Trauer über den Verlust eines lieben Menschen ist eine normale Reaktion. Foto: dpa

Ein Fachtag des Hospiz Stuttgart im Hospitalhof zeigt die zunehmende gesellschaftliche Bedeutung von Trauerarbeit. Dabei wird auch deutlich, dass Trauernde zu schnell als krank abgestempelt werden, wenn sie der Verlust eines lieben Menschen vermeintlich zu lange erschüttert.

Stuttgart - Ist das Thema Trauer und die Bewältigung derselben aktueller denn je? Es scheint so. Ein Hinweis dafür geben auch die Bemühungen der katholischen Kirche in Degerloch am Hospiz St. Martin ein neues trauerpastorales Zentrum aufzubauen. Aber auch just die Teilnehmerzahl (600 !) des diesjährigen Fachtages des Hospiz Stuttgart im Hospitalhof zum Thema zeigen: Trauerarbeit wird ein neuer Wert zugeschrieben.

Warum das so ist, erklärt Referentin und Psychotherapeutin Chris Paul. Aus Sicht der Fachfrau hat die zunehmende Bedeutung von Trauerarbeit drei Gründe: „Erstens, weil die klassischen Unterstützersysteme wie Familie oder Kirche wegbrechen. Zweitens, weil man sich heute mit Trauer auseinandersetzen darf. Und drittens, weil die Gesellschaft ein Interesse daran hat, dass Leute so schnell wie möglich wieder funktionieren.“

Der dritte Aspekt ist daher auch Titel des Fachtages: „Trauer – stört? Ist das noch normal?“ Antwort: In der Regel ja. Wer vermeintlich zu lange trauert, wird schnell schief angeschaut. Ja, auch schnell als krank abgestempelt.

Reichen 14 Tage Trauer?

Laut eines der weltweit wichtigsten Klassifikationssysteme von Krankheiten für Mediziner und Therapeuten sollte der Verlust eines nahestehenden Menschen nach einem halben Jahr verarbeitet sein. In einem zweiten internationalen Klassifikationssystem, an dem eine große Zahl von Vertretern der Pharmaindustrie mitgearbeitet hat, sollte man sogar nach 14 Tagen wieder vollkommen auf dem Damm sein. Sonst, so heißt es im Jargon der Weltgesundheitsorganisation (WHO), habe man eine anhaltende Trauerstörung. Kurzum: man ist krank. „So wird ein Produkt daraus, welches Ärzte und Therapeuten abrechnen können“, sagt Christ Paul.

„Dagegen müssen wir uns wehren“, rief Professorin Luise Reddemann (Psychotraumatologie Universität Klagenfurt) ins Publikum, „heute wird propagiert, dass wir alle Stehaufmännchen sein sollen.“ Dabei sei Trauer in rund 96 Prozent aller Fälle eine natürliche Reaktion auf Verlust. Nichts Anderes hat Alt-Prälat Martin Klumpp, ein Mitbegründer des Hospiz Stuttgart, in seiner 38-jährigen Erfahrung in der Trauerarbeit erlebt. Und er sieht nun auch den Wandel der Perspektive auf Trauer: „In der Gesellschaft, in der wir leben, ist alles auf Leistung, Erfolg und Funktionieren ausgerichtet.“ Aber in der Trauer sei man plötzlich mit Ereignissen konfrontiert, die Gefühle auslösen. Diese Emotionen, so Klumpp, würden zwar gerne verdrängt, lösten sich aber nicht auf: „Meistens wecken sie uns mitten in der Nacht.“

Spätestens dann, so der einhellige Tenor der Fachtags-Referenten, sei die Unterstützung und Begleitung eines haupt- oder ehrenamtlichen Trauerbegleiters sinnvoll. Nicht zuletzt deshalb, sagt Martin Klumpp, „dass die Leute merken, dass sie mit ihrer Trauer nicht unnormal sind“.

Trauerarbeit findet keine finanzielle Unterstützung

Trotz der gewachsenen Bedeutung der Trauerarbeit fehlt es den Trägern, in der Regel Hospize, an der notwendigen Anerkennung. „Leider ist Trauerarbeit noch nicht refinanziert“, sagt Susanne Haller, Leiterin der Elisabeth-Kübler-Ross-Akademie im Hospiz Stuttgart: „Die Arbeit wird über Spenden finanziert.“ Immerhin: Ein erster Schritt, beispielsweise das Sozialministerium des Landes von der Relevanz der Trauerarbeit zu überzeugen, sei gelungen. „Inzwischen werden die Ausbildungskosten zum Trauerbegleiter vom Land unterstützt“, sagt Haller und verbindet ihre Freude darüber mit der Hoffnung, „Menschen zunehmend für dieses wichtige Thema sensibilisieren zu können.“

Das scheint ihr nicht zuletzt mit diesem Fachtag gelungen zu sein.