Die Europäische Zentralbank hat die Zinsen im Euro-Raum auf ein historisch niedriges Niveau gesenkt. Bei deutschen Banken und Versicherungen erntet sie dafür überwiegend Kritik. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die Europäische Zentralbank hat die Zinsen im Euro-Raum auf ein historisch niedriges Niveau gesenkt. Bei deutschen Banken und Versicherungen erntet sie dafür überwiegend Kritik. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.
 
Stuttgart - Die Europäische Zentralbank hat die Zinsen im Euro-Raum auf ein historisch niedriges Niveau gesenkt. Bei deutschen Banken und Versicherungen erntet sie dafür überwiegend Kritik. Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was hat die Europäische Zentralbank beschlossen?
Die EZB hat den Leitzins von 0,25 auf das Rekordtief von 0,15 Prozent gesenkt. Erstmals müssen Geschäftsbanken einen Strafzins in Höhe von 0,1 Prozent zahlen, wenn sie Geld bei der Zentralbank parken, statt Kredite zu vergeben. Die Notenbanker stellen den Banken dieses Jahr zudem 400 Milliarden Euro zur Verfügung, damit diese das Geld an Unternehmen weiterreichen. Die EZB bereitet weitere Maßnahmen vor, für den Fall dass das jetzige Paket nicht ausreicht.
Was will die EZB erreichen?
Die EZB möchte erreichen, dass Banken mehr Kredite an Verbraucher und Unternehmen geben, damit die Wirtschaft in der Eurozone wächst und die Gefahr einer Preisabwärtsspirale gestoppt wird. In Spanien etwa geben 25 Prozent der Unternehmen an, nicht an Kredite zu kommen, in Portugal sind es 33 Prozent der Unternehmen, in Deutschland nur ein Prozent.
Wie bewertet die Branche den Zinsschritt?
Die Reaktionen fallen überwiegend negativ aus. „Wir halten diese Zinsentscheidung für falsch“, sagt LBBW-Chef Hans-Jörg Vetter. „Sie setzt für Schuldnerländer die falschen Anreize und belastet tendenziell die Sparer.“ Aus Sicht der deutschen Versicherungsbranche sind die Zinssenkungen „ökonomisch genau das falsche Rezept“, sagt Verbandspräsident Alexander Erdland. Der Schritt markiere eine neue Eskalationsstufe.
Was haben Sparer zu erwarten?
Niedrige Zinsen werden in der Regel schnell an Kunden weitergereicht. Die Banken gehen jedoch nicht einheitlich vor. „Sollten die Geldmarktzinsen zurückgehen, kann sich dies auf die Guthabenverzinsung bei Spar- und Tagesgeldeinlagen auswirken“, heißt es bei der BW-Bank. Auch der Chef der baden-württembergischen Sparda-Bank, Martin Hettich, erwartet, dass sich „die kurzfristigen Zinsen für Tagesgeldkonten und Spareinlagen weiter reduzieren werden“. Die Deutsche Bank will zunächst die Auswirkungen der EZB-Entscheidung auf die Zinsmärkte beobachten. Die Negativverzinsung werde weiter auf die Spar- und Anlagezinsen durchschlagen, erwartet die Volksbank Stuttgart.
Drohen jetzt negative Einlagenzinsen für Bankkunden?
„Es ist aktuell nicht davon auszugehen, dass Privatkunden einen negativen Einlagenzins bezahlen müssen“, sagt ein Sprecher der Commerzbank. Da sich die Einlagenzinsen bereits auf historischen Tiefstand befinden, seien signifikante Anpassungen nach unten kaum mehr möglich. Die Deutsche Bank plant derzeit nicht, im breiten Kundengeschäft Gebühren für Einlagen einzuführen.
Wird ein negativer Einlagenzins für Banken die Kreditvergabe beleben?
Mittlere und kleinere Unternehmen der ökonomisch schwächeren Länder in Europa werden „möglicherweise besser an Kredite kommen“, sagt Michael Völter, Finanzvorstand der SV Sparkassenversicherung. Damit werde sich das Wachstumstempo in diesen Volkswirtschaften mittelfristig verbessern, was für ganz Europa vorteilhaft wäre. „Für Deutschland erwarten wir keine großen Auswirkungen“, sagt Völter. Auch die LBBW rechnet für Deutschland nicht mit größeren Auswirkungen auf die Kreditvergabe.
Die Volksbank Stuttgart rechnet „definitiv“ damit, dass sich der Preiswettbewerb bei den Darlehenszinsen verschärfen wird. Sparda-Bankchef Hettich warnt, dass sich das Ziel einer besseren Kreditvergabe ins Gegenteil verkehren könnte: Grund seien die weiter sinkenden Anlagezinsen, die viele Anleger in Sachwerte investieren lassen. Dadurch werde die Nachfrage bei einem ohnehin schon knappen Angebot steigen. „Das führt zu höheren Immobilienpreisen.“ An der Bewertung der Immobilie habe sich aber nichts geändert. Die Folge: Banken müssten zur Absicherung der Finanzierung vom Kunden einen höheren Eigenkapitalanteil einfordern.
Was passiert bei den Dispozinsen?
Aus Sicht der LBBW werden Auswirkungen frühestens zum 1. Juli beim Kunden ankommen. „Die Konditionen für Dispokredite an Verbraucher sind an den Drei-Monats-Euribor gekoppelt“, sagt die Bank. Die Konditionen würden jeweils zum Quartalsbeginn verändert.
Wird es weitere Zinssenkungen geben?
Mit den jetzt beschlossenen Zinssenkungen hat die EZB ihr wichtigstes Instrument – den Leitzins – weitgehend ausgereizt. EZB-Präsident Mario Draghi kündigte an, dass die Notenbank die Zinsen noch über einen längeren Zeitraum auf dem aktuellen Niveau belassen wird.