließlich ebenfalls zu nutzen, indem sie ihre Seiten für angeblich vom System unterdrückte Nachrichten anbietet. Mit 309 000 „Gefällt-mir“-Klicks auf Facebook hat die AfD fast doppelt so viele wie die Linke. In der SPD , die mit 121 000 „Likes“ deutlich dagegen abfällt, wird daran gearbeitet, die Botschaften Social-Media-kompatibel zu machen. „Wir wollen aber“, heißt es dort, „textlich nicht so zuspitzen wie die AfD oder Sahra Wagenknecht von der Linken, die damit im Netz am erfolgreichsten sind.“

Eigentlich unzulässige Zuspitzungen oder spektakuläre, aber frei erfundene Nachrichten sind oft jedoch genau die Dinge, die im Netz „gut klicken“. Hier geloben alle im Bundestag vertretenen Parteien Zurückhaltung. Ob das von der SPD vorgeschlagene „Fairnessabkommen für den digitalen Wahlkampf“ realisiert wird, ist dennoch fraglich. „Alle Parteien sollten sich darauf verständigen, die Wähler mit Anstand zu überzeugen“, sagt zumindest der Grüne Özdemir.

Nimmt die AfD Abstand von Social Bots?

Einigkeit auch mit der AfD herrscht zumindest dahingehend, dass keine sogenannten Social Bots eingesetzt werden sollen, die computergesteuert Antworten auf Meinungsbeiträge generieren und diese damit verstärken oder ins Lächerliche ziehen. Anfangs hatte es von der AfD geheißen, sie wolle Bots nutzen; inzwischen distanziert sie sich davon. „Wir überlegen selbstverständlich, welche Tools im Social-Media-Bereich für unsere Öffentlichkeitsarbeit sinnvoll sind“, erklärte Vorstandsmitglied Alice Weidel Ende Oktober: „Jedoch werden wir natürlich keine Social Bots einsetzen, die auf Seiten Dritter im Namen der AfD automatisiert posten oder Ähnliches.“

Helfen gesetzliche Regelungen?

Selbst wenn sich alle Parteien daran hielten, werden Lügen und Hass nicht aus dem Netz verschwinden. „Wir müssen uns natürlich wappnen und tun dies auch“, sagt CDU-General Tauber: „Dazu werden ein umfassendes Monitoring und die Information unserer Wahlkämpfer vor Ort über Fake-News gehören.“ Auch er glaubt offenbar nicht daran, dass der Vorstoß seines Fraktionschefs Volker Kauder durchschlagenden Erfolg haben könnte. Der hatte zuletzt angekündigt, nach der Weihnachtspause Plattformen wie Facebook gesetzlich zur Löschung rechtswidriger Inhalte oder zur Herausgabe von IP-Adressen entsprechender Nutzer zwingen zu wollen.

Der Linke Riexinger ist gegen Verbote, fordert vielmehr nach Vorbild des Presserats einen „Katalog ethisch-informationspolitischer Grundsätze für soziale Netzwerke“. So müsse „ein öffentlicher ,Nachrichten-Tüv‘“ mit Vertretern der Unternehmen und der Datenschutzbehörden, an den sich die Bürger wenden könnten, sicherstellen, dass Verstöße geahndet werden.

Der direkte Kontakt zum Wähler gegen Gerüchte

Die SPD stellt sich darauf ein, dass Fake-News, Hetze und Hass online erst einmal zur neuen Realität gehören. „Eine technische Lösung wird es nicht geben“, heißt es. Auch die Einstellung Hunderter Sozialnetzwerker, die in Echtzeit falsche Netzgerüchte aufspüren und richtigstellen, gilt als unrealistisch. Die Partei will lieber ihre Mitglieder animieren, dies zu tun – mit der Onlinekampagne „#gegenhalten“.

„Der direkte Kontakt zu den Menschen ist das Fundament allen politischen Handelns“, sagt Generalsekretärin Katarina Barley: „Darauf werden auch die Aktivitäten im SPD-Wahlkampf ausgerichtet sein, und zwar online wie offline.“ Die Genossen wollen Sprechstunden vor Ort und digital abhalten, planen Veranstaltungen auf dem Marktplatz und Webkonferenzen. „Das direkte, unvoreingenommene Gespräch ist das einzige verfügbare Wundermittel gegen gezielte Fehlinformation, Hass und Hetze.“ So will es auch die CDU halten, wie ihr Wahlkampfmanager Tauber sagt: „Wichtiger als das Reagieren auf Desinformation und Fake-News ist, auf die Bürger zuzugehen.“ Dies werde im Internet geschehen, aber vor allem „in den Fußgängerzonen, an den Haustüren und an Wahlkampfständen“.

Wie individualisiert darf Wahlwerbung sein?

Zu diesem eher traditionellen Ansatz gesellt sich große Skepsis, was das „Microtargeting“ betrifft, das Donald Trump ins Weiße Haus verholfen haben soll. Algorithmen hätten, so die Behauptung, die US-Wähler anhand ihrer Internetprofile psychologischen Profilen zugeordnet und sie entsprechend mit individueller Wahlwerbung versorgt. In Deutschland wäre das aus Datenschutzgründen rechtlich mehr als heikel. Bestimmte Gruppen gesondert anzusprechen gehört dagegen schon lange zum Geschäft. „Die sozialen Dienste haben die zielgruppenspezifische Werbung nur perfektioniert“, sagt der Linke Riexinger: „Daran sehe ich auch nichts Verwerfliches.“ Auch der SPD stehen zum Beispiel öffentlich zugängliche „Wohnumfelddaten“ zur Verfügung, die anonymisiert etwas über die soziale Zusammensetzung eines Viertels aussagen. In Anspielung auf die angebliche Trump-Masche heißt es jedoch: „Im Willy-Brandt-Haus gibt es keine Zauberdatei.“