Das Anlegen von Thrombosestrümpfen will noch einmal geübt sein – hier nicht am echten Patienten, sondern an einer Plastikpuppe Foto: factum/Weise

Deutschland braucht Fachkräfte. Die Unternehmen suchen intensiv – auch im Ausland. Die Stuttgarter Nachrichten begleiten eine solche Anwerbung und die beteiligten Menschen ein Jahr lang. Heute: Der erste Sprachkurs ist vorbei – jetzt geht es auf Praxisschulung.

Stuttgart/Böblingen - Eliana Brambilla und Massimiliano De Simone hantieren mit einer merkwürdigen Gerätschaft. Den medizinischen Laien erinnert das Gestell entfernt an einen Weinflaschenhalter. „Das ist der Butler, der Helfer“, sagt Anleiterin Sybille Rau fast feierlich.

Das Teil erweist sich als äußerst nützlich beim Anlegen von Kompressionsstrümpfen. Doch es geht auch ohne. Die beiden examinierten Krankenpflegekräfte aus Italien ziehen den Strumpf über ein Bein. Die dazugehörige Dame im Pflegebett wirkt nicht unzufrieden. Das liegt in ihrer Natur, denn sie ist eine Plastikpuppe. „Gut“, sagt Sybille Rau.

Viermonatiger Sprachkurs endlich vorüber

Der viermonatige Sprachkurs der 14 italienischen Fachkräfte, die seit Anfang Januar in Deutschland sind, um beim Klinikverbund Südwest zu arbeiten, ist endlich vorüber. Doch die Ergebnisse der B1-Sprachprüfung kennt noch keiner. „Es wird noch zwei, drei Wochen dauern, vielleicht bis Juni“, sagt Stefania Malvaso. Allzu viel Bauchweh scheint das der Gruppe, anders als vor der Prüfung, nicht zu bereiten. Es ist wohl ganz gut gelaufen, sagt das Gefühl.

Viele Änderungen stehen jetzt an. Die Gastfamilien, für vier Monate das Zuhause in Deutschland, haben die jungen Leute inzwischen verlassen. Sie sind vor einigen Tagen in Wohnheime der Kliniken gezogen. An den Krankenhäusern in Böblingen, Leonberg und Sindelfingen sollen sie künftig arbeiten. Langsam gilt es, auf eigenen Beinen zu stehen. „Wir können uns an alles gewöhnen. Wir sind eine starke Gruppe – und Italiener, wir haben vor nichts Angst“, sagt Massimiliano und lacht.

Nicht einmal vor Begriffen wie Krampfader, Blutvergiftung oder Anziehhilfe. Die stehen an der Tafel in dem Schulungszimmer an der Böblinger Klinik. Dort werden die Fachkräfte auf die Praxis auf ihren künftigen Stationen vorbereitet. Zwei Wochen lang. Verschiedene Fächer stehen auf dem Stundenplan. Heute unter anderem Grundpflege und Prophylaxe.

In Italien teils anderes Material in Gebrauch

„Das klappt ganz gut, aber in Italien wird zum Teil völlig anderes Material verwendet“, sagt Lehrerin Sybille Rau. Und ihre Kollegin Sabine Pfirrmann ergänzt: „Es geht auch darum, die sprachlichen Dinge zu klären.“ Fachbegriffe aus der Krankenpflege, die im Alltag an den Kliniken sitzen müssen.

Dazu gehört auch manches Kuriosum. Am selben Tag steht zum Beispiel noch „Schwäbisch für Schnelle“ auf dem Stundenplan. „Die Leute müssen wissen, was gemeint ist, wenn ein Patient a Rolle machen will“, sagt Rau. Die Fachkräfte sollten dabei auf den Toilettengang kommen und nicht an Purzelbäume denken. Auch dass mit einem Teppich gerne mal kein Bodenbelag, sondern eine Decke gemeint ist, hat Bedeutung.

Dazu kommen weitere Fächer. „Das meiste Praktische ist uns bekannt, aber es geht auch um die rechtliche Situation in Deutschland“, sagt Massimiliano. Was darf und muss ein Krankenpfleger tun, was nicht? Da sind die Unterschiede zum Herkunftsland zum Teil beachtlich.

Das medizinische Wissen der jungen Leute ist groß

Der Unterricht läuft komplett auf Deutsch ab, das Gemurmel bei den Schülern auf Italienisch. Hin und wieder geht’s ins Nebenzimmer, wo eine ganze Reihe Plastikpatienten darauf wartet, als Versuchsobjekte herzuhalten. Doch das medizinische Wissen der jungen Italiener, die allesamt Krankenpflege studiert haben, ist groß. Das Entscheidende im Alltag wird die sprachliche Komponente sein.

Nach den praktischen Übungen in der Akademie geht es für die 14 jungen Fachkräfte an die jeweiligen Kliniken. Ein spannender Moment: Dort werden sie eingekleidet, von ihren Praxisanleitern herumgeführt und den künftigen Kollegen vorgestellt. Mit dem Butler, der Anziehhilfe für Kompressionsstrümpfe, sind sie dann vertraut. Doch die Feuerprobe wird die menschliche Seite sein. Wie gehen die Kollegen auf die Neuankömmlinge zu? Wie sind die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern? Wie werden die Patienten reagieren?

Wahrscheinlich ähnlich gelassen wie die Plastikpuppe im Übungsraum. Das lehrt die Erfahrung. Und Angst, das ist ja jetzt klar, scheint die Gruppe ohnehin nicht zu kennen.

Info

Stn-Projekt „Nordwärts

Der Fachkräftemangel in Deutschland bringt viele Unternehmen dazu, auch im Ausland nach Personal zu suchen. Gebraucht werden Ingenieure, Erzieher, Pflegekräfte und viele andere Berufe.

Auf dem Markt tummeln sich inzwischen diverse Anbieter, die Kandidaten nach Deutschland vermitteln. Der Internationale Bund (IB), ein großer Anbieter aus dem Sozialbereich, hat sich auf die Anwerbung von Pflegekräften und Erzieherinnen in Italien spezialisiert.

Unsere Zeitung begleitet den IB und den Klinikverbund Südwest in Sindelfingen unter dem Titel „Nordwärts“ ein Jahr lang von der Kandidatensuche bis zur Anerkennung der Fachkräfte in Deutschland und berichtet von den Erfahrungen. (jbo)