Thomas Gotthardt vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub zeigt in Süßen, wie das mit dem Stadtverkehr und den Fahrrädern funktionieren kann und warum die Niederländer das so erfolgreich machen.
Es ist ja nicht so, dass das Thema Mobilität und Stadtverkehr in Deutschland und im Filstal nicht auf der Agenda steht. Die Frage ist vielmehr, was man damit macht und vor allem: wann man damit anfängt. Wie das mit dem Stadtverkehr mit immer weniger Autos und mehr Fahrrädern geht, das hat Thomas Gotthardt vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) am Montagabend in der Süßener Kulturhalle gezeigt. „Vorbild Amsterdam. Wie wird Süßen zur Fahrradstadt“, heißt sein Vortrag, und damit ist klar, wo die Beispiele herkommen, die er zeigt: aus den Niederlanden. Dort ist Gotthardt auch beruflich oft unterwegs und sieht seit Jahren, dass die Städte von immer mehr Verkehr mit dem Rad und immer weniger mit dem Auto enorm profitieren.
Die Niederlande waren „nicht immer ein Fahrradland“
Gleich am Anfang räumt Gotthardt mit dem Mythos auf, dass das in den Niederlanden „schon immer so war, weil das ja ein Fahrradland ist“. Das Land ist zwar – jetzt – ein Fahrradland. Früher war es das aber nicht mehr als Deutschland oder China. „Früher“, das heißt bei Gotthardt bis in die 1960- und 1970er-Jahre. Damals waren die Straßen in den Innenstädten von Amsterdam oder Arnheim genauso mit Autos vollgestopft wie die in Duisburg oder Stuttgart. Und dann? Dann haben die Niederländer mal überlegt, wie das auch anders geht. Und, ganz wichtig, sie haben dann auch mal angefangen mit dem Anderen, haben es einfach ausprobiert. „Das Andere“, das ist das Fahrrad.
Wohl kein anderes Verkehrsmittel ist für das Fortkommen in der Stadt besser geeignet. Denn darum geht es, um die kurzen Strecken, die die nicht länger als fünf Kilometer sind, gerne auch viel kürzer und die früher auch in Amsterdam oder Groningen meist mit dem Auto gefahren wurden. So wie heute noch in Süßen und allen anderen Orten drumherum auch. 60 Prozent Fahrradanteil im Innenstadtverkehr hat, beispielsweise Groningen im Nordosten der Niederlande. Amsterdam liegt mit 58 Prozent nur knapp dahinter. Und Stuttgart? 7, in Worten: sieben Prozent. Wer schon mal in Stuttgart Fahrrad gefahren ist, weiß auch warum: so richtig willkommen fühlt man sich als Radfahrer dort nicht. Und damit ist Gotthardt auch schon bei einem der wichtigsten Punkte: Die potenziellen Radfahrer müssen sich sicher fühlen, dann fahren sie auch Rad. Und sicher fühlen sie sich dann, wenn die Autos nicht in Rockzipfel-Nähe überholen und auch sonst überall den Straßenraum besetzen.
Gotthardt: Wichtig ist in erster Linie die Infrastruktur
Wichtig sei im Grunde nur eins: „Infrastruktur, Infrastruktur, Infrastruktur“, sagt Gotthardt. Und das heißt: baulich voneinander getrennte Wege, für alle. Für Fußgänger, für Radfahrer und für die Autos. Nicht nur da, wo reichlich Platz ist, sondern überall. An jeder Kreuzung, jeder Straße. Also keine verschämt eingezeichneten schmale Radfahrstreifen, links sausen die Autos vorbei, rechts fliegen die Fahrertüren auf. Nein, immer schön getrennt. Natürlich gibt es das auch nach so vielen Jahren der Entwicklung immer noch nicht überall in den Niederlanden, aber wenn die Fahrräder, warum auch immer, wirklich mal auf die Straße müssen, dann gilt dort konsequent: Tempo 30. Das reduziert die Unfälle mit schweren Folgen drastisch, Studien dazu gibt es reichlich.
Mächtig erleichtert und beschleunigt hat der niederländische Planungsansatz das Ganze. Wenn irgendwo Straßen neu gebaut oder saniert werden, denken die Niederländer vom „unten her“. Erst die Fußgänger, dann die Radfahrer und das, was dann noch übrig bleibt, das ist für die Autos.
Bürgervertreter holen sich Anregungen
Ausflug
Der Fahrradexperte Thomas Gotthardt belässt es nicht bei seinem Vortrag, den er in ähnlicher Form schon gut 24 Mal in ganz Deutschland gehalten hat. Er fährt auch in der kommenden Woche los zur Exkursion ins gelobte Land des Fahrradverkehrs, in die Niederlande.
Vorbild
Und er nimmt die, die beim Thema Fahrradverkehr was zu sagen haben mit: Gemeinderäte aus dem Filstal, dazu Verwaltungsleute – sogar aus der Fahrrad-Diaspora Göppingen – fahren mit Gotthardt in die altehrwürdige Bischofsstadt Utrecht, die beim Radverkehr schon heute ganz vorne mit dabei ist. Dort ist zu sehen, wie und was man alles so machen kann, wenn man mal macht.