Joseph Heß krault auf seiner gut 1200 Kilometer langen Rhein-Tour durch Baden-Württemberg. Unser Autor hat den Extremsportler einen Tag lang begleitet.
Ein etwas unüberlegter Sprung ins Wasser, und dann hat er den Salat. Joseph Heß will an diesem Junitag, dem längsten Tag des Jahres, eigentlich, wie er sagt, „Kilometer gutmachen“. Bei dem spontanen Fußsprung in den Rhein auf der Höhe von Breisach verliert der Mann aus Chemnitz aber seine Schwimmbrille. Irgendwoher muss eine neue besorgt werden. Zwangspause. „So ein Mist“, murmelt Heß.
Es ist Tag zehn seines auf knapp vier Wochen veranschlagten und gut 1200 Kilometer langen Mammutschwimmens von der Rheinquelle Toma See in der Schweiz bis nach Rotterdam. Heß will ungefähr am 5. Juli in der niederländischen Hafenstadt ankommen, doch das Projekt stand zunächst unter keinem guten Stern. Der 34-jährige Extremsportler war malad, hatte zwei Tage lang Magen-Darm-Beschwerden – und ist trotzdem geschwommen. Nicht so weit wie geplant, aber immerhin, er ist gekrault.
Dann hatte das Begleitboot seines Schwiegervaters Heiko Wilke, der zusammen mit zwei von Josephs besten Kumpels die Abenteuerreise begleitet, einen Motorschaden. Boot defekt, Ende der Mission? Natürlich nicht. Heß hat nach dem Malheur ein gebrauchtes Boot auf Ebay-Kleinanzeigen gesucht und es sofort für 9000 Euro gekauft. Nach dem Ende der Rheinmission soll es möglichst schnell wieder abgestoßen werden.
Zu wenig Strömung
Und nun steht er an diesem Tag zehn seines Abenteuers also ein bisschen bedröppelt am Ufer und beantwortet die Fragen eines Reporters, der nach dem Interview anbietet, ins nächste Sportgeschäft zu fahren und für ihn eine neue Schwimmbrille zu besorgen.
Gut drei Stunden zuvor, Rheinkilometer 210. Der Schwimmtag beginnt auf der Höhe von Fessenheim in Frankreich. Am Vortag ist Heß 37 Kilometer weit gekommen, er hat ein paar vom Neoprenanzug aufgescheuerte Hautstellen. Zum Frühstück gab es reichlich Müsli und Kaffee. Nun heißt es: wieder rein in den Neoprenanzug, die Stöpsel in die Ohren, Bademütze auf – und los geht’s. Mit seinen langen, kräftigen Zügen kommt Heß voran, aber nicht so schnell wie erwartet. Noch mehrmals an diesem heißen Tag wird er über die Informationen schimpfen, die er im Internet gefunden hat. Es heißt, der Rhein fließe mit rund fünf Stundenkilometern. Stimmt nicht. Heß schafft sechs Kilometer pro Stunde, mit der erwarteten Strömung hätten es neun, vielleicht sogar zehn Kilometer werden können. „Easy-peasy“ wäre das gesessen, sagt Heß, kinderleicht. Stattdessen ist das Schwimmen auf diesem Flussabschnitt harte Arbeit.
Andreas Maier paddelt stets in einem Kanu dicht neben Heß her, weicht nie von der Seite seines Kumpels aus Kindertagen. Ein Kajakfahrer als Begleiter, das ist eine der vielen Auflagen der Behörden, die nach längerem Zögern die Genehmigung für das Mammutschwimmen im Rhein erteilt hatten. Das Projekt heißt Swim4Sience. „Ein Abenteuer im Dienste der Wissenschaft“, sagt Heß.
Wie wirkt sich die extreme Belastung aus?
Unterwegs werden Wasserproben für die Hochschule Furtwangen genommen. Zudem untersuchen Sportmediziner und Psychologen der Unis Leipzig und Chemnitz die körperlichen und mentalen Auswirkungen der extremen Belastungen auf den Sportler und auf seine Begleiter. Und schließlich produzieren Studenten der Hochschule Mittweida in Sachsen einen Dokumentarfilm, der im nächsten Jahr bei Festivals gezeigt werden soll.
Kilometer 222. Wieder eine kurze Trinkpause, so wie fast alle zwei bis drei Kilometer. Ein Schiff, die Gotardo, verursacht ordentlich Wellen. Der Schwimmer und sein Begleiter im Kanu schaukeln wie im Meer. Nach weiteren zwei Kilometern: die nächste Pause. Heß trinkt meistens Cola, gelegentlich auch mal Wasser. Von spezieller Sportlernahrung hält er nichts, er isst lieber belegte Brötchen oder die warmen Speisen, die sein zweiter Kumpel, Matúš Helienek, der mit einem gemieteten Wohnmobil am Rhein entlangfährt, unterwegs kauft. Pizza zum Beispiel. Oder Döner Kebab. Hauptsache die Nahrung hat viele Kalorien, die Heß im Wasser sofort wieder verbrennen kann.
Heiko Wilke, der Schwiegervater, gibt Andreas Maier im Kanu immer über Funk durch, wenn ein Schiff von hinten oder von vorne kommt. Der Rhein ist zwar breit genug für Lastkähne, Ausflugsschiffe, Kajaks, Schwäne und Schwimmer – aber sicher ist sicher. Vor den Schleusen muss Heß ins Motorboot steigen, auch das eine Auflage des Schifffahrtsamts.
Noch eine Cola, noch ein Käsebrot
Kilometer 224. Kurz vor der Schleuse Vogelgrun müssen Heß und seine Helfer warten. Zwei Transportschiffe haben Vorfahrt. Es ist viertel nach zwölf, der Extremsportler hat in gut zwei Stunden rund 14 Kilometer geschafft. „Wenn das so weiter läuft, dann kommen wird heute doch noch bis nach Straßburg“, ruft er. Noch eine Cola, noch ein Käsebrot. Schmeckt’s ihm? Heß’ Antwort: Daumen hoch. 12.50 Uhr, in der Schleusenkammer, alle Mann sind auf dem Begleitboot. Heß nutzt die Zeit, um seine Follower auf Facebook und Instagram via Smartphone mit neuen Fotos und aktuellen Information zu füttern.
Dann kommt der verflixte Kilometer 226, wo Heß seine Schwimmbrille verliert und auf Ersatz warten muss. „Man lernt nie aus“, sagt er. Fortan werde er immer mindestens eine Reservebrille dabei haben. Heß, ein promovierter Wirtschaftsingenieur, besitzt zweifellos viele Talente – Geduld gehört aber definitiv nicht dazu. „Das Warten nervt“, nölt er.
Um halb zwei kann er mit seiner neuen Schwimmbrille endlich wieder ins Wasser springen. Weiter geht’s. Bei Breisach fließen der Rheinkanal und der Alte Rhein zusammen – womöglich hat der Fluss nun mehr Strömung? Bald wird klar: leider nein.
Wie in einer Berg-und-Tal-Bahn
Vorbei an einem alten Militärhafen. Andreas Maier gibt aus seinem Kajak über Funk durch, dass ihm „super langweilig“ sei. Meint er das ernst, oder macht er ein Späßchen? Fest steht: Wer wie die vier Männer fast einen Monat im selben Auto schläft, sich ständig sieht, hört, riecht, der braucht Humor.
Das Thermometer ist an diesem Nachmittag weit über die 30-Grad-Markierung geklettert, selbst das Wasser im Rhein hat gut 20 Grad. Die Pizza, die Helienek zum Boot gebracht hat, liegt in der Sonne – kalt wird das Mittagessen jedenfalls nicht. Kilometer 234. Heß sagt: „Ich knall mir jetzt kurz die Pizza rein.“ Dazu wieder eine Cola. Noch fit? „Klar!“ Tut was weh? Kopfschütteln. Was ist mit den Schürfwunden am Hals vom Anzug? „Der Schmerz kommt erst heute Abend.“ Na dann. „Morgen ziehe ich den anderen Anzug an, der reibt an anderen Stellen.“
Kilometer 240, 16.50 Uhr. Die Schleuse Marckolsheim ist frei, alles geht diesmal ratzfatz. Bei Kilometer 245 kommt plötzlich Gegenwind auf. Es bilden sich kleine, fiese Wellen. Kurz darauf kommt auch noch ein Schlepper entgegen und produziert noch mehr Wellen. Für den Schwimmer Heß muss sich das anfühlen wie in einer Berg-und-Tal-Bahn. Ab Kilometer 247, bei Weisweil, wird das Wasser wieder ruhiger. Von nun an macht Heß endlich Kilometer gut.
Schlager im Begleitboot
Im Radio des Begleitboots mit Heiko Wilke am Steuer läuft SWR4. „Schlager find ich gut“, sagt Heiko Wilke und grinst breit. „Ich stehe dazu.“ Andreas Maier wird später feixend erklären, dass er deshalb froh sei, im Kanu zu sitzen, weit weg von den Lautsprechern.
Heß kann das Neopren auf seiner wunden Haut nicht mehr ertragen. Er zieht die Pelle aus und schwimmt in Badehose weiter. Das kostete ihn ein bisschen Geschwindigkeit, denn im Neopren liegt man besser in Wasser. Aber was soll’s. Heß krault im sogenannten Deierzug, er atmet bei jedem dritten Zug im Wechsel, mal rechts, mal links, dann wieder rechts und dann links. Den Dreierzug beherrschen nicht viele Schwimmer so gut wie er, die meisten haben eine Schokoladenseite. Aber wer im Freiwasser nicht den Überblick verlieren will, sollte zu beiden Seiten atmen und gelegentlich auch mit Blick nach vorne im sogenannten Wasserball-Kraulstil schwimmen können.
Flusskilometer 249. Eine Frau am Ufer erkennt den Rheinschwimmer. Sie ruft in Richtung Begleitboot, dass sie der Mannschaft am Kiosk gerne einen Kaffee spendieren würde. Heß lehnt dankend ab, er will vorankommen.
Regeneration auf dem Campingplatz
Bei Flusskilometer 257, mittlerweile ist es 20.30 Uhr. Schluss für diesen Tag. Heß reicht’s. Seine Arme seien ein bisschen schwer, und er fühle sich schlapp, sagt er. Kein Wunder, nach fast 50 Kilometern im Rhein.
Am Abend wird auf einem Campingplatz in Frankreich geduscht, Bier getrunken und Hühnchenfleisch mit Gemüse und „Reis à la Matúš“ gegessen. Punkt 23 Uhr ist Bettruhe, wie jeden Tag. Der Wecker klingelt am nächsten Morgen um sieben. Es gibt wieder Müsli und Kaffee. Dann eine kurze Autofahrt zurück zum Rhein – und schon schwimmt Joseph Heß weiter Richtung Rotterdam.
Extremschwimmer im Rhein
Athlet
Joseph Heß, 34, schwimmt seit Kindertagen, war aber nie ein nationaler Spitzenschwimmer. Über sogenannte 24-Stunden-Schwimmen kam er zum Freiwasserschwimmen. Heß, der bei der Uni Chemnitz angestellt ist, hat die Straße von Gibraltar gequert, er ist die komplette Elbe geschwommen und hat die zehn größten Seen Deutschlands bezwungen.
Historie
Bis dato sind nur drei Schwimmer durch den gesamten Rhein gekrault. Klaus Pechstein ist 1969 geschwommen, seinerzeit war das Rheinwasser noch weit verschmutzter als heute. Pechstein war 30 Tag unterwegs. Der Schweizer Wasserbotschafter und Expeditionsschwimmer Ernst Bromeis benötigt 44 Tage für sein Rheinabenteuer. 28 Tage lang war Andreas Fath unterwegs, der Professor der Hochschule Furtwangen sammelte unterwegs Wasserproben.