Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt laut dem Statistischen Landesamt bis zum Jahr 2050 um 90 Prozent – doch wer wird sie pflegen? Foto: Mauritius

Um den Personalbedarf in Bereichen mit Fachkräftemangel zu sichern, soll die Beschäftigungsquote von Frauen, Älteren, Ungelernten sowie Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund gesteigert werden. Dafür werden die Kräfte gebündelt.

Stuttgart - Die industriellen Leuchttürme im Land können sich über eingehende Bewerbungen sicher nicht beklagen. Vor welchen Herausforderungen dagegen mittelständische Unternehmen bei der Personalsuche stehen, schildert Stefan Bürkle eindrücklich: „Wir suchen den klassischen Elektroinstallateur bundesweit per Headhunter“, sagt der Co-Chef der Unternehmensgruppe Bürkle + Schöck mit Sitz in Stuttgart-Vaihingen, die Geld mit Ingenieurleistungen im Bereich Elektro- und Sicherheitstechnik verdient. Damit auf der anderen Seite die vorhandenen Arbeitskräfte nicht verloren gehen, unternimmt Bürkle + Schöck einige Anstrengungen etwa im Bereich des altersgerechten Arbeitens, der Weiterbildung und der Integration von Migranten. In einem der fünf selbstständigen Geschäftsbereiche besäßen 60 Prozent der Beschäftigten einen Migrationshintergrund, so Bürkle: „Wir müssten schließen, wenn wir diese Mitarbeiter nicht hätten.“

In den kommenden Jahren dürfte sich die Lage für Unternehmer wie Bürkle, dessen Firma vom kleinen Handwerksbetrieb mit sechs Mitarbeitern zum High-Tech-Dienstleister mit 130 Beschäftigen gewachsen ist, noch zuspitzen. Immer mehr Facharbeiter aus den geburtenstarken Jahren gehen in Rente, die jüngeren Jahrgänge können diese Lücken nicht schließen. Weil die konjunkturellen Rahmenbedingungen und die gute Lage am Arbeitsmarkt es zulassen, sollen immer mehr sogenannte „ungenutzte Potenziale“ gehoben werden. Gemeint sind Menschen im erwerbsfähigen Alter, die aus unterschiedlichen Gründen nicht oder nur teilweise arbeiten. Sie sollen stärker als in der Vergangenheit in reguläre Beschäftigung gebracht werden.

Allianz für Fachkräfte seit 2011 in Baden-Württemberg

Diesem Ziel hat sich vor fünf Jahren auch die Allianz für Fachkräfte Baden-Württemberg verschrieben. Die aktuelle Wirtschafts- und Arbeitsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) setzt nun die Initiative ihres Vorgängers Nils Schmid (SPD) fort. „Die Fachkräftesicherung kann gerade bei die kleinen und mittleren Unternehmen nur gelingen, wenn alle Potenziale ausgeschöpft werden“, so Hoffmeister-Kraut am Montag in Stuttgart.

Die Bündelung von landesweit mehreren Hundert verschiedenen Initiativen führt Christian Rauch, der Regionalchef der Bundesagentur für Arbeit (BA) im Südwesten, auch als wesentlichen Grund dafür an, dass Baden-Württemberg bundesweit die geringste Jugendarbeitslosigkeit verzeichnet. Die Beteiligten an dem Bündnis haben ihre Ziele am Montag bekräftigt und dabei einige im Vergleich zu 2011 neue Schwerpunkte gesetzt. Während die Berufsausbildung, Weiterbildung und Qualifizierung von Ungelernten sowie der Ausbau der Beschäftigung von Frauen und älteren Menschen gesetzt bleiben, rücken auch drei Gruppen in den Fokus, die beim letzten Mal noch nicht ganz oben auf der Agenda der Allianz standen: So soll etwa die Inklusion von Menschen mit Behinderung vorangetrieben werden. Das Gleiche gilt für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in der Pflege, dem Bereich mit dem mutmaßlich größten Fachkräfteproblem in den kommenden Jahren. Schon jetzt kommen auf eine arbeitslose Fachkraft fünf offene Stellen. Als dritte große Herausforderung gilt die Integration von Flüchtlingen.

Eine Entwicklung, mit der alle Beschäftigten quer durch die Branchen und Generationen konfrontiert sind, ist die Digitalisierung. „Die Hälfte der Berufsbilder wird sich dadurch verändern“, mahnte der IG-Metall-Landeschef Roman Zitzelsberger an. Damit insbesondere die älteren Arbeitnehmer Schritt halten könnten, müssten die Firmen ihre Anstrengungen im Bereich Weiterbildung kräftig ausbauen.

Zuwanderer sollen für Pflegejobs qualifiziert werden

Bärbl Mielich, Staatssekretärin im Ministerium für Soziales und Integration, richtete einen Appell an die Arbeitgeber, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern: „Wir haben so viele gut ausgebildete Frauen wie nie zuvor.“ Doch es sei schwer, sie für einen Job die Pflege zu begeistern, wo Mielich zufolge „seit Jahren ein Notstand herrscht“. Neben besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen bräuchte es auch attraktivere Arbeitszeitmodelle. Die Prognose des Statistischen Landesamtes, wonach die Zahl der Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2050 um 90 Prozent steigen wird, belege den Ernst der Lage. Auch geflüchtete Menschen und andere Zuwanderer müssten für Pflegejobs qualifiziert werden, fordert die Staatssekretärin.

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Die Möglichkeiten für gesteuerte Zuwanderung zu erhöhen, ist ein Ziel, in dem sich die Beteiligten an der Allianz weitgehend einig sind. Dazu startet Baden-Württemberg Ende dieses Jahres einen bundesweit einzigartigen Modellversuch, bei dem drei Jahre lang ein punkteorientiertes System für die Einwanderung von Arbeitskräften getestet wird, erklärte BA-Regionalchef Rauch. „Dass wir das tun können, ist auch ein Resultat unserer Fachkräfteallianz.“