„Der Festgenommene hat andauernd gequatscht, bestreitet aber die Tat“, berichtet Daniel Muth, der Kripochef in Fulda. Foto: dpa

Ein präzises Täterprofil, von Sprachwissenschaftlern erstellt, hat die Polizei auf die Spur des mutmaßlichen Entführers des Würth-Sohns geführt. Aber auch Kommissar Zufall hat geholfen.

Fulda/Künzelsau - Spektakuläre Details im Fall der Entführung des Unternehmersohns Markus Würth haben die Polizei und die Staatsanwaltschaft am Donnerstag in Fulda (Hessen) bei einer live im hessischen Fernsehen übertragenen Pressekonferenz bekannt gegeben. Ein am Mittwoch in Offenbach festgenommener verdächtiger Mann sei nicht nur „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ der Entführer des behinderten Millionärssohnes. Was bisher nicht bekannt war: Der 48-Jährige hat außerdem im vergangenen April über verschlüsselte E-Mails dem Unternehmer und Kunstmäzen Reinhold Würth in Künzelsau (Hohenlohekreis) eine erneute Entführung von Markus Würth oder eines anderen Familienmitglieds angedroht und 70 Millionen Euro in einer Kryptowährung gefordert. Im Laufe der darauf folgenden Kommunikation, die nach vier Monaten abgebrochen wurde, habe der Schreiber der E-Mails Wissen offenbart, das nur der Täter der Entführung haben konnte.

Spezialkräfte der Polizei haben am Mittwochmorgen den 48-jährigen Mann als mutmaßlichen Täter in dessen Wohnung in Offenbach festgenommen und ein Laptop sowie ein Handy sichergestellt. Es handelt sich um einen Familienvater mit zwei Kindern, der aus Serbien-Montenegro stammt und seit 1994 in Deutschland lebt. Gegen den Mann, der nicht vorbestraft ist, wurde ein Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts auf erpresserischen Menschenraub erlassen. Er befindet sich in einer hessischen Justizvollzugsanstalt. Ihm drohen, falls er verurteilt wird, bis zu 15 Jahre Haft.

1000 Fahndungsplakate aufgehängt

Minutiös schilderten die Polizei und die Staatsanwaltschaft die langwierigen und personalintensiven Ermittlungen der Soko Hof, die von Spezialeinheiten des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter in Baden-Württemberg und Hessen unterstützt wurden. Im Juli 2015 und noch einmal im vergangenen Mai baten die Fahnder in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY . . . ungelöst“ um Hinweise aus der Bevölkerung. Die Fahndung wurde auch auf Facebook und andere Social-Media-Kanäle ausgeweitet. Außerdem wurden mehr als 1000 Fahndungsplakate im Rhein-Main-Gebiet aufgehängt und 60 Millionen Datensätze aus Funkzellen ausgewertet.

Den Ermittlungserfolg verdankt die Polizei einer Zeugin, die die Stimme des Entführers wiedererkannt hat. Sie hat der Polizei zweieinhalb Jahre nach der Tat den entscheidenden Hinweis gegeben. Die Frau war laut Thomas Hauburger, dem Sprecher der Staatsanwaltschaft in Gießen, eine Kundin des Verdächtigen gewesen, der als Handwerker im Rhein-Main-Gebiet tätig war. „Aus Langeweile“ habe sie, wie sie berichtete, die Hotline angerufen, unter der man sich eine Aufzeichnung der Stimme des Entführers anhören konnte. Und das könnte sich nicht nur für die Ermittler gelohnt haben, denn für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen, ist eine Belohnung von 30 000 Euro ausgesetzt worden. „Die Summe kann allerdings erst nach einem Urteil ausgezahlt werden“, sagte Hauburger.

Drei Millionen Euro Lösegeld gefordert

Markus Würth war im Juni 2015 im hessischen Schlitz gekidnappt worden. Der Millionärssohn, der wegen eines Impfschadens behindert ist und keine Aussagen zu seinem Entführer machen kann, lebte dort in einer integrativen Wohngemeinschaft. Einen Tag später wurde der damals 50-Jährige in einem Wald bei Würzburg unversehrt an einen Baum gekettet gefunden, der Entführer hatte die Stelle preisgegeben. Zur Übergabe des geforderten Lösegelds von drei Millionen Euro sei es nicht gekommen. Auch beim zweiten Erpressungsversuch sei dem Täter nichts gezahlt worden. Hauburger sprach von einer „sehr belastenden Situation“ für die Familie Würth und bat die Medien, sie nicht mit Fragen zu belästigen.

„Der Festgenommene hat andauernd gequatscht, bestreitet aber die Tat“ , berichtete der Fuldaer Kripochef Daniel Muth, der den Verdächtigen über zehn Stunden lang vernommen hat. „Der Tathergang und das Motiv liegen für uns noch im Dunkeln.“ Ob es Komplizen gebe, müssten die weiteren Ermittlungen zeigen. Der Mann könne durchaus alleine gehandelt haben.

Die Stimme war verräterisch

Die Sicherheit der Ermittler, tatsächlich den Entführer von Markus Würth gefasst zu haben, basiert auf einer sehr konkreten Täterbeschreibung, die Marburger Sprachwissenschaftler erstellt haben. Als der Entführer der Würth-Familie am Telefon mitteilte, wo er sein Opfer zurückgelassen habe, wurde eine Tonbandaufnahme erstellt. Auf der Basis der Klangfarbe und Tonalität seiner Stimme hätten die Experten den Lebensweg des Mannes „sprachlich sehr genau nachvollzogen“. Noch einen Tag nach der Festnahme zeigte sich Thomas Hauburger sichtlich überrascht: „Das Täterprofil hat zu 100 Prozent zugetroffen.“