Rossella Fantozzi (links) muss sich im Interview beweisen. Foto: StN

Deutschland braucht Fachkräfte. Die Unternehmen suchen intensiv – auch im Ausland. Wir begleiten eine solche Anwerbung und die beteiligten Menschen ein Jahr lang. Diesmal: Junge Leute aus ganz Italien kommen zur Vorstellung nach Neapel.

Torre del Greco - Massimiliano tritt nervös von einem Bein aufs andere. Gleich kommt der große Moment, der über sein weiteres Leben entscheidet. Der 33-Jährige aus einem kleinen Ort unweit der Adriaküste ist Hunderte Kilometer nach Torre del Greco bei Neapel gereist, um nach seiner Chance zu greifen. Eine Arbeitsstelle beim Klinikverbund Südwest in Sindelfingen lockt. 14 Fachkräfte werden dort gesucht, examinierte Gesundheits- und Krankenpfleger, von denen es in Deutschland zu wenige gibt.

Fünf Vertreter des Klinikverbundes sind für einige Tage nach Süditalien geflogen, um unter 40 Bewerbern die passenden zu finden. Das Gespräch entscheidet, die Qualifikation – aber auch der persönliche Eindruck. Während sich draußen der italienische Vorwinter mit einer Mischung aus Sonne, Regenschauern und Wind ankündigt, stellen sich im Nebengebäude eines schicken Hotels nach und nach die Kandidaten vor. Auch Massimiliano. „Ich sehe meine Zukunft in Deutschland“, sagt er. Dafür hat er sich vorbereitet: „Ich habe drei Monate lang Deutsch gelernt.“ Autodidaktisch, um einen besseren Eindruck zu hinterlassen.

Das kommt gut an. „Die Bewerber nehmen die Sache sehr ernst“, sagt Kerstin Franz. Sie ist für die Personalgewinnung im Klinikverbund verantwortlich und sucht bereits zum zweiten Mal im Ausland Personal. Die 14 Kandidaten, die sie braucht, sollen nach Sprachkursen und einer Eingewöhnungszeit später in den Krankenhäusern in Böblingen, Sindelfingen und Leonberg arbeiten. Und schnell wird klar: Wer hier vorspricht, will auch tatsächlich nach Deutschland. Möglichst für immer.

Die Lage in Italien ist katastrophal. „Dort lässt man jungen Menschen keine Chance, von ihrer Arbeit leben zu können“, sagt Gerardo Cardiello. Der Stuttgarter mit italienischen Wurzeln leitet das Anwerbeprogramm beim Internationalen Bund (IB). Seit Jahren sind so bereits Hunderte Fachkräfte nach Deutschland gekommen. Eine Partnerorganisation in Torre del Greco bewirbt das Projekt auf dem Stiefel und sammelt die Kandidaten. Viele Pflegekräfte sind das, aber auch Erzieherinnen und Erzieher. „Derzeit haben wir 3500 Bewerber in der Kartei, es werden aber immer mehr“, weiß Cardiello. Die guten Perspektiven nördlich der Alpen haben sich herumgesprochen.

40 Kandidaten geben sich zwei Tage lang die Klinke in die Hand, um beim Klinikverbund Südwest vorzusprechen. Zum Teil sind sie 700 Kilometer gereist, um dabei sein zu können. Die jungen Leute zwischen 22 und 34 Jahren kommen aus dem ganzen Land. Und haben neben einem abgeschlossenen Studium eines gemein: die fehlende Perspektive in Italien. „Sie arbeiten für einen Hungerlohn oder unentgeltlich, etwa in Praktika“, sagt Kerstin Franz. In der ganzen Gruppe findet sich niemand, der von seiner Arbeit leben kann, so er überhaupt eine hat. „Die bezahlten Jobs gehen alle unter der Hand weg“, erzählt eine junge Frau.

Dabei sind die Qualifikationen der Bewerber oftmals herausragend. „Es sind sehr viele dabei, die sich für uns eignen“, sagt Kerstin Franz in einer kurzen Pause. Der Klinikverbund nimmt sich außergewöhnlich viel Zeit, um mit den Leuten zu reden. Zwanzig-Minuten-Gespräche, wie sie sonst oftmals üblich sind, reichen hier nicht aus. „Uns ist es wichtig, die Bewerber genau kennenzulernen“, erläutert Personalchef Roland Ott. Man wolle herausfinden, wer am besten in die jeweiligen Krankenhausteams passe, wem man die dauerhafte Auswanderung auch wirklich zutraue. „Wir haben schließlich später auch eine besondere Verantwortung für die Leute“, betont Ott.

Vor dem Besprechungsraum warten die Kandidaten und versuchen, ihre Nervosität in den Griff zu bekommen. Gut, dass es Francesco Difonzo gibt. Er ist bereits vor zweieinhalb Jahren in einer ersten Anwerberunde ins Krankenhaus Leonberg gekommen. Und geblieben. Als Bindeglied zwischen beiden Welten ist er mit nach Italien geflogen. Und nimmt jetzt die Bewerber in Empfang, erzählt auf Italienisch von seinem eigenen Werdegang, beruhigt die Wartenden.

Dafür bleibt ausreichend Zeit, denn die Gespräche dauern. Erst nach elf Stunden gehen die Bewerbungsrunden zu Ende. Draußen ist es längst zappenduster geworden. Vom Vesuv, dessen Hänge direkt hinter dem Hotel ansteigen, ist nichts mehr zu sehen. Dafür haben die Bewerber aber ohnehin kein Auge. Ihr Blick richtet sich gen Norden, nach Deutschland. Dort geht es Schlag auf Schlag weiter. Wer ausgesucht wird, darf Anfang Januar nach Sindelfingen kommen. Die ausgewählten Kandidaten sind inzwischen informiert – sie müssen sich noch in dieser Woche entscheiden.

Massimiliano hat gute Karten. Er gehört zu den Glücklichen. Sagt er ja, verlässt er sein kleines Dorf in der Nähe der Adria schon bald, vielleicht für immer. Für einen richtigen Sprachkurs – und den Aufbruch in ein neues Leben in Deutschland.