Manon Ossevoort mit ihrem Traktor, Typ MF 5610, auf dem Weg durch Island. Foto: www.antarcticatwo.com

Manon Ossevoort fuhr mit dem Traktor quer durch Afrika – Durchschnittsgeschwindigkeit zehn Kilometer pro Stunde. Über drei Jahre lang, im Gepäck Tausende Träume, die ihr Menschen auf dem Weg zusteckten. Diese will sie nun in die Antarktis bringen.

Kapstadt - Sie hat Tausende Träume auf ihrem Weg durch Afrika gesammelt. Die Menschen schrieben sie auf verknitterte Zettel, wo auch immer diese verrückte Niederländerin mit ihrem klapprigen Traktor anhielt. Träume von Gesundheit und Reisen, Familie und Wohlstand und manchmal einfach nur einem Berg aus Schokolade.

Was ist absurder als ein zierliches Mädchen vom Dorf, das mit einem Traktor zum Südpol fährt.

Manon Ossevoort packte jedes einzelne Stück Papier in eine Kiste. „Eure Wünsche brechen zu einem kleinen Abenteuer auf“, sagte sie und fuhr weiter, immer weiter – in Richtung Antarktis. So lange es auch dauern möge. Dann gab es diesen Moment, in dem Ossevoorts eigener Traum zu scheitern drohte. Sie wollte beweisen, dass kein Ziel zu absurd ist. Und was ist absurder als ein zierliches Mädchen vom Dorf, das mit einem Traktor zum Südpol fährt. Dreieinhalb Jahre hatte es gedauert, bis sie Kapstadt erreicht hatte. Im Jahr 2009 war es so weit, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 10 Stundenkilometern fuhr sie quer durch Afrika.

Doch dann verpasste sie den Eisbrecher, dessen Besitzer versprochen hatte, sie und ihren Traktor, Baujahr 1975, vom südlichsten Punkt Afrikas aus in die Antarktis zu bringen. Geld und Kraft schwanden, Ossevoort ließ den alten Traktor schließlich zurück nach Holland verfrachten.

Sie hatte auch den letzten Rest Energie investiert, den Südpol aber nicht erreicht. Eine Geschichte wie ein Kinderbuch. Nur ohne Happy End. Bis jetzt.

Denn die studierte Schauspielerin mag Geschichten mit Happy End. Gibt es keines, sei die Geschichte einfach noch nicht zu Ende. Die 38-Jährige sitzt in einem Kapstadter Café. Eine kurze Pause im Organisationschaos vor der letzten, mit vier Jahren lediglich leicht verspäteten Etappe ihrer Reise. Pausen sind nicht ihre Stärke. Sie redet, lacht, gestikuliert, steckt mit ihrer Euphorie an, bis ihre aberwitzige Idee auch dem zunächst skeptischen Zuhörer in höchstem Maße sinnvoll erscheint.

Sie hat ein Polartraining absolviert, 5000 Kalorien verbraucht der Körper täglich in der Kälte.

Der Traktor, diesmal eine nagelneue Maschine mit dem Namen „Antarctica2“, ist mit einem russischen Transportflugzeug bereits auf dem Weg in die Antarktis. Und an diesem Wochenende hat sich auch Ossevoort auf den Weg dorthin gemacht. Bis Weihnachten will sie die 4500 Kilometer lange Strecke von der Forschungsstation Novo bis zum südlichsten Punkt der Welt und wieder zurück bewältigen. Sie hat ein Polartraining absolviert, 5000 Kalorien verbraucht der Körper täglich in der Kälte.

In der Antarktis will Ossevoort einen Schneemann bauen und in seinem Bauch die Wünsche einbuddeln, die sie bisher auf ihrem Weg gesammelt hat. Nicht nur in Afrika, es kamen Nachrichten aus aller Welt. Sie sind digitalisiert und auf einer widerstandsfähigen Festplatte gespeichert. 80 Jahre sollen sie dort bleiben. Und dann geöffnet werden. Die Nachwelt soll nicht nur über Kriege unserer Zeit erfahren, sagt Ossevoort. Sondern auch über die Träume der Menschen.

Also doch noch ein Happy End – wenn alles gut geht. Ein großer Traktorhersteller, der schon in den 1950er Jahren den berühmten Mount-Everest-Bezwinger Edmund Hillary bei einer Expedition in die Antarktis mit drei Traktoren unterstützt hatte, finanziert das Projekt. Ossevoort hat zwei hoch moderne Begleitfahrzeuge und Experten, die jeden Aspekt der Reise akribisch mit ihr planen. Die junge Frau, die anfangs selbst von ihren Freunden für verrückt gehalten wurde, hat es in der Heimat zu vermarktbarer Berühmtheit gebracht.

Ihre wunderbar langsame Reise durch Afrika aber finanzierte sie allein mit dem Verkauf von T-Shirts und Crowdfunding im Internet. In über einem Dutzend Länder führte sie auf ihrem Traktor Theaterstücke auf, traf Zehntausende Menschen. Aber nur oberflächlich. „Ich habe mich mit festen Beziehungen lange schwer getan“, sagt Ossevoort. Sie reiste die meiste Zeit allein, begleitet nur von einem Straßenhund aus Tansania.

Und dann erzählt sie den Teil ihrer Geschichte, der in kein Kinderbuch passt. Mit 18 Jahren wurde sie vergewaltigt, der Täter verging sich auch an weiteren Frauen. Ossevoort unterbrach die Schauspielschule. Es dauerte Jahre, bis der Täter endlich hinter Gitter war. „In Talkshows wird einem weisgemacht, dass man nach einer Vergewaltigung für immer gebrochen ist“, sagt sie. „Aber es geht auch am Ende der Welt weiter. Egal wo, man findet Hoffnung.“ Ossevoort beendete die Schauspielschule in Amsterdam. Und brach auf.

Zunächst nur 1400 Kilometer weit. Eine Testfahrt nach Paris und zurück. In ihrem Heimatdorf überzeugte sie einen Gebraucht-Traktorhändler, ihr ein klappriges Model zu leihen. 30 Jahre alt war das rote Gefährt, an dem vom letzten Karnevalsumzug noch ein Hunde-Papp-Kostüm befestigt war. Mit einem Traktor war die Tochter eines Restaurantbesitzers noch nie gefahren. Erst als sie den Unterschied zwischen einem mit Luft und Wasser gekühlten Motor erklären konnte, stimmte der Mann zu.

Doch nach wenigen Kilometern schien das Abenteuer schon beendet. In Belgien bog sie versehentlich auf die Autobahn ab. Die Polizei hielt sie an, es fehlten die passenden Papiere. Zwei Wochen lang saß sie fest. Dann aber organisierte sie die Dokumente und fuhr weiter. Bis nach Paris. Als sie ihren Eltern erzählte, dass das nächste Ziel der Südpol sein würde, schwiegen sie. 20 Minuten lang. Ihre Tochter war noch nie außerhalb Europas gereist. Dann sagte die Mutter: „Wenn man etwas tun will, dann sollte man nicht zu viel reden, sondern es einfach machen.“

In Kenia redete sie bei ihrem Vortrag offen über ihre eigene Vergewaltigung

Es war die Entdeckung der Langsamkeit. Ihr Traktor erwies sich als äußerst widerstandsfähig, aber auch als sehr, sehr lahm. „In drei Jahren habe ich nur einen anderen Traktor überholt“, sagt Ossevoort. Wieder dieses Grinsen. Doch diese Langsamkeit, das offene Cockpit haben sie in immer neue Gespräche verwickelt. Mit Bürgern, Aktivisten, Politikern. In Kenia redete sie bei ihrem Vortrag offen über ihre eigene Vergewaltigung, um eine strengere Gesetzgebung gegen Sexualstraftäter zu fördern.

Sie reiste durch Länder wie den Sudan, Äthiopien und Simbabwe – nie hatte sie ein Problem mit Kriminalität. „Ich sah nicht aus, als ob es bei mir was zu holen gibt, und mit so einem Traktor rast man auch nicht so leicht davon“, sagt sie. Zumal sich die Geschichte von dem Mädchen auf dem Traktor in den Gegenden, in denen sie reiste, rasant herumsprach. Auch das war ein Schutz.

Was sie gelernt habe? Vorurteile können stark sein. Gastfreundlich wurde sie fast jede Nacht in Dörfern willkommen geheißen. „Dreieinhalb Jahre haben mir die Leute erzählt: Gut, dass Du hier bist. Weißt Du warum? Das nächste Dorf ist sehr gefährlich.“ Reiste sie dann dorthin, sagten die Nachbarn: „Bei uns bist du sicher. Sei froh, dass du nicht im anderen Dorf bist. Zu gefährlich.“

Sie hat die Autos nicht gezählt, die sie aus dem Sand oder Graben gezogen hat. Es waren viele. Eine hochschwangere Frau aus Simbabwe brachte sie in höchster Not in ein Krankenhaus. Es gab schöne Tage, aber auch traurige. Sie hatte ursprünglich mit einem Jahr kalkuliert. Da war sie aber nicht einmal im Sudan. „Ich konnte nicht aufgeben, nach zwei Jahren natürlich erst recht nicht.“

Als sie aber nach drei Jahren in Namibia ankam, merkte sie, wie ihr die Energie ausging. In den meisten Nächten hatte sie im Zelt geschlafen, auch bei Sturm und Regen. Oft regnete es durch „Man lernt, anstelle von Selbstmitleid zu lachen, weil man nichts ändern kann.“ Manchmal aber fehle selbst die Kraft zum Lachen.

"Mitten in der Wüste habe ich in Namibia einfach nur geweint und geschrien"

Zweimal war sie während der Reise an Malaria erkrankt, eine Wurmerkrankung hatte sie weiter geschwächt. In die Haare hatten sich einige graue Strähnen geschlichen. Und die Einsamkeit setzte ihr zu. Dafür sei der Mensch einfach nicht gemacht, sagt sie. „Mitten in der Wüste habe ich in Namibia einfach nur geweint und geschrien.“ Bis alle Frustration raus war.

Fast hat sie nicht mehr damit gerechnet, dass sich ihr Traum noch erfüllen würde. Sie wäre wohl auch so glücklich. In den vergangenen Jahren schrieb sie ein Buch, hielt Motivationsvorträge. Und traf einen Piloten, der sich für Traktoren, zunehmend aber weit mehr für sie interessierte. Heute haben sie eine gemeinsame Tochter. Hanna ist zehn Monate alt.