„Es gibt keinen Anlass für Änderungen an den Auswahlverfahren“, sagt Wissenschaftsministerin Theresia Bauer Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das Klagelied wird von Tag zu Tag lauter: In Baden-Württemberg fehlen immer mehr Ärzte, vor allem auf dem Land. Doch Korrekturen fürs Medizinstudium lehnt die Wissenschaftsministerin ab.

Stuttgart - Morgens nach dem Frühstück mal schnell beim Arzt anrufen und um einen Termin kurz vor Mittag bitten? Oder vielleicht den Hausarzt am Wochenende am Rand vom Dorffest fragen, ob man gleich am Montagmorgen wegen Beschwerden an der Hüfte mal vorbeischauen darf? Was derzeit landauf, landab vielerorts durchaus noch möglich ist, weil der Hausarzt gleich um die Ecke wohnt oder im selben Sportverein ist, wird künftig die Ausnahme werden. Nach Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) wird die Zahl der klassischen Hausärzte in den nächsten Jahren um zehn Prozent dramatisch sinken. Derzeit gibt es landesweit noch rund 5200 Vertreter dieser Zunft, bald werden es 500 weniger sein.

Der Grund: Die Mediziner geben altershalber ihre Praxis auf, finden aber keinen Nachfolger, weil junge Ärzte mit Familien oftmals nicht aufs Land ziehen wollen, eine permanente Verfügbarkeit ablehnen und großen Wert auf geregelte Arbeitszeiten legen – wie es sie im Regelfall in Kliniken gibt.

Noch eine Zahl untermauert die Entwicklung: Laut einer Bertelsmann-Stiftung steigt das Durchschnittsalter der Mediziner weiter rapide an – von 46,7 vor zehn Jahren auf nunmehr 53,1 Jahre.

Stipendien oder günstige Grundstücke sollen Jungmediziner aufs Land locken

Seit Monaten versuchen Landkreise und einzelne Städte dem Trend des Ärztemangels in ländlichen Regionen entgegenzuwirken. Mal werden angehende Jungmediziner für einige Tage zum Schnuppern eingeladen, um die Gegend kennenzulernen. Mal werden Grundstücke halb verschenkt, wenn sich ein Arzt bereit erklärt, sich vor Ort niederzulassen. Mal werden Stipendien fürs Studium bezahlt, wie dies zum Beispiel der Landkreis Calw macht, auf dass sich die Ärzte nach dem Staatsexamen dann im Landkreis niederlassen und praktizieren.

Doch nicht immer führen diese Werbemaßnahmen zum Erfolg. Vor diesem Hintergrund wagte sich Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) vergangene Woche nun an ein heißes Thema. Bei einer Podiumsdiskussion der Veranstaltungsreihe „Dunkle Wälder – Bunte Perspektiven“ in Baiersbronn (Kreis Freudenstadt) regte Altpeter an, den Numerus clausus für das Medizinstudium zu senken. „Man muss nicht selbst einen Mangel produzieren“, hatte Altpeter gesagt und darauf hingewiesen, das es viele junge Menschen gebe, die sich für ein Medizinstudium interessieren würden, aber „kein Einser-Abi“ vorweisen könnten. „Der Notendurchschnitt sagt doch aber längst nicht alles über die Qualifikation eines jungen Menschen für den Arztberuf aus.“ Wenn die jungen Leute allzu lange in der Warteschleife verharren müssten, um auf einen Medizinstudienplatz zu hoffen, „entscheiden sie sich dann oftmals für einen anderen Studiengang“. Soll heißen: Der oder die wird nicht mehr Mediziner.

Doch Altpeters Vorstoß findet in der grün-roten Landesregierung bei der zuständigen Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) keine Zustimmung. Trotz eines immer größer werdenden Ärztemangels lehnt Bauer es ab, die Zulassungsvoraussetzungen für das Medizinstudium zu korrigieren. „Es gibt derzeit keinen Anlass, Änderungen in den Auswahlverfahren herbeizuführen“, sagte sie am Dienstag unserer Zeitung. „Für die Berechnung des Numerus clausus wird nicht nur die durchschnittliche Abiturnote herangezogen, sondern eine Kombination aus mehreren Kriterien“, betonte die Wissenschaftsministerin. Dazu gehörten das Abschneiden beim Medizinertest, Wartezeiten oder das Absolvieren sozialer Dienste und freiwilliges Engagement.

Im Land gibt es 11000 Medizinstudenten

Kritik am geltenden Verfahren kommt aber nicht nur von der Sozialministerin, sondern nun auch von der Kassenärztlichen Vereinigung. „Wir haben zu wenig Ärzte, und dagegen muss etwas getan werden“, so Verbandssprecher Kai Sonntag. Angesichts der erwarteten Praxisschließungen und der Tatsache, dass junge Mediziner – gerade Frauen – oftmals nur einige Stunden pro Tag arbeiten wollten, „brauchen wir künftig drei neue Kollegen, wo bisher zwei da waren“.

Aber woher nehmen? Zwar studieren laut einer Statistik des Stuttgarter Wissenschaftsministeriums derzeit an den vier Universitäten Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm insgesamt etwa 11 000 angehende Mediziner. Aber nicht alle werden im Land bleiben oder sich automatisch mit einer Praxis selbstständig machen. Angesichts der demografischen Entwicklung wachse aber der Bedarf an Medizinern und Pflegekräften, so Sonntag. „Baden-Württemberg hat eindeutig zu wenig Ärzte“, sagt Sonntag und fordert vom Land eine Reform des Medizinstudiums. „Die Ärzte werden am Bedarf vorbei ausgebildet.“ Der Großteil der ausgebildeten Ärzte bleibe an den Kliniken, wechsle in die Pharmabranche oder mache eine Facharztausbildung. „95 Prozent der Behandlungen finden aber ambulant statt.“ Das gesamte Medizinstudium gehöre deshalb „auf den Prüfstand“.