Fliesenleger in der Ausbildung: Wer in der Region Stuttgart einen Handwerker bestellt, der muss derzeit rund zehn Wochen auf die Ausführung warten. Ein Grund ist der Fachkräftemangel in der Region. Foto: dpa

Beim Fachkräftemangel in der Region Stuttgart spielt Geld eine entscheidende Rolle. Azubis müssen eine bessere Vergütung erhalten. Das müssen wir uns auch als Kunden leisten, meint Daniel Gräfe.

Stuttgart - Wer die Auswirkungen des Fachkräftemangels erleben will, muss nur einen Handwerker bestellen. Bis tatsächlich das Dach gedeckt, die Wand geweißelt oder das Bad gefliest wird, dauert es in der Region Stuttgart derzeit rund zehn Wochen. Auch wenn dabei der aktuelle Bauboom und die gute Konjunktur eine Rolle spielen: Es stehen einfach nicht genügend Fachkräfte zur Verfügung, um die Nachfrage zu bedienen.

Das ist für alle eine missliche Lage. Für den Kunden, weil der Auftrag nicht zustande kommt; und wird er lediglich verschoben, steigen zumindest die Kosten für das Material. Die Firmen wiederum verzichten auf Einnahmen, und dem Staat entgehen Steuern. Gesamtwirtschaftlich verursacht der Fachkräftemangel einen enormen Schaden. Die Wirtschaftsleistung in Deutschland könnte bis zu 30 Milliarden Euro höher ausfallen, würden nicht zurzeit 440 000 qualifizierte Arbeitskräfte fehlen. Das stellt die aktuellste Studie zum Fachkräftemangel fest, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) diesen Montag veröffentlicht hat.

Wie so oft ist vor allem das Geld die Hauptursache. 570 freie Lehrstellen erfasst das Handwerk in der Region Stuttgart. Häufig ist die Ausbildungsvergütung zu niedrig – nicht nur im Vergleich zu dem, was Azubis bei Daimler, Bosch & Co. bekommen. Wenn ein Bodenleger oder ein Maler kaum 600 Euro im ersten Lehrjahr erhalten, dann reicht das in Stuttgart gerade mal für die Miete. Wer Friseur oder Bäcker werden will, ist noch schlechter dran. Ein Mindestlohn für Azubis wäre eine Möglichkeit, um Lehrberufe wie diese attraktiver zu machen. Schließlich funktioniert das für die Ausgelernten auch.

Der Wert von Arbeit drückt sich auch in der Vergütung aus

Sicher aber ist, dass es künftig oft eine bessere Bezahlung braucht, um die Handwerksberufe attraktiver zu machen. Da können Kammern oder Verbände noch so viel Werbung machen – der Wert von Arbeit drückt sich auch schlichtweg im Gehalt beziehungsweise in der Vergütung aus. Die ausbildenden Betriebe müssen hier investieren. Und die Kunden wiederum auch. Denn bessere Ausbildungsbedingungen werden auch die Kosten für das neue Dach oder den neuen Anstrich erhöhen. Auch das gehört zur Wahrheit.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Geld nicht die einzige Ursache ist, dass den Firmen die Fachkräfte fehlen. Statt über schlechter werdende Deutsch- und Mathematik-Kenntnisse oder dürftige Umgangsformen der Bewerber zu klagen, müssen die Ausbildungsbetriebe selbst mehr für die Qualifizierung der Bewerber tun. Sie müssen Perspektiven aufzeigen und Mitarbeiter moderner führen. Für die Ausgelernten die Vereinbarkeit des Berufs mit der von Familie und Freizeit abwägen. Für die Digitalisierung ihrer Branche einen Plan haben und Weiterbildungen bieten. Mehr Frauen und Studienabbrecher als Mitarbeiter gewinnen und ältere Mitarbeiter länger im Beruf und fit halten, um Lücken zu schließen.

Dass Flüchtlinge die Lücke schließen werden, ist illusorisch

Viele sind schon auf dem Weg. Wer aber glaubt, diesen Weg nicht gehen zu müssen, hat sich gründlich geschnitten. Egal ob im Handwerk, in der Pflege, Erziehung oder Produktion: Die Hoffnung, dass Langzeitarbeitslose zu Fachkräften werden, hat sich nur selten erfüllt. Was nicht heißt, dass es eine dringliche Aufgabe bleibt. Und dass Flüchtlinge auch nur annähernd die Lücke schließen könnten, ist illusorisch. Bisher haben in der Region nur wenige von ihnen einen Ausbildungsplatz gefunden.

Vor allem die kleinen und mittelgroßen Firmen werden also künftig noch mehr bieten müssen. Sonst wird der Fachkräftemangel für sie zum Geschäftsrisiko.

daniel.graefe@stzn.de