Eliana, Paola, Maria Angela und Massimiliano (von links) freuen sich auf den ersten richtigen Heimaturlaub Foto: factum/Granville

Deutschland braucht Fachkräfte. Die Unternehmen suchen intensiv – auch im Ausland. Unsere Zeitung begleitet eine solche Anwerbung und die beteiligten Menschen ein Jahr lang. Heute: Nach sieben Monaten winkt der erste richtige Urlaub in der Heimat.

Stuttgart/Böblingen - „Jaaa!“ Die Reaktion ist einhellig. Strahlende junge Menschen blicken einen an, wenn man den bevorstehenden Urlaub anspricht. Sieben Monate lang sind 14 examinierte Krankenpflegekräfte aus Italien nun schon in Deutschland. Seit einigen Wochen arbeiten sie an den Kliniken in Sindelfingen, Böblingen und Leonberg. Dazwischen geht der Sprachunterricht weiter. Doch jetzt winkt für viele zum ersten Mal die Erholung in der Heimat. Zwei Wochen Urlaub daheim bei der Familie stehen auf dem Stundenplan.

„Wir können es kaum erwarten“, sagt Eliana und lacht. Die junge Frau sitzt gemeinsam mit Paola, Maria Angela und Massimiliano vor der Böblinger IB-Sprachschule in der Sonne. Vokabelbüffeln ist mal wieder angesagt, am Nachmittag gilt es, sich den Passivkonstruktionen der deutschen Sprache hinzugeben. Aber nicht mehr lange. Dann geht es nach Hause. „Ein bisschen ans Meer gehen“, will Massimiliano, der die Zeit „reif für eine Pause“ hält. Alle lachen und freuen sich. Und werden doch plötzlich wieder ernst. Ob sie alle danach wiederkommen, lautet die Frage. „Natürlich“, sagt Maria Angela, „das ist nur ein Urlaub.“

Die Auswanderer sind in der deutschen Realität angekommen. Und die ist nicht immer einfach. Aufgegeben hat bisher keiner, die erste wichtige Sprachprüfung hat nur eine aus der Gruppe nicht geschafft, sie wird jetzt zusätzlich individuell gefördert. Alle kommen klar. Doch selbst der stets gut gelaunte Massimiliano sagt nachdenklich: „Ich habe mir am Anfang schon gedacht, dass es schwierig werden würde. Aber das ist es auch nach sieben Monaten noch.“

Die Sprachkenntnisse machen Fortschritte

Damit ist nicht nur die Sprache gemeint. Da kommen die meisten voran, können sich inzwischen flüssig auf Deutsch unterhalten. „Sie sind ziemlich gut“, lobt Sprachlehrerin Stefanie Wagner ihre Schützlinge. Im November steht die große Abschlussprüfung an, manche sind trotz der Fortschritte schon jetzt nervös. „Die Leute bekommen derzeit sehr viel Input, nicht nur beim Kurs, sondern auch in der Arbeit“, weiß die Lehrerin. Und in den Krankenhäusern gibt es den einen oder anderen Kollegen, der ausschließlich Schwäbisch spricht. Das ist hart für die Neuankömmlinge. „Ich darf immer fragen, wenn ich etwas nicht verstehe“, sagt Massimiliano, „aber manchmal könnte ich jede Sekunde fragen.“

Die Arbeit geht den jungen Italienern gut von der Hand. In ihrer Heimat umfasst der Beruf des Krankenpflegers deutlich mehr als in Deutschland, sie alle haben studiert und könnten mehr Tätigkeiten ausüben, als sie hier bisher dürfen. „Wir sind sehr fit im Tropfen bringen oder Essen geben“, sagt Massimiliano, „das gehört dazu und macht Spaß. Aber wir hoffen doch, dass sich die Arbeit mit der Zeit ein bisschen ändert.“

Die meisten Kollegen haben die Neulinge gut aufgenommen. Sie helfen und unterstützen, wo sie können. Doch das geht nicht immer. „In den Krankenhäusern ist sehr viel zu tun, die Kollegen sind häufig beschäftigt“, weiß Maria Angela. Der Umgang mit den Patienten dagegen ist kein Problem. „Sie sind sehr verständig, machen Scherze und streuen italienische Worte ein, wenn sie welche kennen“, sagt Eliana und lacht.

Kontakt zu anderen Ausländern ist einfacher

Schwer macht den Südeuropäern das Leben im Norden aber etwas anderes. „Freundschaft mit Deutschen zu schließen, ist schwierig. Viele sind doch sehr kühl“, sagt Massimiliano. „Vielleicht haben sie Angst vor unserem Temperament“, vermutet Paola.

Sie hat festgestellt, dass es einfacher ist, Kontakt zu anderen Ausländern zu bekommen. „Wir haben bei der Arbeit Leute aus Griechenland, Portugal oder Rumänien. Mit ihnen gibt es erste Freundschaften“, erzählt sie. Maria Angela zum Beispiel war erst am Vorabend zum gemeinsamen Kochen bei einer griechischen Kollegin. Darüber hinaus haben die vier noch regelmäßig Kontakt zu ihren deutschen Gastfamilien, bei denen sie die ersten vier Monate gewohnt haben. „Das sind bisher meine einzigen deutschen Freunde“, sagt Massimiliano.

Jetzt geht es ja erst einmal nach Hause. Kraft tanken nach sieben Monaten in einem neuen Land. Doch es ist nur ein Urlaub.

StN-Projekt „Nordwärts

Der Fachkräftemangel in Deutschland bringt viele Unternehmen dazu, auch im Ausland nach Personal zu suchen. Italien, Spanien, Portugal, aber auch Länder in Asien sind Ziele. Gebraucht werden Ingenieure, Erzieher, Pflegekräfte und viele andere Berufe. Auf dem Markt tummeln sich inzwischen diverse Anbieter, die Kandidaten nach Deutschland vermitteln. Manche arbeiten seriös, andere nicht.

Der Internationale Bund (IB), ein großer Anbieter aus dem Sozialbereich, hat sich auf die Anwerbung von Pflegekräften und Erzieherinnen in Italien spezialisiert. Dort gibt es viele studierte Fachkräfte, die trotz monate- oder jahrelanger Suche in ihrer Heimat keine angemessen bezahlte Festanstellung finden können. Die Stuttgarter Nachrichten begleiten den IB und den Klinikverbund Südwest in Sindelfingen unter dem Titel „Nordwärts“ ein Jahr lang von der Kandidatensuche bis zur Anerkennung der Fachkräfte in Deutschland.

Das Einleben in einem fremden Land, Sprachkurse, Arbeitserfahrungen und schließlich die Prüfung durch das Regierungspräsidium stehen in dieser Zeit auf dem Programm. Der Arbeitgeber und die 14 italienischen Pflegekräfte, die mittlerweile seit Anfang Januar in Deutschland leben, kommen regelmäßig zu Wort und schildern ihre Erfahrungen. (jbo)