Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs betrifft auch die Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU, links) und Winfried Kretschmann (Grüne). Foto: dpa

Das Urteil des obersten EU-Gerichts fällt erst in Monaten. Doch der Streit zwischen Bayern und der Umwelthilfe hat grundsätzliche Bedeutung: Was passiert, wenn Amtsträger gerichtlich angeordnete Fahrverbote nicht durchsetzen?

Brüssel - Können deutsche Politiker und Topbeamte demnächst in Beugehaft kommen, weil sie die Urteile deutscher Gerichte zur Luftreinhaltung nicht umsetzen? Um diese Frage geht es bei einem Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. In der mündlichen Verhandlung hatten jetzt die beiden Parteien – auf der einen Seite die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und auf der anderen Seite die bayerische Landesregierung – die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge darzustellen.

Eine Entscheidung fällt erst in einigen Monaten. Doch das Urteil wird weitreichende Folgen für die Debatte über Fahrverbote in deutschen Großstädten haben. Die Umwelthilfe wirft auch der baden-württembergischen Regierung vor, dass sie sich nicht an Urteile zu Luftreinhaltungsplänen hält. Sollten die EuGH-Richter die Möglichkeit einer Beugehaft bejahen, wären also auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Mitglieder seiner Regierung von Beugehaft bedroht.

Das Urteil von 2012 ist rechtskräftig

Hintergrund des Verfahrens ist, dass sich der bayerische Verwaltungsgerichtshof im November mit der Bitte um Klärung an den EuGH, das höchste Gericht in der EU, gewandt hat. Die Frage lautet, „ob die von der Deutschen Umwelthilfe beantragte Anordnung einer Zwangshaft gegenüber staatlichen Amtsträgern zur Durchsetzung einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung unionsrechtlich möglich beziehungsweise geboten ist.“ Die Umwelthilfe hatte 2012 vor dem bayerischen Gericht einen Sieg erringen und durchsetzen können, dass Dieselfahrverbote in der bayerischen Hauptstadt kommen müssen. Das Urteil ist seit 2014 rechtskräftig. Weil dieses Urteil aber nicht umgesetzt wurde, hatte das bayerische Gericht Zwangsgelder in Höhe von jeweils 10 000 Euro gegen den Freistaat verhängt. Zwangsgelder sind in diesem Fall aber ein stumpfes Schwert, da sie wieder in den Kassen des Landes landen. Daraufhin beantragte die DUH, die in Gerichtsverfahren Maßnahmen für bessere Luft in 37 deutschen Städten durchsetzen will, vor dem bayerischen Verwaltungsgericht Zwangshaft. Das Gericht entschied nichts zur Sache, sondern wandte sich an das EU-Gericht.

Die bayerischen Verwaltungsrichter hielten aber nicht mit ihrer Verärgerung darüber hinter dem Berg, dass bayerische Regierungsmitglieder sich über gültige Gerichtsurteile einfach hinwegsetzen. „Die vorliegend zu verzeichnende Missachtung rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidungen durch die vollziehende Gewalt kann nicht hingenommen werden“, schrieben die Verwaltungsrichter. Das deutsche Recht sieht im Allgemeinen zwar Beuge- oder Zwangshaft vor, nicht aber, wenn die handelnden Personen Minister oder hohe Beamte sind.

Angemessenes Mittel

Wie das Urteil ausgeht, kann niemand vorhersagen. Auffällig ist, dass der EuGH bei Fragen zur Luftreinhaltung stets strenge Maßstäbe angesetzt hat. So etwa, als es darum ging, ob bei Luftqualitätsmessungen in den Ballungsgebieten Mittelwerte verschiedener Messstationen gebildet werden dürfen. Zudem entschieden die Luxemburger Richter, dass die Gerichte in den EU-Mitgliedstaaten verpflichtet sind, gegenüber den Behörden vor Ort „jede erforderliche Maßnahme zu erlassen“. Ob dies Beugehaft einschließt, bleibt abzuwarten. Letztlich muss man davon ausgehen, dass ein EU-Gericht hohes Interesse daran hat, dass EU-Recht von den Mitgliedstaaten konsequent angewandt wird.

Droht dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU), seinem Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler), Winfried Kretschmann und seinem Verkehrsminister Winfried Hermann (beide Grüne) tatsächlich bald Haft? Davon geht selbst Jürgen Resch von der Umwelthilfe nicht aus: „Wenn sie im letzten Moment per Unterschrift unter die entsprechende Verfügung das rechtskräftige Urteil korrekt umsetzen, sind sie nicht mehr von Haft bedroht.“ Selbst wenn der EuGH am Ende Zwangshaft gegen Amtsträger für ein angemessenes Mittel hält, werden die Luxemburger Richter in ihrer Entscheidung nicht Namen von Politikern nennen. Es wäre Aufgabe des bayerischen Verwaltungsgerichts, herauszufinden, wer maßgeblich dafür zuständig war, dass das Urteil aus 2012 nicht umgesetzt wurde.

Auch wenn nicht damit zu rechnen ist, dass tatsächlich ein Ministerpräsident wegen der Nichtumsetzung von Luftreinhaltungsplänen in Beugehaft genommen wird – ein entsprechendes Urteil hätte weitreichende Folgen: Sämtliche Verwaltungsgerichte in Deutschland würden es in Zukunft zum Maßstab nehmen. Bei allen Verfahren, in denen Minister, Bürgermeister und Ministerpräsidenten die Entscheidungen von Gerichten ignorieren und keine Fahrverbote erlassen, hätte die Umwelthilfe ein neues und sehr wirksames Druckmittel zur Hand.