Lehrerin Elena Gauss (hinten links) hat eine Gruppe hoch konzentrierter – und ziemlich aufgeregter – Italiener vor sich. An diesem Freitag steht der entscheidende Sprachtest an. Foto: factum/Bach

Deutschland braucht Fachkräfte. Die Unternehmen suchen intensiv – auch im Ausland. Unsere Zeitung begleitet eine solche Anwerbung und die beteiligten Menschen ein Jahr lang. Heute: Das große Büffeln und Zittern vor dem alles entscheidenden Test.

Stuttgart/Böblingen - Claudia Simeones Augen strahlen. Schließlich erzählt sie von ihrem Lieblingsfilm. „Das Leben ist schön“ von Roberto Benigni. Der habe sie „sehr berührt“, sagt die 25-Jährige. Die tragikomische Geschichte eines Vaters, der seinem Sohn im KZ vorgaukelt, alles sei nur ein Spiel, ist zum Lachen und zum Weinen gleichermaßen. Die junge Italienerin schildert flüssig, worum es in dem Film geht – und gerät nur einmal kurz ins Stocken. Der Begriff „nationalsozialistisches Konzentrationslager“ will ihr nicht so ganz unfallfrei über die Lippen kommen.

Kein Wunder. Denn die 14 italienischen Krankenpflegekräfte, die der Sindelfinger Klinikverbund Südwest für die Arbeit in seinen Krankenhäusern angeworben hat, leben erst seit zehn Monaten in Deutschland. Seither haben sie sich mal mehr, mal weniger in ihrer neuen Heimat eingelebt. Die Arbeit auf den Stationen läuft für die meisten gut, viele Kollegen helfen, wo sie können. Doch die größte Hürde steht jetzt bevor.

An diesem Freitag wartet die B-2-Sprachprüfung auf die jungen Fachkräfte. Nur wer sie besteht, bekommt seinen Berufsabschluss dauerhaft vom Regierungspräsidium anerkannt und kann als vollwertiger Krankenpfleger in Deutschland arbeiten, wo so dringend Pflegepersonal gebraucht wird. „Sehr nervös“ lautet die immer gleiche Antwort aller auf die Frage nach dem Befinden. Nur fürs Foto brüllen alle „Spaghetti“ und lächeln zuversichtlich in die Kamera. Die Unsicherheit ist trotz großer Fortschritte mit Händen greifbar.

Die Anforderungen der Prüfung sind hoch

„Wie versucht der Vater denn im Film, seinen Sohn zu schützen?“, fragt Maria Angela Vento. Sie sitzt neben Claudia und ist aufgefordert, nachzuhaken. Die beiden werden bei der ganztägigen Prüfung ein Tandem bilden. Sie müssen ihr Thema präsentieren, sich gegenseitig befragen, auf die Einwürfe der Prüfer reagieren. Es gibt schriftliche und mündliche Teile. Zum Schluss müssen die beiden nicht nur einen vorher unbekannten Text verstehen und darüber diskutieren, sondern auch noch eine Problemlösungsaufgabe erfüllen. Zum Beispiel auf Deutsch über die Organisation einer Seniorenreise nach Italien sprechen.

Wer als Einheimischer glaubt, das Deutsche gut zu beherrschen, der lese folgenden Satz: „Für immer mehr Erwachsene ist Halloween, so die Brauchtumsforscher, im Zeitalter der Spaßkultur ein willkommener Anlass für eine gruselig-schöne Maskenfete.“ So heißt es in einem zur Jahreszeit passenden Text, den die Schüler in der Sprachschule des Internationalen Bundes in einem Böblinger Gewerbegebiet durcharbeiten. Dort verbringen sie die letzten zwei Wochen vor der Prüfung mit intensiven Übungen. Im Text und in den Fragen dazu kommen lauter schöne Begriffe vor: „Spinnweben“ etwa, „Fledermaus“, „Walpurgisnacht“ oder gar „Orgelsommer im Michelstädter Dom“. Für Sprachschüler alles andere als Spaßkultur.

„Ich ziehe meinen Hut vor allen“, sagt Lehrerin Elena Gauss. „Sie sind erst im Januar hergekommen und bearbeiten jetzt schon solche Texte. Das liegt knapp unter Hochschulniveau.“ Die B-2-Prüfung, das weiß auch sie, geizt nicht mit Herausforderungen. „Da kommen derbe Redewendungen drin vor“, sagt Elena Gauss lachend – solche, die selbst so mancher Deutsche wohl nicht kennt. Einfach gemacht wird es den Schülern nicht.

Einzelunterricht für die Wackelkandidaten

Die Lehrerin lobt deren Fleiß: „Die wissen, worum es geht, und haben erfahren, wie es sich anfühlt, wenn man einen Abschluss hat, aber nicht arbeiten darf. Das wissen viele Schüler in Deutschland nicht.“ Deren Konzentration und Wille seien oft nicht mit dem Einsatz der jungen Italiener zu vergleichen. Auch die beiden Wackelkandidaten der Gruppe, die zuletzt mit zusätzlichem Einzelunterricht gefördert worden sind, haben aufgeholt. Und alle sehnen das Ende der Prüfungsphase herbei. Doch die Ergebnisse des großen Tests werden auf sich warten lassen: Einen Monat soll es dauern, bis die Krankenpflegekräfte erfahren, ob es für sie eine Zukunft in Deutschland gibt – oder ob das Büffeln womöglich für einen zweiten Anlauf von vorne beginnen muss.

Claudia und Maria Angela diskutieren inzwischen intensiv darüber, welche Vorteile das Familien- und das Single-Leben haben. Auch das könnte eine Prüfungsaufgabe sein. Elena Gauss ist zufrieden mit den beiden. „Sehr gut“, sagt sie. Claudias Augen strahlen wieder. Geschafft. Jetzt muss es nur noch am Freitag genauso laufen. Dann stimmen sicher alle 14 dem Titel von Claudias Lieblingsfilm zu: Das Leben ist schön.