Die Tarifreform hat mehr Fahrgäste gebracht – aber ist der Zuwachs ausreichend, um von einem Erfolg zu sprechen? Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

CDU und Freie Wähler in der Regionalversammlung sehen im Gegensatz zu OB Fritz Kuhn keinen großen Erfolg der Tarifreform. Ihr Credo: der Preis sei zweitrangig, wichtiger sei ein besseres Angebot.

Stuttgart - Obwohl die Fahrgastzahlen im Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) im vergangenen Jahr auf eine neue Rekordhöhe gestiegen sind, mehrt sich die Kritik daran, dies allein auf die seit dem 1. April gültige Tarifreform zurückzuführen. So auch im Verkehrsausschuss des Verbands Region Stuttgart. „Der Zuwachs ist nicht der große Erfolg“, sagt der CDU-Regionalrat Rainer Ganske, der auch im Aufsichtsrat des VVS sitzt. Und Bernhard Maier, Regionalrat der Freien Wähler und ebenfalls VVS-Aufsichtsratsmitglied sieht es genauso: „Der große Brüller war die Tarifreform nicht.“

Aus 52 wurden fünf Zonen

Zur Erinnerung: Zum 1. April 2019 trat die bundesweit beachtete und als beispielhaft geltende Tarifreform im Kraft, die das System drastisch vereinfachte. Statt 52 Tarifzonen gibt es seitdem nur noch fünf Ringzonen, das gesamte Stadtgebiet von Stuttgart ist eine Zone, in den Kreisen sind es maximal vier.

Dadurch wurden Fahrten in Stuttgart und aus dem Umland in die Landeshauptstadt wesentlich preisgünstiger – teilweise um 25 bis 30 Prozent. Auf der Jahrespressekonferenz machten VVS-Aufsichtsratschef Fritz Kuhn und die Geschäftsführer Thomas Hachenberger und Horst Stammler die Tarifreform für den überdurchschnittlichen Fahrgastzuwachs verantwortlich: Während es im ersten Quartal 2019 wie bundesweit nur eine geringfügige Steigerung gegeben habe, sei seit April die Zahl der beförderten Personen um 3,2 Prozent gestiegen, bei von der Reform betroffenen Fahrscheinen sogar um 4,8 Prozent.

Unterm Strich bilanzierte der VVS einen Steigerung um 2,8 Prozent auf 394,5 Millionen Fahrten, was deutlich über dem bundesweiten Plus von gerade 0,3 Prozent liege. „Noch nie sind so viele Menschen mit Bussen und Bahnen in der Region Stuttgart gefahren wie im vergangenen Jahr“, freuten sich Kuhn, Stammler und Hachenberger.

Mehr Zuspruch durch besseres Angebot?

In diese Freude will Ganske, Nahverkehrsexperte der CDU/ÖDP-Fraktion nicht vorbehaltlos einstimmen. „Das ist nicht der große Erfolg, an den viele durch die Tarifreform geglaubt haben“, sagt er. Der Preis sei das eine, viel wichtiger sei aber das Angebot, also mehr und längere S-Bahnen und neue Linien. „Das schafft Nachfrage“, sagt Ganske. So argumentiert auch Maier: „Was sorgt für mehr Kunden: ein besseres Angebot oder geringere Preise?“, fragt er – und sieht sich durch die aus seiner Sicht überschaubaren Fahrgastzuwächse bestätigt: „Mehr Zuspruch bekommt man nicht über den Preis, sondern über ein besseres Angebot“, sagt der frühere Landrat des Kreises Böblingen.

„Der Preis ist nur ein Faktor“, sagt zwar auch Philipp Buchholz von den Grünen. Aber durch die von CDU, Freien Wählern, FDP und AfD durchgesetzte Tariferhöhung zum 1. April 2020 um durchschnittlich 1,9 Prozent sei der Effekt der Tarifreform konterkariert worden. „Das ist das falsche Signal an die Fahrgäste“, sagt Buchholz. Die Grünen im Stuttgarter Rathaus sprechen von einem „Riesenerfolg des Modells Stuttgart – eine Zone“, so Fraktionschef Winter.

Auch Jasmina Hostert widerspricht Ganske und Maier. „Wir sollten Qualität und Preis des Nahverkehrs nicht gegeneinander ausspielen. Beides ist wichtig“, sagt die stellvertretende SPD-Fraktionschefin in der Regionalversammlung. Man könne nach nicht einmal einem Jahr Tarifreform noch nicht ein endgültiges Fazit ziehen, mahnt sie zu Geduld: „Wir müssen da noch abwarten.“