Die Kriminalhauptkommissare Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) sitzen am Tatort und sprechen über den Fall. Foto: Bayerischer Rundfunk

Der Schauspieler Fabian Hinrichs passt nicht ins Eventisierungs-Programm, dem der „Tatort“ seit geraumer Zeit unterzogen wird. Gerade deshalb ist er ein Glücksfall für die Regionalausgabe aus Franken.

Stuttgart - Fabian Hinrichs ist der einzige „Tatort“-Darsteller, der gewissermaßen demokratisch legitimiert ist. Zumindest haben sich ihn viele Fernsehzuschauer erst lautstark herbeigewünscht und dann auch bekommen – wenn auch an anderer Stelle, als gedacht. Sechzig Krimiminuten als Assistent Gisbert Engelhardt im Münchner „Tatort: Der tiefe Schlaf“ und Hinrichs Verkörperung dieses nerdigen, nervtötenden, übereifrigen, aber irgendwie auch liebenswert naiven Gisberts genügten, um die Figur in den Kultstatus zu erheben – wozu allerdings deren überraschender gewaltsamer Tod erheblich beitrug. In Kritiken wurde damals an Nastassja Kinskis Auftritt im „Tatort: Reifezeugnis“ von 1977 erinnert. Via Facebook und Twitter forderten die Fans Gisberts Auferstehung. Der BR besetzte dann in einem klugen Schachzug einen der beiden Kommissars-Posten im neuen Franken-„Tatort“ mit dem schlaksigen, hochgewachsenen Schauspieler.

Im April 2015 war Hinrichs in Max Färberböcks „Der Himmel ist ein Platz auf Erden“ zum ersten Mal Felix Voss, der von der Küste kommt und zur Nürnberger Mordkommission wechselt, als Partner von Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel). In der Auftaktfolge musste er den Tod eines Erlanger Uniprofessors aufklären. An diesem Sonntag in „Das Recht sich zu sorgen“ hat es das Team, zu dem auch die naturforsche Wanda (Eli Wasserscheid) und der urfränkische Leiter der Spurensicherung Michael Schatz (Matthias Egersdörfer) gehören, mit gleich drei Fällen zu tun, wovon einer sie nach Würzburg führt (siehe Vorschau in der Randspalte).

Keine ausgelaugte Ehe

12,11 Millionen Zuschauer machten die Premierenfolge zum bis dato meistgesehenen BR-„Tatort“; eine Resonanz, die in der vorausgegangen Gisbert-Geschichte zumindest mitbegründet war. Es verwundert nicht, dass Hinrichs in seiner hanseatischen Art – er ist 1974 in Hamburg geboren – den Gisbert-Hype und seinen Anteil daran relativiert. Nach den Gründen gefragt, sagt er: „Ich glaube, dass es der Mut dieses Films war, der eine starke auratische Kraft erzeugt hat. Er zeigte einen kleinen kulturellen Lichtspalt.“

Man fragt sich, welcher andere „Tatort“-Darsteller auf diese Weise eine solche Frage beantworten würde. Aber es ist stimmig, denn auch Hinrichs Alter-Ego Voss wie auch Kollegin Ringelhahn sind Sonderfälle – der wohltuenden Art – unter den sonntäglich ermittelnden TV-Beamten. Weil sie unaufgeregt einfach nur ihre Arbeit machen und sich dabei respektvoll behandeln. Weil sie keinen Psycho-Knacks haben, nicht miteinander liiert sind oder waren, keine Comedy-Show abliefern und ihre Berufspartnerschaft auch nicht wie eine ausgelaugte Ehe zelebrieren.

Hinrichs Felix Voss unterscheidet sich noch durch etwas anderes von vielen seiner Krimi-Kollegen: Er legt eine ausgeprägte Empathie für die Menschen, mit denen er es zu tun bekommt, an den Tag, fühlt sich in sie hinein, achtet sie. In „Das Recht zu sorgen“ wird das unter anderem in einer Szene offenbar, in der die Tochter der ermordeten Wirtin in die elterliche Gaststätte zurückkehrt, um dort die Nacht zu verbringen, es ist ja ihr Zuhause. Keine gute Idee, befindet Voss instinktiv und begleitet sie zu einem anderen Gasthaus im Dorf, wo sie übernachten kann.

Er hat etwas Eulenhaft-Weises

Fabian Hinrichs gehört zu der Sorte Schauspieler, bei denen man gar nicht erst auf die Idee kommt, ihre Person könne ganz anders sein als die Figur, die sie spielen. Das Introvertierte, Reflektierte, Stille, Durchdringende, Präsente, das er seinem Felix Voss mitgibt, scheint in Hinrichs Gesicht eingeschrieben: Die hohe Stirn, die er häufig in kräftige Falten legt, die tiefliegenden, von den Brauen überwölbten Augen, die feine Mundpartie, das gibt ihm etwas Eulenhaft-Weises, Unergründliches.

Man liest, Hinrich mag nicht gern fotografiert werden, Interviews meidet er, die Zeit ist immer knapp, manchmal bietet er dann an, Journalistenfragen schriftlich zu beantworten. Das könnte damit zusammenhängen, dass er einer ist, der lieber dreimal nachdenkt, bevor er den Mund aufmacht, dass er Dinge erst ganz durchdrungen haben will. Hinrichs ist der Sohn eines Polizisten, sein Großvater war Polizist, sein Bruder ist es auch. Ironie des Schicksals, dass er nun ein prominenter TV-Polizist ist? Nein, antwortet der Vater eines kleinen Kindes, der mit seiner Familie von Berlin nach Potsdam umgesiedelt ist, eher „ein empirischer Beweis für die schichtbezogene Undurchlässigkeit dieser Gesellschaft oder mein eigener Dialog mit meinem Über-Ich oder einfach nur Glück – oder nichts von alledem.“

Ein Glücksfall für den „Tatort“

Nach der Schule beginnt er, Jura zu studieren, bricht ab und lässt sich in Bochum zum Schauspieler ausbilden. Engagement bei der Volksbühne Berlin, Theaterruhm und Preissegen durch Projekte mit René, eigene Regiearbeiten. In seiner Filmografie ragen seine Rolle als Hans Scholl im oscarnominierten Spielfilm „Sophie Scholl – Die letzten Tage“ oder „Schwerkraft“ heraus, ein Drama, in dem er einen Banker spielt, den der Selbstmord eines Kunden aus der Bahn wirft. Zwischendurch nimmt er ein Politikstudium auf, dann sind es die Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt Geschichte und Philosophie, die seinen ausgeprägten Hunger nach Verständnis stillen.

Vordringen zum Wesenskern

Im Fernsehen fiel er zuletzt als zunehmend karrieregieriger Hamburger Journalist in „Der Fall Barschel“ und in dem Überwachungs-Thriller „Unterm Radar“. Hier wie dort erkennt man: V-Ausschnitt-Pullover überm Hemd, das steht ihm besonders gut. Der Theater-Fex und der „Tatort“-Sonderling. Durch die „Tatort“-Rolle habe sich in seinem Leben „nicht besonders viel“ verändert, sagt er. Wie erlebt er die unterschiedlichen Sphären Film/Fernsehen und Theater? „Die Arbeit vor der Kamera besteht aus Korridoren großer Konzentrationsanforderung, durch die ständigen Wiederholungen dringt man, indem man nur ein einziges Segment genau untersucht, im besten Fall zu dessen Wesenskern vor“. Im Theater hingegen erfahre er „eine sofortige, unmittelbare Resonanz“, die es „in anderen Wirklichkeiten“ nicht gebe.

Für die überragende Resonanz des Sonntagskrimis, die sich in Quoten ausdrückt und zu der er auch als Zuschauer beiträgt („nicht regelmäßig“), nennt er mehrere Gründe: „die Sozialisation, dass er Gegenstand von Kommunikation und eben nicht Verdummungsmaschine ist, dass er eher liebgewonnenes Ritual als lästige Gewohnheit ist“. Ein Ritual, das mit Fabian Hinrichs eine Spur reichhaltiger, differenzierter, sublimer geworden ist.

Franken ist die ganze Welt

Der Mann mit den staksigen O-Beinen ist ein Glücksfall für den Franken-„Tatort“ , weil er gerade nicht in das Eventisierungs-Programm passt, mit dem die ARD den „Tatort“ seit geraumer Zeit dauersaniert und dabei publikumsheischend mit Superlativen hantiert: der durchgeknallteste „Tatort“, der komischste, actionreichste, jüngste, weiblichste und so weiter.

Insofern ist es nur konsequent, wenn er seinen Felix Voss und den Franken-„Tatort“, in dem man zwar gern vom Daddord spricht, der aber dennoch bislang nicht ins Regionalkrimihafte abgesackt ist, gar nicht erst einordnen will. „Das überlasse ich lieber anderen – es herrscht ja nun kein Mangel am Kategorisieren und Wegheften“. Dann fällt ihm noch der Schriftsteller Norbert Scheuer ein. Der habe mal gesagt, dass er in seiner Jugend eigentlich viel gereist sei: als kleiner Junge von einem Eifeldorf zum andern. Und im Grunde jedes Mal eine neue Welt entdeckt habe. So sieht auch der kluge Hinrichs die Dinge: „Franken ist die ganze Welt und unsere Filme zeigen also die ganze Welt – wenn sie gelingen“.