Besucher einer Jobmesse in Duisburg. Obwohl es in Deutschland über 100.000 offene Stellen für Ingenieure gibt, finden viele Bewerber nur befristete Jobs oder absolvieren zahlreiche Praktika. Foto: dapd

Ökonom Brenke findet Klagen über Personalmangel überzogen – er rechnet mit zu vielen Ingenieuren.

Finden deutsche Firmen in ein paar Jahren noch genügend qualifiziertes Personal? Der Berliner Arbeitsforscher Karl Brenke sagt Ja, den vielfach beklagten Fachkräftemangel hält er eher für einen Mangel an billigen und hochflexiblen Fachkräften, die jederzeit austauschbar sind.

Herr Brenke, viele Unternehmen suchen händeringend Personal, die Klagen über Fachkräftemangel reißen nicht ab. Droht Deutschland der personelle Notstand?
Wenn Arbeitskräfte knapp werden, steigen die Gehälter. Zuletzt haben wir keine großen Lohnsteigerungen gehabt, auch nicht bei Ingenieuren, an denen angeblich ein Mangel herrscht. In Gesundheits- und Pflegeberufen zeichnet sich dagegen tatsächlich Personalknappheit ab.

 

Der Verband der Ingenieure meldet so viele offene Akademiker-Stellen wie nie. Das spricht doch für einen Mangel.
Offene Stellen sind noch kein Indiz für einen Mangel, sondern sie variieren mit der Konjunktur. Wir haben einen Ansturm auf die Universitäten erlebt, insbesondere auf ingenieurwissenschaftliche Fächer. Gegenwärtig verlassen jedes Jahr 50.000 Studenten die Hochschulen, das sind mehr als doppelt so viele wie in den 70er und 80er Jahren. Die Beschäftigung bei Ingenieuren ist bei weitem nicht so stark gestiegen. Die Zahl der Absolventen reicht allemal aus, um den Ersatzbedarf für aus dem Erwerbsleben ausscheidende Mitarbeiter und den zusätzlichen Bedarf zu decken. Ich fürchte eher, dass wir eine Entwicklung wie bei den IT-Kräften Anfang der 90er erleben. Es hat sich ein richtiger Schweinezyklus aufgebaut, und in zwei, drei Jahren könnte es sogar eine Ingenieurschwemme geben.

Mit dieser Meinung dürften Sie ziemlich alleine dastehen.
Wenn Fachkräfte wirklich knapp wären, dann würden die Unternehmen die Leute doch fest anstellen. Der besagte Fachkräftemangel ist eher ein Mangel an billigen und hochflexiblen Arbeitskräften, die jederzeit austauschbar sind. Die Industrieunternehmen werden zunehmend an kurzfristigen Renditezielen ausgerichtet und orientieren sich am Erfolg des jeweiligen Jahrs oder sogar nur an einzelnen Quartalen. Dazu mag es passen, Ingenieure kostengünstig bei einer Leiharbeitsfirma einzukaufen und sich die Einarbeitungszeit zu sparen. Ob das eine Strategie ist, um längerfristig erfolgreich zu sein, bleibt abzuwarten.

Sie sagen also, die Klagen sind überzogen – warum sollten Firmen über etwas klagen, was nicht existiert?
Sie klagen über einen Mangel an Leuten zu einem bestimmten Preis. Zudem sagt kaum ein Personalverantwortlicher gern von sich, einen einfachen Job zu haben – das würde er aber, wenn er problemlos Fachkräfte finden würde. Zudem versuchten die Unternehmerverbände Einfluss auf die Politik auszuüben, um günstig an qualifizierte Arbeitskräfte aus Drittländern zu kommen. Mit Erfolg: Im Zuge der Blue Card hat Deutschland die Löhne für hoch qualifizierte Zuwanderer viel niedriger angesetzt, als es die EU vorgesehen hatte – nämlich bei rund 35.000 Euro Jahreseinkommen für besonders gesuchte Berufe. Das ist ja schon Facharbeiterniveau.