In Koblenz startete Christine Thürmer ihre Tour nach Tarifa. Foto: Christine Thürmer

Extremwanderin Christine Thürmer ist ans südlichste Ende Europas, genau nach Tarifa, gewandert. Ein Gespräch über ihre Erfahrungen unterwegs.

Stuttgart - Ein Gespräch mit der Extremwanderin Christine Thürmer:

Alle freuen sich auf das Frühjahr und auf die beginnenden Aktivitäten. Sie haben ihre Wanderung zum südlichsten Punkt Europas dagegen zu Beginn des Winterhalbjahrs begonnen. Warum das?
Bei jeder Tour versuche ich, etwas Neues auszuprobieren und meine Grenzen zu verschieben. Bisher hatte ich im Winter immer pausiert oder Touren auf der südlichen Erdhalbkugel gemacht. Durch meine Wanderung nach Tarifa wollte ich herausfinden, ob man auch in Europa den ganzen Winter über wandern und zelten kann – und zwar nicht als Survival-Tour, sondern unter relativ angenehmen Bedingungen. Das Ergebnis war eindeutig: Es hat hervorragend funktioniert!
Was macht das Wandern im Winter reizvoll?
In Südspanien bin ich auch im Winter oft in Shorts und T-Shirt gelaufen – zumindest tagsüber. Winter ist in Spanien Erntezeit für Orangen, Mandarinen und Kaki. Die Erntehelfer waren total erstaunt, eine deutsche Wanderin anzutreffen und haben mir die Früchte ständig zugesteckt. Das Schöne war jedoch, dass im Winter hier niemand unterwegs war und ich den Weg für mich alleine hatte.
Wie kamen Sie auf die Idee, an den südlichsten Punkt Europas zu wandern?
Den Anfang meiner Wanderkarriere habe ich in den USA verbracht und bin dort drei Mal längs durch das gesamte Land von Mexiko nach Kanada gelaufen. Als dann der Euro schwächelte und damit Europa für mich wieder sehr attraktiv wurde, habe ich mir auch hier gleich zwei Großprojekte vorgenommen: den europäischen Kontinent einmal von West nach Ost und einmal von Süd nach Nord zu durchwandern. West-Ost, also vom spanischen Santiago de Compostela bis zum Schwarzen Meer in Bulgarien habe ich letztes Jahr beendet. Von Europa Süd-Nord, also vom spanischen Tarifa bis zum norwegischen Nordkap fehlt mir jetzt nur noch der nördliche Teil und der kommt dieses Jahr unter meine Füße.
Wo wollten Sie aufgeben?
Aufgeben wollte ich noch auf keiner Wanderung und nur ganz selten war ich in Versuchung, mal eine geplante Route abzukürzen. Aber auch dann ist es mir wichtig, die Strecke durchgängig zu laufen.
Mit welchen Tricks halten Sie so lange Wanderungen durch?
Wichtig ist die richtige Einstellung. Ich betrachte eine Langstreckenwanderung nicht wie einen Urlaub, sondern wie meinen neuen Job. Denn bei einem Urlaub erwartet man, dass immer alles toll sein muss – und genau das wird bei Langstrecke nie der Fall sein: Da gibt es früher oder später immer Probleme, egal ob schlechtes Wetter oder Navigationsschwierigkeiten. Mit einer Urlaubshaltung ist man dann enttäuscht. Bei einem Job hingegen ist es ganz normal, dass es auch mal öde oder unangenehme Tage gibt. Auch wenn ich keine Geld fürs Wandern bekomme: Ich betrachte mein Outdoorleben meine Arbeit – und diese Arbeit möchte ich für nichts auf der Welt tauschen!
Welche Abschnitte haben Sie am meisten beeindruckt?
Ich bin mittlerweile über 40.000 km auf vier Kontinenten gewandert. Dabei habe ich so viele Naturschönheiten gesehen, dass ich sie zwar immer noch toll finde, sie aber nicht im Vordergrund stehen. Sehr viel mehr interessieren mich die Begegnungen mit Menschen sowie die Kultur und Geschichte der durchlaufenen Regionen. Auf meiner Wanderung zum südlichsten Punkt Europas hat mich vor allem Spanien fasziniert: Die Arbeitslosenquote dort betrug 25%. Durch meine Begegnungen am Wegesrand hat diese Zahl ein ganz anderes Gesicht bekommen, denn die Menschen haben mir dabei von ihren unterschiedlichen und teilweise sehr ungewöhnlichen wirtschaftlichen Überlebensstrategien erzählt.
Zum Beispiel?
Ein älterer Mann, den ich zuerst für einen Exhibitionisten hielt, entpuppte sich als Langzeitarbeitsloser, der sich mit Trüffelsammeln über Wasser hielt. Und ein etwas heruntergekommener Einheimischer, dem ich bei Einbruch der Dunkelheit mitten in der Pampa begegnete, hatte einen verlassenen Bauernhof “besetzt“, weil er sich die Mieten in der Stadt nicht mehr leisten konnte.
Sie haben unterwegs wild gezeltet, was in vielen Ländern Europas eigentlich nicht erlaubt ist. Wie hat das geklappt?
Das klappt ganz hervorragend, wenn man sein Lager etwas versteckt aufstellt und dabei drei Regeln beachtet: kein Feuer anmachen, keinen Müll hinterlassen und bei Sonnenaufgang wieder weg sein! Und natürlich sollte man sich aus gutem Grund nicht gerade in ein Naturschutzgebiet legen...
Weil...
denn der Schutz der Tiere und Pflanzen geht vor. Außerdem drohen dort Geldstrafen, wenn man erwischt wird. Ein normaler Wald wird hingegen kommerziell genutzt - und da richten die Holzharvester und LKW beim Ernten der Bäume deutlich mehr Schaden an als ich beim Wildzelten.
Und so als Frau nachts allein im Zelt, hatten Sie da keine Angst?
Nein, denn ein Blick in die Polizeistatistik sagt mir genau dasselbe wie meine eigene langjährige Erfahrung: Als Frau ist man in jeder Großstadt viel gefährdeter als im Wald.
In den USA haben Sie bereits alle drei großen Fernwanderwege absolviert. Wie erleben Sie im Gegensatz dazu Ihre Wanderungen in Europa?
Auch wenn es erst mal paradox klingt: In Europa ist man viel einsamer unterwegs als in den USA! Denn dort konzentriert sich alles auf die großen Fernwanderwege, für die sich daher auch eine sehr aktive Gemeinschaft aus Langstreckenwanderern und deren Helfern, den sogenannten trail angels, entwickelt hat. In Europa hingegen verteilen sich die Wanderer auf sehr viel mehr Wege. Und da man in der Regel hierzulande zivilisationsnäher unterwegs ist, gibt es auch keine trail angels.
Sie sind nicht aufs Wandern festgelegt, sondern radeln und paddeln auch. Warum?
Diese „Diversifikation“ auf andere nicht-motorisierte Fortbewegungsarten hat einen pragmatischen Grund: Ich wollte körperlichen und geistigen Verschleißerscheinungen vorbeugen und eine Alternative für den Fall von Verletzungen haben. Denn mit einem verstauchten Knöchel kann ich zwar nicht mehr wandern, aber immer noch radeln und paddeln. Und so bin ich mittlerweile 40.000 km gewandert, 30.000 km geradelt und 6.500 km gepaddelt.
Wohin zieht es Sie als nächstes?
Diesen Sommer werde ich die Nord-Süd-Traverse durch Europa beenden und zum Nordkap laufen.
Zum Schluss, ein Tipp: Welche Wandertour sollte man unbedingt mal machen?
Mein liebster Wanderweg in Deutschland ist der Albsteig auf der Schwäbischen Alb. Die Aussichtspunkte dort sind einfach traumhaft!
Christine Thürmer stellt ihr neues Buch über ihre Touren „Wandern, Radeln, Paddeln“ am 12. April im Globetrotter Stuttgart vor.