Auf dem Cannstatter Wasen haben am Wochenende mehrere tausend Menschen demonstriert. Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Warum demonstrieren immer mehr Menschen gegen die Corona-Verordnungen? Wie lässt sich vermeiden, dass die Gräben in der Gesellschaft tiefer werden? Die Extremismus-Forscherin Julia Ebner gibt Antworten.

Stuttgart - Viele Menschen in Deutschland haben am Wochenende gegen die Corona-Verordnungen demonstriert. Die Wiener Extremismus-Forscherin Julia Ebner (28) spricht über die Gefahr, dass sich auf den Demos Menschen aus der bürgerlichen Mitte mit Rechtsextremen vernetzen.

Frau Ebner, Ministerpräsident Winfried Kretschmann reagiert ruhig auf die Proteste. Man könne nicht erwarten, dass alle einer Meinung sind, sagte er. Ist Gelassenheit die richtige Reaktion?

Ich denke, man muss einen Mittelweg finden. Zu viel Aufmerksamkeit ist natürlich nicht gut, ebenso wenig restriktive Maßnahmen, solange keine Gesetze gebrochen werden. Aber eine Bewegung, die die Grundrechte neu formulieren will, kann natürlich zur Gefahr werden für eine Demokratie.

Tatsächlich hieß es bis vor wenigen Tagen auf der Webseite von „Widerstand 2020“, dass das Grundgesetz „eine dringende Reform“ brauche: „Die Freiheit steht über allem – dies wird eine der wichtigsten Neuerungen unseres Grundgesetzes“. Mittlerweile ist die Passage auf der Seite nicht mehr zu finden.

In diesem Punkt sehe ich Parallelen zwischen „Widerstand 2020“ und der Alternative für Deutschland oder anderen rechtspopulistischen Bewegungen. Es wird betont, dass man großen Wert auf die Grundrechte lege, gleichzeitig will man diese aber verändern. Der starke Fokus auf Grundrechte wird als Deckmantel verwendet, um die eigene politische Agenda durchzusetzen.

„Widerstand 2020“-Gründer Bodo Schiffmann hat in einem Livestream angekündigt, er werde ein Gespräch mit Martin Sellner führen. Sellner ist ein prominenter Kopf der Identitären Bewegung, die der Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft. Wie eng sind die Berührungspunkte zu Rechtsextremen?

Die Gefahr ist hoch, dass „Widerstand 2020“ von Rechtsextremen gekapert wird. Die Neue Rechte dürfte die Initiative als Chance sehen, Agendapunkte mitzubestimmen und die eigenen Positionen weiter zu verbreiten. Auch jenseits von „Widerstand 2020“ lässt sich beobachten, dass die Neue Rechte die Corona-Pandemie als Betätigungsfeld nutzt. Zum Beispiel hetzen ihre Vertreter im Netz auf unterschiedlichen Kanälen im Zusammenhang mit Corona gegen Migranten. So wird etwa die These vertreten, der Patient null in Europa sei ein Flüchtling gewesen. Auch Antisemitismus spielt eine Rolle.

Allein in Stuttgart haben am Samstag Tausende Menschen demonstriert. Wie sollte man damit umgehen, wenn Freunde oder Bekannte auf die Straße gehen?

Generell sehe ich die große Gefahr, dass diese Demos zu einer Vernetzung von Menschen aus der bürgerlichen Mitte mit Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern führen. Sicher gehen viele aus ernst gemeinter Sorge auf die Straße, bei solchen Demos könnten sie nun erstmals mit rechtsextremen Ansichten in Kontakt kommen. Deshalb ist es wichtig, nicht pauschal alle Teilnehmer solcher Demos zu dämonisieren, sondern ihnen Respekt entgegen zu bringen. Wenn sich jemand persönlich erniedrigt fühlt, löst das häufig einen Radikalisierungsprozess erst aus.