Der deutsche Pavillion bei der Expo in Mailand Foto: Maier

Halbzeit in Mailand: Vor drei Monaten hat die Expo auf dem Messegelände ihre Tore geöffnet, am 31. Oktober wird sie diese wieder schließen. Der Besucherandrang ist unverändert groß.

Mailand - Laura Galvandio steht im ersten Stock des estnischen Pavillons. Sie hat den Kopf leicht schief gelegt, lauscht Pianoklängen. An dem schwarzen Flügel in der Mitte des Raumes sitzt eine junge Frau – das Klavier steht allen Expo-Besuchern offen. Galvandio gefällt, wie sich Estland auf der diesjährigen Weltausstellung in Mailand präsentiert: drei Stockwerke aus Kiefernholz, an den Seiten Schaukeln, mit denen die Besucher Strom erzeugen können.

Am Vortag ist Galvandio aus Basel angereist. Den Besuch auf der Expo verbindet die 70-Jährige mit einer Stippvisite in Mailand, bei Bekannten. „Ich war vorher noch nie bei einer solch riesigen Ausstellung“, sagt die zierliche Schweizerin mit dem kurzen grauen Haar. Beeindruckt ist sie vor allem von den finanziellen Mitteln, welche viele der 145 Nationen für ihren Auftritt aufwenden. „Bei Oman zum Beispiel merkt man schon, dass das Land Geld hat“, sagt sie. Ob ein Pavillon interessant sei oder nicht, hänge letztlich aber nicht von dessen Pomp ab – sondern davon, was darin geboten werde.

Im estnischen Pavillon stapeln sich viele einzelne Räume als individuelle Holzboxen aufeinander. In jedem von ihnen können die Besucher einen anderen Aspekt des Landes spielerisch entdecken: Sie können auf einem echten Fahrrad virtuell durch eine Projektion der Hauptstadt Tallinn fahren oder sich vor dem Bild einer estnischen Sumpflandschaft fotografieren und die Bilder direkt im Anschluss auf Facebook, Instagram und Twitter teilen – eine moderne Herangehensweise an das 158 Jahre alte Spektakel Expo.

Die Ausstellungsmacher binden die Besucher ein

Fast 1,5 Millionen Besucher haben die „Gallery of Estonia“ – so der Pavillonname – bereits besucht, seit die Weltausstellung am 1. Mai ihre Tore nahe dem Messegelände von Mailand geöffnet hat. Für die kommenden drei Monate rechnen die Betreiber mit noch einmal so vielen Gästen. Ihr Konzept: Sie wollen Estland, das seit einigen Jahren oft als „E-Estland“ bezeichnet wird, als junges, dynamisches Land darstellen.

Das gilt für viele Ausstellungsmacher der diesjährigen Weltausstellung. Sie versuchen die Besucher einzubinden, sie aktiv in ihren Auftritt mit einzubeziehen – statt ihr Land nur als attraktive Urlaubsdestination zu präsentieren, wie das bei früheren Expos oft der Fall war.

Das Motto des deutschen Pavillons „Fields of Ideas“ (Felder der Ideen) lautet denn auch „Be active“ (Sei aktiv). Seinen Planern ging es von Anfang an darum, die Besucher in die Ausstellung zu integrieren. „Sie müssen selbst aktiv werden, um mehr über die einzelnen Exponate zu erfahren“, sagt Peter Redlin, Geschäftsführer von Milla und Partner. Das Stuttgarter Unternehmen verantwortet die inhaltliche Konzeption des deutschen Pavillons.

Wenn Wellpappe zum Leben erwacht

An dessen Eingang erhält jeder Besucher ein Seedboard – ein viereckiges Stück Wellpappe, das ähnlich wie ein Tablet-Computer funktioniert. „Eine tolle Idee“, sagt Gudrun von Woisky mit Blick auf die Pappe. Die 47-jährige Münchnerin und ihr Mann verbinden den Italienurlaub mit einem Besuch auf der Expo.

Im Bauch des deutschen Pavillons hält von Woisky ihr Seedboard nun über das digitale Abbild eines Wohnhauses. Die Wellpappe erwacht zum Leben: Ein Projektor oberhalb des Exponats spielt Bilder, Texte und kurze Videos ab. Diese zeigen, wie das stark verschmutzte Toilettenwasser im Haus vom restlichen Abwasser getrennt wird – und dabei sogar noch als Energie- und Rohstoffquelle dient.

Das Seedboard sorgt für kontinuierlich hohe Besucherströme im deutschen Pavillon. „Viele Leute kommen, weil sie schon davon gehört haben“, heißt es von Milla und Partner. „Wir freuen uns sehr, dass der deutsche Pavillon einer der Publikumsmagnete dieser Weltausstellung ist.“ Täglich besuchen rund 12 000 Expo-Gäste die „Fields of Ideas“. Insgesamt sollen mehr als zwei Millionen Besucher kommen.

China beeindruckt mit die Farbe wechselnden Leuchtstäben

Doch während sich Deutschland als HighTech-Vorreiter positioniert, haben sich viele Nationen für eine Mischung aus digitalen und analogen Exponaten entschieden. In der chinesischen Ausstellung etwa können sich die Besucher an verschiedenen Stellen an Tablet-Computern informieren. Daneben kommt jedoch auch die – analoge – Kunst nicht zu kurz: In einem der Räume wechseln bauchnabelhohe Leuchtstäbe beständig die Farben – mimen mal ein wogendes Weizenfeld, dann wieder die bunte Blumenwiese.

Im Pavillon von Oman hilft eine App fürs Smartphone bei der Erkundung des Landes. Auf ihr kann man Bilder und Videos zu den einzelnen Ausstellungsgegenständen ansehen und sogar mit den Machern in Kontakt treten. Komplexere Sachverhalte werden mit interaktiven Videos erklärt – eines zeigt, wie das traditionelle Bewässerungssystem der „Faladsch“-Kanäle funktioniert. Ein krasser Gegensatz zum analogen Teil der Ausstellung: Dort wirken unter anderem die lebensgroßen sprechenden Puppen so, als hätten sie bereits an der Expo von 1982 teilgenommen.

Wenige Innovationen bieten auch die sogenannten Cluster – neun Pavillons zu bestimmten Themen, die sich Nationen teilen. Beim Schokoladen-Cluster skizzieren Infotafeln im Außenbereich die Geschichte der Schokoladenproduktion. Innen besteht etwa der Auftritt Kubas aus einem Raum mit einer Rum-Bar, einem Kühlschrank voll Getränken und einer Video-Projektion. Zu schönen Landschaftsbildern läuft lateinamerikanische Musik.

Doch während das Fehlen von Apps und interaktiven Schaltflächen bei den Clustern vermutlich mangelnden finanziellen Mitteln geschuldet ist, verzichtet Österreich zum großen Teil bewusst auf digitale Technik. In dem nach oben hin offenen Pavillon rückt das „Lebensmittel Nummer eins“ in den Mittelpunkt: die Atemluft. Zwischen dunkel gebeizten Holzwänden recken sich Eichen und Tannen in die Höhe. Auf dem Boden wachsen Moos und Brennnesseln, die mit Nebelmaschinen und Ventilatoren gekühlt werden. Es ist gefühlt zehn Grad kälter als außen. „Breathe. Austria“ heißt der Titel des Pavillons. Er soll ein Modell sein für die Möglichkeiten urbaner Bepflanzung. In der 560 Quadratmeter großen österreichischen Waldlandschaft hat ein Seedboard keinen Platz – hier kann der Besucher im wahrsten Sinne des Wortes einfach einmal durchschnaufen. Ein gelungener Gegenpol zum deutschen Auftritt gegenüber.