Haltung zeigen, auch wenn man sie bedroht – das fordert der frühere Landtagsvizepräsident Wolfgang Drexler von Politikern. Foto: dpa

Auch baden-württembergische Politiker erleben in ihrer Arbeit viele Beleidigungen und jede Menge Aggression. Viele Schilderungen sind erschreckend.

Stuttgart/Berlin - Bedrohungen und Beleidigungen gehören für Politiker inzwischen zum Alltag – auch in Baden-Württemberg. 160 Amts- und Mandatsträger sind nach einer Statistik des Landeskriminalamtes im vergangenen Jahr Opfer von politisch motivierten Straftaten geworden. Die meisten Delikte mit 81 Straftaten begingen Personen aus dem rechtsextremen Milieu, 28 Taten waren linkextrem motiviert. Das Gros der Straftaten seien Beleidigungen, sagte ein Sprecher des Landeskriminalamts, unserer Zeitung. Gewaltdelikte kämen sehr selten vor.

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Aus Sicht mehrerer Bundestagsabgeordneter und Landes- sowie Kommunalpolitiker hat sich das Klima in jüngerer Zeit verschärft. Aggressivität gehört zum Alltag. „Der Respekt vor der Meinung anderer und vor dem Handeln des Staates ist zurückgegangen“, sagt Karin Maag, die seit zehn Jahren für die CDU im Bundestag sitzt. Verbal und schriftlich wurde sie bereits beschimpft, dabei seien die Äußerungen oft „deutlich unter der Gürtellinie“. Ein bis zweimal im Monat muss sie sich auf Facebook, Twitter und per E-Mail mit Angriffen gegen ihre Arbeit und ihre Person auseinandersetzen. Maag: „Ich stelle auch fest, dass es nicht nur Politikern so geht. Es werden diejenigen angegangen, die den Staat repräsentieren, deeskalieren oder einfach nur helfen.“

Es gab auch Morddrohungen

Das stellte auch SPD-Kollegin Katja Mast, Bundestagsabgeordnete für Pforzheim und stellvertretende Fraktionschefin, fest: „Insgesamt wächst die Respektlosigkeit gegenüber Mandatsträgern – Vorurteile werden zu Wahrheiten.“ In Gesprächen begegnet ihr sehr selten Aggressivität, berichtete sie, oft aber in den sozialen Medien und in E-Mails. Mehr als Beleidigungen seien aber bislang nicht vorgekommen. Doch mitbekommen habe sie es schon, insbesondere bei klarer Positionierung gegen Rechts: Das Auto einer Genossin sei vor der Privatwohnung zerstört worden, einem anderen sei massiv gedroht worden. Sie wünscht sich, dass mehr Menschen laut werden: „Diese Demokratie und unsere Grundrechte müssen von uns allen verteidigt werden. Nicht nur von gewählten Volksvertretern.“

Haltung zeigen – das wünscht sich auch SPD-Mann Wolfgang Drexler. Der ehemalige Landtags-Vizepräsident erhielt bereits mehrere Morddrohungen, zuletzt während seiner Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss. „Erst mal fühlt man sich verunsichert. Man macht sich zunächst Sorgen um die Familienangehörigen“, sagte er. Doch für Drexler ist klar: „Man darf sich nicht von den Leuten im eigenen Handeln beeinflussen lassen. Das ist ja das, was sie erreichen wollen. In der jetzigen Zeit muss man trotz Drohungen Haltung zeigen.“

Drehen an der Eskalationsschraube

Die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel erklärte, sie habe häufig Aggressivität erlebt, es bleibe jedoch bei Beschimpfungen, meist schriftlich, bisweilen aber auch auf offener Straße. „Natürlich lässt mich das nicht kalt“, sagte sie. Sie versuche aber, die Beleidigungen nicht zu sehr an sich herankommen zu lassen.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Benjamin Strasser bringt Grenzüberschreitungen konsequent zur Anzeige. In direkten Gesprächen nehme er keine Aggression wahr, im Internet sei das schlimmer. „Es werden oft Grenzen bis hin zu Hasskommentaren überschritten. Das hängt ganz wesentlich damit zusammen, dass die sprachliche Eskalationsschraube in den letzten Jahren von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen immer weitergedreht und aggressiver wurde“, sagt Strasser.

Sein Parteikollege Michael Theurer schränkt ein: „Ich bin mir aber nicht sicher, ob es einen generellen Anstieg der Aggressivität gibt.“ In den 1990er Jahren habe er anonyme Morddrohungen wegen der Schließung einer Skinhead-Kneipe erhalten. Die Drohungen beeinflussten ihn: „Ich bin in jedem Fall achtsamer.“

Angst um die Familie

Auch der Chef der Linkspartei, Bernd Riexinger, berichtet von Morddrohungen, mitunter „inklusive genauer Angabe der zu verwendenden Schusswaffe“. Er sagt, der Tonfall in Mails an ihn oder in Kommentaren sei teilweise sehr aggressiv, zuweilen offen rassistisch und volksverhetzend.

Er erhalte aber auch Rückhalt, dieser ermutige ihn. Sein Kollege, der Stuttgarter Stadtrat Luigi Pantisano wird seit längerer Zeit bedroht. „Ich kann mir aussuchen, wo ich sterben will“, habe ihm eine Person geschrieben. Seinen ersten Drohbrief erhielt er vor knapp eineinhalb Jahren, nachdem er die „Kümmelhändler“-Rede des inzwischen aus der AfD ausgetretenen Rechtsauslegers André Poggenburg kritisiert hatte. Das Schreiben beschäftige ihn nach dem Mord an Walter Lübcke nun wieder, sagt Pantisano. „Wir werden deine antideutschen Hetzereien weiter beobachten und dich dafür eines Tages zur Rechenschaft ziehen“, heißt es darin. Seine Adresse, die bereits mehrmals im Netz kursierte, hat der Kommunalpolitiker inzwischen sperren lassen. Auch mit seiner Familie tritt er nicht öffentlich auf, um sie zu schützen. Politisch werde er sein Vorgehen aber nicht ändern, berichtete er.

Bereits zu seiner Anfangszeit als Politiker stand Grünen-Bundestagsabgeordneter Cem Özdemir unter Personenschutz. Damals hatten ihn Neo-Nazis und türkische Nationalisten ins Visier genommen. Seit er sich im Bundestag für die Anerkennung des Völkermordes an den Armenieren eingesetzt hat, steht er abermals unter Polizeischutz. „Die Bedrohungen, denen ich mich ausgesetzt sehe, schränken meinen Bewegungsspielraum ein“, sagte er. Sei es beim Taxifahren, bei der Wahl seiner Fahrradstrecke oder beim Einkaufen.