Deutschland braucht Fachkräfte. Die Unternehmen suchen intensiv – auch im Ausland. Unsere Zeitung begleitet eine solche Anwerbung und die beteiligten Menschen ein Jahr lang. Heute: Auch manche deutsche Fachkraft kämpft um Anerkennung.
Stuttgart/Böblingen - Frank Vogt öffnet einen dicken Aktenordner. Beim Durchblättern der Dokumente schüttelt er immer wieder ungläubig den Kopf. Ein Zertifikat reiht sich da ans andere. Sie alle stammen aus Irland und weisen Qualifikationen im Sozialbereich aus – und haben eines gemeinsam: Sie nutzen Vogt nichts.
2004 wandert der heutige Böblinger mit seiner Familie nach Irland aus. Dort sattelt er vom EDV-Kaufmann in die Sozialbranche um. „Ich habe eine Ausbildung gemacht und als Community Inclusion Worker gearbeitet, das entspricht dem Sozialarbeiter“, erzählt er. Er kümmert sich um Familien, geht mit behinderten Menschen zur Schule. „Das war ein sehr verantwortungsvoller Job“, sagt der dreifache Familienvater. Als die Familie 2010 beschließt, nach Deutschland zurückzukehren, erkundigt sich Vogt beim Stuttgarter Regierungspräsidium (RP), welche Möglichkeiten es gibt, seinen Abschluss anzuerkennen. Die Antwort lautet, er solle erst mal zurückkommen, dann sehe man weiter.
Die Zertifikate werden nicht anerkannt
Die Folge: Bis heute darf der 48-Jährige nicht in seinem Beruf arbeiten. „Das RP erkennt meine Zertifikate nicht an“, kritisiert er. Lange habe die Prüfung gedauert, trotz umfangreicher Übersetzungen. Vogt versucht danach einiges, um zu einem offiziellen Abschluss zu kommen. Zig Nachqualifizierungsmaßnahmen stehen auf der Liste. „Eigentlich hätte ein kurzer Schulblock genügen müssen“, sagt Vogt und kritisiert auch das Böblinger Jobcenter: Das habe die Bezahlung so mancher vom RP vorgeschlagenen Anpassungsmaßnahme verweigert. Für Dezember habe die Familie jetzt nicht einmal mehr Leistungen für den Lebensunterhalt bekommen. „Es gibt einen Riesenbedarf im Sozialsektor, aber ohne die Anerkennung findet man nichts“, klagt Vogt.
Wenn er liest oder hört, dass viele Arbeitgeber mittlerweile im Ausland Fachkräfte anwerben müssen, macht ihn das traurig. Denn der Engpass könnte seiner Meinung nach mit einer anderen Anerkennungspraxis kleiner sein. Er verfolgt deshalb mit Interesse, wie es den 14 jungen Italienern ergeht, die unsere Zeitung ein Jahr lang begleitet. Der Klinikverbund Südwest in Sindelfingen hat sie im Januar als examinierte Krankenpflegekräfte nach Deutschland geholt. Elf haben vor kurzem den schweren Sprachtest bestanden, jetzt warten auch sie auf die Anerkennung durch das Regierungspräsidium.
Auch ausländische Fachkräfte scheitern manchmal
Der Klinikverbund hat bereits die nächste Gruppe aus Italien geholt. Auch die Stadt Stuttgart sucht im Ausland: Aus Rumänien und Italien sind bereits mehrere Dutzend Erzieherinnen gekommen. An Fachpersonal fehle es überall, heißt es beim Klinikverbund. Vielleicht auch wegen solcher Beispiele wie Frank Vogt.
Beim Stuttgarter Regierungspräsidium will man zu dem Fall keine Details nennen. Man habe allerdings „eingehend beraten“ und sich „sehr bemüht, Wege aufzuzeigen“, sagt eine Sprecherin. Das gelte für alle Fälle dieser Art. Und die kommen gar nicht so selten vor. „Viele Abschlüsse sind international geregelt und vergleichbar“, so die Sprecherin. Aber eben nicht alle.
Das zeigt sich nicht nur bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte. Häufig sind bei ihnen Nachschulungen und zusätzliche Prüfungen notwendig, um dauerhaft in Deutschland arbeiten zu können. Doch dieses Problem betrifft auch Deutsche, die im Ausland einen Abschluss gemacht haben und ihn in der Heimat anwenden wollen.
Tausende Anträge auf Anerkennung
Beim RP Stuttgart gab es in diesem Jahr 2139 Anträge auf die Anerkennung ausländischer Abschlüsse in der Krankenpflege – 155 davon kamen von Deutschen. Bei den Ärzten waren es 124 von 1114, bei Zahnärzten 41 von 163. Immerhin die Sprachprüfung können sich diese Kandidaten sparen. An ihr scheitert so mancher Bewerber – so wie zuletzt auch drei der 14 jungen Italiener des Klinikverbundes.
Frank Vogt fühlt sich als Spielball zwischen RP und Jobcenter. Und er glaubt, dass er nicht der einzige Betroffene ist. „Ich habe viele Menschen kennengelernt, die unterdrückt und ausgenutzt werden“, klagt er. Die „menschenunwürdige Behandlung“ sei traurig. Und kontraproduktiv für die Branchen, die dringend Mitarbeiter brauchen.
Das Böblinger Jobcenter weist die Vorwürfe zurück. „Herr Vogt hat bisher die Bereitschaft vermissen lassen, das von ihm angestrebte Ziel auf einem soliden Wege zu erreichen“, sagt der Geschäftsführer Clemens Woerner. So habe er sich geweigert, an der für einen Sozialberuf „erforderlichen psychologischen Eignungsfeststellung mitzuwirken“. In der Folge habe Vogt verschiedene Qualifizierungsmaßnahmen bei unterschiedlichen Trägern selbst vorgeschlagen. Die hätten aber entweder kein anerkanntes Gütesiegel besessen, oder es habe Ablehnungen vonseiten einzelner Schulträger gegeben, weil Vogt die Eignungsvoraussetzungen nicht erfüllt habe.
Lager- statt Sozialarbeiter?
Aktuell, sagt Woerner, könnten der Familie Leistungen nicht ausbezahlt werden, weil „relevante Unterlagen trotz mehrmaliger Aufforderung fehlen“. Und er kommt zum Schluss: „All dessen ungeachtet bleibt die Verpflichtung von Herrn Vogt, jede zumutbare Arbeit zur Beseitigung der Notlage aufzunehmen.“ Das könne im Zweifel auch die Tätigkeit eines Lagerarbeiters sein.
Frank Vogt ist inzwischen völlig entnervt. Längst hat er einen Rechtsanwalt eingeschaltet. „Ich bin nicht mehr bereit, noch weitere Jahre in die Schule zu gehen, obwohl ich alles kann. Ich will als Sozialarbeiter anerkannt werden oder zumindest eine Anpassungsprüfung machen“, sagt er. Eines wisse er genau: „Ich werde gebraucht.“
Hintergrund StN-Projekt „Nordwärts“
Der Fachkräftemangel in Deutschland bringt viele Unternehmen dazu, auch im Ausland nach Personal zu suchen. Italien, Spanien, Portugal, aber auch Länder in Asien sind Ziele. Gebraucht werden Ingenieure, Erzieher, Pflegekräfte und viele andere Berufe.
Auf dem Markt tummeln sich inzwischen diverse Anbieter, die Kandidaten nach Deutschland vermitteln. Manche arbeiten seriös, andere nicht. Der Internationale Bund (IB), ein großer Anbieter aus dem Sozialbereich, hat sich auf die Anwerbung von Pflegekräften und Erzieherinnen in Italien spezialisiert. Dort gibt es viele studierte Fachkräfte, die keine angemessen bezahlte Festanstellung finden.
Unsere Zeitung begleitet den IB und den Klinikverbund Südwest in Sindelfingen unter dem Titel „Nordwärts“ ein Jahr lang von der Kandidatensuche bis zur Anerkennung der Fachkräfte in Deutschland. Das Einleben in einem fremden Land, Sprachkurse, Arbeitserfahrungen und schließlich die Prüfung durch das Regierungspräsidium stehen in dieser Zeit auf dem Programm. Der Arbeitgeber und die italienischen Pflegekräfte kommen regelmäßig zu Wort und schildern ihre Erfahrungen mit dem Projekt. (jbo)