Die Fahrverbote für Dieselfahrzeuge kommen. Foto: dpa

Ganz freiwillig raffen sich Grüne und CDU nicht zu Fahrverboten auf. Kretschmann & Co. wollen der Blamage einer Verurteilung durch das Verwaltungsgericht Stuttgart entgehen. Die Richter könnten ein Urteil aus Düsseldorf als Blaupause nehmen, sagt Redakteur Konstantin Schwarz.

Stuttgart - Wenn ein Stück Radweg oder eine neue Ladesäule für Elektroautos eingeweiht wird, rücken Minister und Staatssekretäre an, um den Fortschritt zu preisen. Am Dienstag schickte das Verkehrsministerium einen Abteilungsleiter vor, der dem Gemeinderat nicht weniger als Fahrverbote für 75 Prozent aller Dieselfahrzeuge in Stuttgart ab 2018 ankündigte. Die grüne-schwarze Landesregierung hat dieses Fahrverbot am Dienstag beschlossen.

Für die Menschen, die an viel befahrenen Straßen wohnen, ist dies ein Fortschritt. Seit mehr als zehn Jahren existieren Grenzwerte für gesundheitsschädliches Stickstoffdioxid und Feinstaub. Erst jetzt ist die Landesregierung bereit, sie durchzusetzen und dem Gesundheitsschutz Vorfahrt zu gewähren. Ganz freiwillig raffen sich Grüne und CDU nicht zu Fahrverboten auf. Kretschmann & Co. wollen der Blamage einer Verurteilung durch das Verwaltungsgericht Stuttgart entgehen. Die Richter könnten ein Urteil aus Düsseldorf zu Fahrverboten als Blaupause nehmen. Auch in München spürte die Deutsche Umwelthilfe, die bundesweit klagt, Rückenwind für Dieselfahrverbote.

Ein klares Urteil aus Bayern könnte Stuttgart helfen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) würde vielleicht doch noch die Blaue Plakette als Identifizierungsmerkmal sauberer Autos durchwinken. Mit ihr wären Verbote leichter handhabbar. Ansonsten greift der Notfallplan von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne).

Bahn muss für zuverlässige S-Bahn sorgen

Die gute Nachricht für Anwohner hat ihre Kehrseite für Autonutzer, die sich als Rentner oder Familie mit geringem Einkommen oder als Handwerker nicht schnell einen neuen Wagen kaufen können. Wie bei der Einführung der Roten, Gelben und Grünen Plakette muss es bei einem Fahrverbot Ausnahmen und Härtefallregelungen geben.

Um Umsteiger aufnehmen zu können, müssen die Stadt und der für die S-Bahn verantwortliche Verband Region Stuttgart im Verbund mit dem Land mehr für den Ausbau des Bus- und Bahnverkehrs tun. Es braucht neue Strecken und mehr Züge. Und die Bahn AG muss endlich für eine zuverlässige S-Bahn sorgen. Sie hat die Infrastruktur lange vernachlässigt.

Vielleicht kann Stuttgart aufatmen

Die Reaktionen auf die Verkehrsbeschränkungen waren am Dienstag im Gemeinderat bis auf wenige Ausnahmen verhalten. CDU, Grüne und SPD wissen, dass sie an der Misere als Regierungsparteien in Bund und Land mitgewirkt haben. Immer noch bemüht wird von den Gegnern das Standort-Argument. Wer Autofahren einschränke, beschädige das Image von Stadt und Wirtschaft.

Die Image-Delle haben die Autohersteller aber selbst verursacht. Sie beeinflussten über eine Armada von Lobbyisten, an der Spitze Autopräsident Matthias Wissmann, die Abgasgesetzgebung. Gefügige Parlamentarier erlaubten, dass Autobauer die Abgasreinigung „zum Bauteilschutz“, anders als in den USA, Richtung null regeln dürfen. Das geschieht schon bei Temperaturen um 15 Grad. Ab 2020 gelten härtere Regeln. Mercedes präsentierte Ende 2016 prompt einen Motor, der sie einhält. Saubere Dieseltechnik ist also sehr wohl machbar.

Vielleicht kann Stuttgart in wenigen Jahren tatsächlich aufatmen und die Grenzwerte einhalten. Das wäre ein wirklicher Image-Gewinn. Um ihn zu verkünden, kommt dann bestimmt ein Minister.