Polizisten nehmen einen Extremisten auf dem Marktplatz fest. Foto: privat

Die Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Extremisten haben sich in den vergangenen Wochen zugespitzt. Während bei einem runden Tisch Lösungsansätze diskutiert werden, versucht die Polizei die Straftäter zu ermitteln.

Göppingen - Handgreiflichkeiten bei Demos, Sticker mit politischen Tiraden, Schmierereien in der ganzen Stadt und sogar eine Morddrohung gegen den grünen Landtagsabgeordneten Alexander Maier, damals Vorsitzender des Bündnisses „Kreis Göppingen nazifrei“, – politisch motivierte Straftaten in und um Göppingen haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Doch seit drei, vier Monaten haben die Delikte eine neue Qualität: Jetzt werden die Extremisten persönlich. Gezielte Attacken gegen die Wohnungen von Gegnern aus dem jeweils anderen Lager – und damit auch gegen deren Familien – häufen sich. Die Stadt und die Polizei betrachten die Entwicklung mit Sorge. Deshalb trafen sie sich jüngst mit anderen Gruppen zu einem Runden Tisch gegen Extremismus.

Zuletzt warfen mutmaßlich Rechtsextremisten einen Stein durch das Küchenfenster eines Journalisten, beschmierten den Hausflur eines Kommunalpolitikers mit Drohungen und zerschmetterten eine Fensterscheibe am Haus der Jugend vor einer Antifa-Veranstaltung. Außerdem lief damals stinkende Buttersäure in das Gebäude. In der vergangenen Woche kam die Retourkutsche von links: Unbekannte warfen nachts einen Stein durch die Terrassentür eines bekannten Neonazis in Uhingen und kippten Buttersäure hinterher. Der Mann und seine Familie mussten das Gebäude wegen des Gestanks vorübergehend verlassen.

Antifa droht Neonazis mit „Konsequenzen“

Insider berichten, in der Szene brodle es. Die Stimmung sei auf beiden Seiten aufgeheizt. In geschlossenen Foren im Internet werde auf beiden Seiten über die Ereignisse diskutiert. Viele Linke kritisieren offenbar, dass einige aus ihrem Lager die Wohnung des Neonazis beschädigt haben, andere begrüßen den Übergriff.

Auf der linksradikalen Internetseite linksunten.indymedia.org bekennen sich anonyme Schreiber der Antifa Schwaben zu der Tat. Sie schreiben, sie hätten außer dem Wohnzimmer keine anderen Räume angegriffen, „um die in der Wohnung lebenden Kinder nicht direkt zu gefährden. Auch das Schlafzimmer direkt neben dem Wohnzimmer haben wir aus diesem Grund ausgelassen.“ Den Nazis müsse klar sein, so schreiben die Verfasser, dass ihr Treiben „Konsequenzen nach sich zieht“. Damit spielen die Verfasser mutmaßlich auf die Delikte von rechter Seite in den Wochen zuvor an.

Staatsschutz und Kriminalpolizei ermitteln

Die Polizei versucht, den Tätern auf die Spur zu kommen. Weil es sich um politisch motivierte Straftaten handelt, untersuchen die Kriminalpolizei und der Staatsschutz die Fälle. Die Ermittler haben in den vergangenen Wochen Mitgliedern der Szene Hausbesuche abgestattet und die Links- und Rechtsextremisten dabei nicht nur zu den Delikten vernommen, sondern auch versucht, sie zur Mäßigung anzuhalten.

Außerdem haben die Ermittler an den Tatorten Spuren gesichert und ausgewertet. „Wir ermitteln in jedem einzelnen Fall mit Nachdruck und sind optimistisch, die Delikte auch aufklären zu können“, sagt der Polizeisprecher Wolfgang Jürgens.

Die Stadt Göppingen hat derweil ihren Runden Tisch Extremismus wieder ins Leben gerufen. Nur wenige Tage vor dem Uhinger Vorfall trafen sich Vertreter von Polizei, Schulen, Kirchen, Gewerkschaften, Sozialarbeit, Politik und die Stadtverwaltung, um über Strategien gegen Extremismus zu beraten. Darunter war auch der Ulmer Polizeipräsident Christian Nill. „Ein Runder Tisch ist wichtig, um den Extremismus jeglicher Art gemeinsam in den Blick zu nehmen“, sagte Nill zum Auftakt.

Stadt setzt vor allem auf Prävention

Die Zahl der registrierten politischen Delikte sei von 2014 auf 2015 in Göppingen von 29 auf 56 gestiegen, erläuterte Birgit Sommer von der Kriminalpolizei. Dabei sei die Zahl der Straftaten von rechts von 19 auf 44 und die von links von drei auf neun gewachsen, während die sonstigen von sieben auf drei zurückgegangen seien. 2016 habe sich dieser Trend fortgesetzt.

Zum harten Kern der Rechtsextremisten rechnet die Polizei 15 bis 20 Personen; zu Veranstaltungen reisten weitere Teilnehmer von außerhalb an. Auch die gewaltbereite linke und autonome Szene reise aus anderen Landkreisen und Städten an: „Die Extremisten haben sich Göppingen als Austragungsplattform ausgewählt“, sagte Sommer. Seit dem Verbot der Autonomen Nationalisten Göppingen (ANGP) Ende 2014 sei die rechtsextreme Kleinstpartei „Der Dritte Weg“ in Göppingen aktiv, die Anführer sind dieselben. Seit das Urteil gegen die Rädelsführer der ANGP aufgehoben worden sei und die Anführer der Gruppe seit Mitte des vergangenen Jahres wieder auf freiem Fuß seien, würde die Zahl der Straftaten von rechts wieder zunehmen.

Während sich die Polizei vor allem um die Verfolgung der Straftaten kümmert, setzt die Stadt in erster Linie auf Prävention. Zwar könne der „harte Kern der Extremisten wohl nicht mehr von unserer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit überzeugt werden“, sagt der Göppinger Oberbürgermeister Guido Till. Doch es sei wichtig „diese Werte der Jugend aktiv zu vermitteln und den Stellenwert der Menschenrechte zu betonen“.

Der Oberbürgermeister sieht Populismus als „große Gefahr“

Er sieht in der Eskalation der vergangenen Wochen eine Parallele zu den Jahren 2012/13. Damals hatten Neonazis zunächst einen Empfang der Partei die Linke gestört, nach weiteren Aktionen von rechts reagierte schließlich die Antifa. Es fanden wechselseitige Kundgebungen und Demonstrationen statt, bei denen es immer wieder gewalttätige Übergriffe und Straftaten gab.

Der „Vormarsch des Populismus“ sei eine „große Gefahr“, sagt Till. Die Stadt nimmt deshalb an verschiedenen Bundesprogrammen gegen Extremismus teil. Rund 30 Mitarbeiter der offenen Jugendarbeit und der Schulsozialarbeit seien präventiv tätig, berichtete Ulrike Haas, die Leiterin des Referats Kinder und Jugend. So gab es im vergangenen Jahr etwa die Internationalen Wochen gegen Rassismus und die Anne-Frank-Ausstellung, die 40 Schulkassen besuchten. Für dieses Jahr stellt der Bund erneut 45 000 Euro für Projekte bereit.

Die Jugend sei „sehr engagiert und hilfsbereit, aber sehr wenig politisch informiert“, sagt der Jugendsozialarbeiter Harald Maas. Er regte an, mit Demokratie-Werkstätten einer Krise der Demokratie entgegen zu wirken. Ähnlich sehen das Hans-Dieter Würthele, der Leiter der Ursenwang-Schule, und Susanne Stephan, die Rektorin des Werner-Heisenberg-Gymnasiums. Da die meisten Schüler unpolitisch seien, setzen die Schulen auf niederschwellige Angebote zur Stärkung des Selbstwertgefühls und des gegenseitigen Respekts.