Michael Wohlleben (oben) und Ueli Steck auf dem Weg nach oben. Foto: StN

Die Drei Zinnen sind das beeindruckendste Felsmassiv der Dolomiten. Es am Stück zu durchsteigen ist eine Herausforderung. Im Winter hat das noch keiner gewagt – bis auf Michi Wohlleben und Ueli Steck.

Die Drei Zinnen sind das beeindruckendste Felsmassiv der Dolomiten. Es am Stück zu durchsteigen ist eine Herausforderung. Im Winter hat das noch keiner gewagt – bis auf Michi Wohlleben und Ueli Steck.

Stuttgart - Michael Wohlleben ist entspannt. Hier im Lounge-Bereich der Kletterhalle Climbmax in Stuttgart-Zuffenhausen kann er das auch sein. Hier ist es warm, windstill und hell. „Das Projekt“, sagt Michael Wohlleben, den seine Freunde Michi nennen, „hat sich in den ersten Stunden entschieden.“

Es klingt ein bisschen ehrfurchtsvoll, wenn Wohlleben „das Projekt“ sagt. Für Bergsteiger-Laien klingt es eher furchteinflößend: Michi Wohlleben hat zusammen mit dem Schweizer Ueli Steck die Drei Zinnen, das beeindruckendste Felsmassiv der Dolomiten, in einem Zug durchstiegen. Am 17. März war das, damit kalendarisch im Winter – und das hat vor den beiden Profi-Bergsteigern Wohlleben und Steck vorher niemand geschafft.

Als die beiden Extremsportler an jenem Morgen um 8.30 Uhr am Einstieg zur Nordwand der westlichen Zinne standen, hatten sie noch ein mulmiges Gefühl gehabt. Eigentlich waren sie zu spät dran, aber ein nächtlicher Föhnsturm hatte einen früheren Aufbruch hinauf in Fels und Eis verhindert. Gleich in der zweithöchsten, aber klettertechnisch anspruchsvollsten Wand würde sich entscheiden, ob „das Projekt“ läuft oder scheitert. Und es lief.

"Es war ein richtiger Flash"

„Nach einer Stunde und 17 Minuten waren wir über die Schlüsselstellen drüber – da haben wir beide gewusst, dass es richtig gut läuft“, sagt Wohlleben, „es war ein richtiger Flash: Ab da waren wir brutal motiviert, und es stellte sich ein schneller Trott ein.“

Schneller Trott, das heißt bei diesen Extrembergsteigern, dass sie an vielen Stellen parallel klettern. Immer gut gesichert, aber trotzdem extrem schnell. Das war nötig, denn der Zeitplan war eng kalkuliert: In 3:37 Stunden hinauf auf 2973 Meter, Abstieg auf dem Normalweg, dann die psychologisch schwierige lange Wand hinauf auf die Große Zinne (2999 Meter), deren Gipfel Wohlleben und Steck in der Abenddämmerung erreichten.

Klar, im Winter wird es früh dunkel. Schließlich die Kleine Zinne (2857 Meter) komplett in der Finsternis, die Route im fünften und sechsten Schwierigkeitsgrad ausgeleuchtet mit Stirn- und Handlampe. „Das i-Tüpfelchen“, sagt Wohlleben, „aber die Tour kenne ich gut, weil ich sie schon öfter geklettert bin.“ Der Gipfel, 15:42 Stunden nach dem Einstieg. Die erste Winterbegehung überhaupt, in Rekordzeit.

Nachts um zwei zurück auf der Auronzo-Hütte, wurde erst mal eine Flasche Wein getrunken mit zwei Helfern, die die Kletterer an den Wandfüßen mit Flüssigkeit und fester Nahrung versorgt hatten. Auf dem iPod lief „An Tagen wie diesen“ von den Toten Hosen.

"Wir wollen Limits pushen"

Natürlich, die Frage nach dem Warum: „Wir suchen uns neue Ziele, versuchen die Limits zu pushen“, sagt Wohlleben, „und wir wollen auch sagen können, wir sind extrem gute Bergsteiger.“ Die Idee für sein Projekt hatte Michi Wohlleben eine ganze Weile mit sich herumgetragen. Schnell, lang, alpinistisch wertvoll – gerade im Winter. Das hat ihn gereizt. „Darauf hatte auch Ueli Steck Bock“, sagt er. Steck, in der Schweiz eine Art Nationalheld, hatte erst wenige Tage zuvor von Wohlleben eine SMS bekommen und spontan bei einer Pizza im Örtchen Misurina am Fuß der Zinnen zugesagt.

Jetzt stehen die Alpinisten im Drei-Zinnen-Geschichtsbuch und im Wikipedia-Artikel. „Viele Leute hätten das geschafft“, sagt Steck, „aber man muss halt die Idee haben.“ Michi Wohlleben sagt: „Diese Trilogie toppt alle Winterbegehungen in den Alpen.“

Mit seinen 23 Jahren hat es der gebürtige Künzelsauer Michael Wohlleben weit gebracht in den Bergen. Er kann als Profi von seinem Sport leben und will andere Bergsteiger mit seinen Projekten zum Nachdenken bringen. „Den Sport schneller machen, ihn revolutionieren“, sagt Wohlleben, „das ist vielleicht der ganze Sinn unseres bergsteigerischen Tuns.“ Das hört sich nur verwegen an. „Schnelligkeit bedeutet nicht mehr Risiko“, sagt Wohlleben, „alles, was wir klettern, können wir technisch machen – wir sind ja nicht lebensmüde.“ Das wiederum klingt sehr beruhigend.