Von der Zerstörung der Mädchenschulen durch Boko Haram sind noch Töpfe übrig geblieben Foto: AFP

Nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen ist in Nigeria die Zahl der Selbstmordattentäter im Kindesalter von 2014 auf 2015 von 4 auf 44 gestiegen. „Kinder werden damit zu Feinden ihrer eigenen Gemeinschaften gemacht“, so ein Unicef-Sprecher. Für diese zunehmend grausamere Strategie machen Beobachter die zunehmende Schwäche von Boko Haram verantwortlich.

Abuja - Die Zahl der von der nigerianischen Extremistengruppe Boko Haram als Selbstmordattentäter missbrauchten Kinder ist in den vergangenen zwei Jahren dramatisch angestiegen. Während sich im Jahr 2014 noch lediglich vier Kinder im Auftrag der islamistischen Terrororganisation in die Luft gesprengt hatten, waren es nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (Unicef) im vergangenen Jahr elf mal so viele, nämlich 44.

Dieser „alarmierende Trend“ weise auf eine neue Strategie der unter Druck geratenen Terrorgruppe hin, sagte der westafrikanische Unicef-Sprecher Laurent Duvillier: „Kinder werden damit zu Feinden ihrer eigenen Gemeinschaften gemacht.“ In fast Dreiviertel der Fälle seien die minderjährigen Attentäter Mädchen gewesen, fügte das Kinderhilfswerk hinzu. Dies sei vor allem darauf zurückzuführen, dass die Sprengstoffladungen unter den weiten Gewändern der Mädchen besser versteckt werden könnten. Die jüngste Attentäterin sei lediglich acht Jahre alt gewesen, teilte Unicef weiter mit. Nicht immer wüssten die Kinder, dass sie in die Luft gesprengt würden: Gelegentlich würde der Sprengsatz auch aus der Entfernung gezündet.

Insgesamt kam es im vergangenen Jahr zu 151 Boko Haram zugeschriebenen Selbstmordattentaten, die vor allem im Nordosten Nigerias aber auch in den Nachbarländern Kamerun, dem Tschad und Niger stattfanden. Beobachter machen für die immer grausamere Strategie der Extremistenorganisation in erster Linie deren Schwäche verantwortlich. Unter dem neuen nigerianischen Staatschef Muhammadu Buhari wurde Boko Haram von den Streitkräften allmählich in die Ecke getrieben. Die Terrorgruppe soll nur noch wenige Gebiete in den Grenzregionen zu Kamerun und zum Tschad und Niger kontrollieren. In der vergangenen Woche wollen nigerianische Sicherheitskräfte auch den mit einem internationalen Haftbefehl gesuchten Chef einer Splittergruppe Boko Harams festgenommen haben: Die US-Regierung hatte auf Khalid al-Barnawis Festnahme eine Belohnung von 5 Millionen Dollar ausgesetzt.

Der bereits wiederholt für tot erklärte Boko-Haram-Chef Abubakar Schekau hatte sich vor zwei Wochen wieder einmal zu Wort gemeldet, dabei allerdings auf ungewohnt deprimierte Weise von seinem bevorstehenden Tod geredet. „Für mich ist das Ende gekommen“, sagte Schekau in der Videobotschaft. Trotz der gegen die Terrororganisation erzielten Erfolge fehlt noch immer jede Spur von den Mädchen, deren Entführung aus dem nordostnigerianischen Städtchen Chibok sich an diesem Donnerstag zum zweiten Mal jähren wird. Während 57 der 276 Schülerinnen bereits am ersten Tag die Flucht gelang, ist das Schicksal der 219 verbleibenden Mädchen bis heute vollkommen ungewiss. Kein einziges der „Chibok-Mädchen“ befand sich unter den Tausenden von Menschen, die in den vergangenen Monaten aus der Hand der Extremisten befreit worden sind.

Medienberichte, wonach Boko Haram zur Freilassung der Schülerinnen 50 Millionen Dollar Lösegeld verlangt haben soll, wurden von der nigerianischen Regierung dementiert. „Uns ist von einer solchen Forderung nichts bekannt“, sagte Informationsminister Lai Mohammed am Sonntag in Abuja. In den vergangenen zwei Jahren sind nach Angaben von Amnesty International mindestens 2000 Frauen und Mädchen von Boko-Haram-Mitgliedern entführt worden, die entweder als Köchinnen, Sex-Sklavinnen, Kämpferinnen oder als Selbstmordattentäterinnen missbraucht wurden, hieß es.

Unicef zufolge hat der über sechsjährige Bürgerkrieg mehr als 1,3 Millionen Kinder vertrieben und 5000 von ihren Eltern getrennt, während rund 1800 Schulen zerstört oder geschlossen und fast 600 Lehrer getötet worden sind. Die Extremisten hätten eine ganze Generation von Kindern um ihre Bildung gebracht, klagt Mausi Segun von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Genau darauf hatte es die islamistische Terrororganisation abgesehen: „Boko Haram“ bedeutet auf deutsch „(westliche) Bildung ist Sünde“.