Auch in Stuttgart kommt es zu Konfliktsituationen zwischen Fahrrad- und Autofahrern. Diese sind aber nicht so ausgeprägt wie in anderen Städten (Symbolbild). Foto: dpa

Auf den Straßen herrschen „kriegsähnliche Zustände“ zwischen Fahrrad- und Autofahrern, schreibt die Zeitschrift „Auto Bild“. Ist das wirklich so? Und wie ist die Lage in Stuttgart? Wir haben nachgefragt.

Stuttgart - Mit der Titelgeschichte der Zeitschrift „Auto Bild“ ist jüngst eine Diskussion aufgeflammt, die schon lange unter der Oberfläche brodelte. Die Frage „Sind Radfahrer wichtiger als wir Autofahrer?“, wie sie die „Auto Bild“ provokant auf ihrem Cover stellte, brachte den Stein ins Rollen. Der Berliner Landesverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs e.V. (ADFC) hat in einem Facebook-Post auf den Artikel reagiert – und vertritt damit die Seite der Fahrradfahrer.

Wir sind der Frage nachgegangen, ob die Fronten zwischen Auto- und Fahrradfahrern tatsächlich so verhärtet sind. Wie häufig sind Fahrradfahrer an Verkehrsunfällen in Stuttgart beteiligt? Verhalten sich Radfahrer auf Stuttgarts Straßen wie Verkehrsrowdys oder sind sie die eigentlichen Opfer? Wir haben beim Polizeipräsidium Stuttgart, dem ADFC Stuttgart und dem ADAC Württemberg nachgefragt.

Laut Reimund Elbe vom ADAC Württemberg e.V. gibt es auch in Stuttgart häufiger Konfliktsituationen zwischen Rad- und Autofahrern. Diese seien allerdings nicht so ausgeprägt wie in anderen Städten, weil in Stuttgart der Anteil an Fahrradfahren vergleichsweise gering ist. In der Innenstadt hätten Fahrradfahrer die Möglichkeit dem Straßenverkehr aus dem Weg zu gehen, indem sie durch die Parks fahren. Das Resultat: Konflikte zwischen Fußgängern und Fahrradfahrern. „Hier prallen noch größere Geschwindigkeitsunterschiede und noch weniger Verständnis aufeinander als im Konfliktfall Auto-Fahrrad“, so Elbe.

Autofahrer gefährden vor allem andere

Wirft man einen Blick in die Polizeistatistik des Polizeipräsidiums Stuttgart, so fällt auf, dass 51 Prozent aller Fahrradunfälle von Fahrradfahrern selbst verursacht werden. In 41 Prozent der Fälle – 188 von 453 Fahrradunfällen – sind Autos die Unfallverursacher, informiert Polizeisprecher Tobias Tomaszewski. Laut Polizeistatistik 2016 sei zu beobachten, dass sich Radfahrer – infolge eines geringen Ahndungsrisikos – häufiger über Verkehrsregeln hinwegsetzen, als das bei Autos der Fall ist.

Frank Zühlke, stellvertretender Vorsitzender des ADFC Stuttgart, sieht die Lage differenzierter: „Rote Ampeln werden von Fußgängern vermutlich weniger befolgt als von Radfahrern, und es gibt auch vermehrt Autos, die bei ‚Dunkelgelb’ noch durchfahren.“ Der zentrale Unterschied zwischen Fußgängern und Radfahrern auf der einen und Autofahrern auf der anderen Seite: Fußgänger und Fahrradfahrer gefährden sich selbst, Autofahrer gefährden vor allem andere, so Zühlke.

Trotzdem hält er es für falsch, alle Autofahrer über einen Kamm zu scheren: „Es gibt Autofahrer, die Radfahrer zu dicht überholen und die meinen, Radwege, Fußwege und Straßenecken seien Ersatzparkplätze.“ Gleichzeitig gebe es aber auch solche, die beim Überholen vorsichtig sind und Radfahrer durchwinken, obwohl sie selbst Vorfahrt haben.

Für Reimund Elbe vom ADAC liegt das Problem in Stuttgart in der vernachlässigten Radfahrinfrastruktur und der inkonsequenten rechtlichen Regelung und Sanktionierung von Verkehrsverstößen. Autofahrer hätten eine eigene Infrastruktur mit klaren Regeln und ein Kennzeichen mache nachvollziehbar, wer sich nicht an die Regeln hält. Für Radfahrer gibt es zwar auch diverse Regeln, allerdings werden Verstöße nur selten kontrolliert und sanktioniert, so Elbe. „Für viele stellt Radfahren daher so etwas wie einen rechtsfreien Raum dar.“ Teilweise seien Radfahrer aber auch mehr oder weniger gezwungen, gegen Regeln zu verstoßen, da es vielerorts schlicht keine Infrastruktur für die sie gibt. „Selbstverständlich halten sich auch nicht alle Autofahrer an die Regel“, stellt Elbe klar. Das liege allerdings weniger an der Infrastruktur, als an der Kontrolldichte der Behörden.

Selbstbewusst, aber nicht aggressiv

Auch Zühlke räumt Fehler seitens der Radfahrer ein: „Ein ‚typisches’ Fehlverhalten bei Radfahrern ist Fahren ohne Licht.“ Der ADFC habe durch Lichtaktionen zwar schon häufig auf die Relevanz einer guten Beleuchtung hingewiesen, eine Mitschuld würden hier aber auch Fahrradhersteller mit schlechten Lichtanlagen tragen. „Hierfür sollten die Normen deutlich verschärft werden. Solche Räder haben im Handel nichts zu suchen“, so Zühlke. Auch er sieht das Fahren auf dem Gehweg als Fehlverhalten seitens der Fahrradfahrer. Dieses Verhalten sei aber häufig der Angst vor Autos geschuldet.

Alles in allem könne man in Stuttgart durchaus Fahrradfahren, ohne Angst davor haben zu müssen, gleich niedergemäht zu werden, so Zühlke. Wichtig sei es, sichtbar zu fahren, sich nicht an den Rand quetschen zu lassen oder auf den Gehweg zu verkriechen. Radfahrer sollten stattdessen ihren Platz im Straßenraum selbstbewusst – aber nicht aggressiv – verteidigen, so Zühlke. Die goldene Radfahrerregel: Immer mit den Fehlern anderer rechnen.

Auch Elbe rät, sich in die Situation der anderen Verkehrsteilnehmer hineinzuversetzen und vorausschauend unterwegs zu sein. Die Verkehrsinfrastruktur sei kein rechtsfreier Raum – weder für Autofahrer noch für Fahrradfahrer und Fußgänger. So sollten Autofahrer beim Überholen immer ausreichend Platz zum Radfahrer lassen, Radfahrer sollten wiederum Abstand zum Fußgänger halten und Fußgänger die Radwege freihalten. „Jeder Verstoß gegen solche Regeln führt zu einem höheren Aggressionslevel und folglich zu mehr Problemen“, so Elbe.

Die „Auto Bild“ pauschalisiert

Zühlke vom ADFC Stuttgart gibt Autofahrern eine klare Botschaft mit auf den Weg: „Es gibt Gründe, warum Autos nicht auf allen Straßen zugelassen sind und man nicht auf allen Flächen parken darf.“ Die Geschwindigkeitsbegrenzung sei nicht in Meilen, sondern in Kilometer pro Stunde angegeben.

Der Artikel der Zeitschrift „Auto Bild“ ist für Cornelius Gruner, Vorsitzender des ADFC Stuttgart, und seinen Stellvertreter ein absolutes No-Go. Die Aussage „Radfahrer klauen uns die Straße“ sei nicht nur absurd, sondern schon fast unverschämt, so Gruner. Die Autofahrer seien es, die nicht nur seit Jahrzehnten die Straßen „klauen“, sondern auch den Lebensraum der Menschen. Zühlke kritisiert zusätzlich die Verallgemeinerung im Artikel. Der „Auto Bild“ komme es wie gerufen, dass es Radfahrer gibt, die sich falsch verhalten. „Das wird dann auf alle Radfahrer verallgemeinert und fertig ist das Feindbild“, sagt er.