Nach dem Auftritt im Bundestag traten EZB-Chef Mario Draghi (links) und der Europaausschussvorsitzende Gunther Krichbaum (CDU) gemeinsam vor die Presse. Foto: dpa

Die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank ist umstritten – besonders in Deutschland. Beim Berlin-Besuch von EZB-Chef Draghi halten sich Kritik und Verständnis dennoch die Waage.

Berlin - Zum Abschluss von Mario Draghis zweitägiger Visite hat Angela Merkel ins Kanzleramt eingeladen. Was genau sie am Donnerstagvormittag mit dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank besprochen hat, drang nicht nach außen. Aber natürlich ging es neben der Lage im Euroraum auch um die Niedrigzinspolitik der Notenbank. Draghis Geldpolitik ist ähnlich umstritten wie Merkels Flüchtlingspolitik und das – eine weitere Parallele – vor allem in der Partei der Kanzlerin.

So waren es vor allem Abgeordnete von CDU und CSU, die Draghi am Vortag im Europaausschuss des Bundestags in die Mangel nahmen. Schließlich war es ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble, der Draghis Politik einmal für den erstarkten Rechtspopulismus verantwortlich machte. Weil sich nicht wenige Sparer „enteignet“ fühlen und selbst Draghi in Berlin einräumte, dass sie durch seine Minizinsen „weniger Einkommen“ haben, äußerte die Union in der Sitzung teils harsche Kritik.

Sie richtete sich freilich nicht nur auf die Folgen für die Sparer, sondern auch für die Versicherungswirtschaft oder die Sparkassen und Genossenschaftsbanken, die ihr Geld mit Privat- oder Firmenkrediten machen, deren Gewinnmargen kleiner geworden sind. Es gefällt den Christdemokraten auch nicht, dass Euroländer wie Italien oder Portugal zu künstlich günstigen Bedingungen Schulden aufnehmen können, ohne im Gegenzug zu Reformen gezwungen zu werden. „Das sind versteckte Rettungspakete, für die der Bundestag nie die Hand gehoben hat“, meint der Ausschussvorsitzende Gunther Krichbaum(CDU), der sich am Donnerstag noch darüber amüsierte, dass Draghi in der Sitzung „nur wenig Kritik“ gehört haben wollte: „Das würde ich an seiner Stelle auch sagen.“

Lammert unterstützt Draghi

„Überzeugend“ fand dagegen der SPD-Politiker Joachim Poß Draghis Auftritt. Versuchte der Zentralbankchef doch darzulegen, dass die Niedrigzinsen in der Summe eine gute Sache sind – weil sie eine „große Depression“ wie zu Beginn der Dreißigerjahre verhindert, die Erholung des Euroraums zur Folge gehabt und damit die Absatzmärkte auch deutscher Unternehmen vor dem Kollaps bewahrt hätten. „Unter dem Strich geht es den Sparern, Arbeitnehmern, Unternehmern, Rentnern und Steuerzahlern im gesamten Eurogebiet – auch in Deutschland – dank unserer Maßnahmen besser“, sagte Draghi. So viel musste auch Krichbaum zugestehen: „Des Sparers Leid ist des Häuslebauers Freud.“ Um den Kollaps der Währung zu verhindern, so sieht es dagegen SPD-Mann Poß, „hätte selbst Herr Schäuble an Herrn Draghis Stelle als Chef der EZB in den letzten Jahren keine andere Geldpolitik verantworten können“.

Unterstützung erhielt der Italiener in Berlin auch von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der sich selbstkritisch zur Eurokrisenpolitik äußerte. Die EZB habe sich „handlungsfähiger als die Regierungschefs“ gezeigt“, weshalb Draghis Kurs „nicht der Kern des Problems“ sei. Den sieht Lammert wohl eher darin, dass es für das fachlich Gebotene in Europa schon seit Jahren nicht die nötigen Mehrheiten gibt. Hinzu komme, dass es nur „begrenzten Charme“ habe, wenn ausgerechnet in Deutschland als dem Bannerträger der Unabhängigkeit von Zentralbanken die größte Regierungspartei gegen den Präsidenten dieser Zentralbank schieße.

Zufriedener Rückblick

Ex-Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio, der während Draghis Besuch ebenfalls an einer Berliner Podiumsrunde zur Lage Europas teilnahm, beurteilt das anders. „Die Unabhängigkeit wird nicht bei einem geweiteten Mandat gewährt.“ Die Schuld daran, dass die Bank hinsichtlich der unerlaubten Staatsfinanzierung wenigstens in einem Graubereich unterwegs ist, gibt aber auch er nicht Draghi: Weil die politischen Systeme versagten, erfülle die Zentralbank eine „Bypassfunktion“.

So kann Draghi „zufrieden“ auf den Berlin-Trip blicken, wie es in EZB-Kreisen heißt. Die Kanzlerin, mit der er sich mindestens zwei Mal pro Jahr unter vier Augen austauscht, gehört ohnehin nicht zu seinen Kritikern. Mit Schäuble wiederum hat Draghi den AfD-Vorwurf geklärt. Der deutsche Finanzminister, so heißt es, habe ihm zugesichert, ihn nicht zu wiederholen.