Immer wieder werden Obdachlose Ziele brutaler Angriffe. Der jüngste Fall in einer Berliner U-Bahn-Station hat besonders große Aufmerksamkeit erregt. Foto: dpa

Auf der Suche nach sieben jungen Männern, die einen Obdachlosen angezündet haben, hat die Berliner Polizei ungewohnte Wege beschritten. Mit Erfolg. Nicht alle Vorschläge, die daraus jetzt abgleitet werden, sind klug, meint Christoph Reisinger.

Stuttgart - Es ist nun mal so: Die große Mehrheit der Deutschen hat ihr Bild vom Rechtsstaat und dessen Pflege aus Fernsehsendungen wie „ Tatort“ oder „Polizeiruf 110“. Das ist nicht schlimm. Aber dieses Bild taugt nicht zur Richtschnur der Rechtspolitik. Auch nicht, wenn nach dem großartigen Fahndungserfolg gegen sieben Vollidioten, die in Berlin einen Obdachlosen angezündet haben, der Ruf nach noch mehr Überwachungskameras oder nach hemdsärmeliger Veröffentlichung von Fahndungsfotos und -videos ertönt.

Schließlich bleibt der Rechtsstaat nur einer, wenn er die Grundrechte wahrt. Hätte die Bundespolizei auf der Suche nach Hintermännern vergangene Woche das Foto jenes Mannes veröffentlicht, der über Stunden zu Unrecht als Urheber des Anschlags auf einen Berliner Weihnachtsmarkt galt – der Schaden für den Betroffenen wäre nicht mehr behebbar.

Es mangelt an Bereitschaft, Gesetze anzuwenden

Wer Grundrechte oder die sinnvollen Regeln der Strafprozessordnung mit Täterschutz verwechselt, sollte sich dringend mit der Arbeit wirklicher Polizisten, Staatsanwälte, Richter, Vollzugsbeamter befassen. Denn das hilft zu begreifen: Es mangelt kaum einmal an Fahndungsspielräumen. Vielmehr an Ausstattung und immer wieder auch an der Bereitschaft, Gesetze konsequent anzuwenden.

Die Lehre aus dem Fahndungserfolg der Berliner Polizei ist nicht, dass Deutschland digitale Pranger braucht. Sondern die, dass es richtig ist, wenn die Polizei die Möglichkeiten der Kommunikation über digitale Netzwerke zeitgemäß nutzt. Wenn die Justiz das strikt fallbezogen begleitet. Und wenn der Gesetzgeber sicherstellt, dass Zuwanderer, die Gewalt und Terror verbreiten, statt Schutz vor Gewalt und Terror zu suchen, das Land verlassen müssen.

christoph.reisinger@stuttgarter-nachrichten.de